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Weltschöpfung nach Marx?

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Mit dieser Antwort ist die Annäherung zwischen Marxismus und christlichem Glauben so weit vorangetrieben, daß der unmittelbare Be-rührungs- und Verknüpfungspunkt erreicht ist. Die bisher im katholischen Bereich meist unmöglich gehaltene Vereinbarung des Unvereinbaren ist hier auf verblüffend einfache Weise gelöst: Die Welt ist eigentlich eine marxistische Schöpfung, die sich mit ihrem Schöpfer Gott in Harmonie befindet. Nach dieser Antwort — die vorläufig nicht analysiert werden soll — könnte nicht nur jeder Sozialist, sondern vor allem auch jeder Marxist und Kommunist Katholik sein.

Wenn aber heute von den katholischen Sozialisten in Österreich die Frage behandelt wird, ob ein Katholik Sozialist sein kann (siehe „Die Furche“, Nr. 3/65: Dipl.-Ing. Peter Spitaler, Linz, „Katholiken in der SPÖ“), dann wird diese Frage leider meist nicht mit jener unerbittlichen Gründlichkeit gestellt und beantwortet, wie das bei der polnischen Philosophiestudentin der Fall war. Die Undeutlichkeiten, Ungenauig-keiten und Halbheiten, die bei dieser hierzulande üblichen Behandlung der Frage übrigbleiben, kommen meist daher, daß von vornherein -nicht präzise ausgeführt wird, um welche Art von Sozialismus es s^ch handelt,- die mit dem katholischen Glauben vereinbar sein soll. Die polnische Studentin wußte das ganz genau, deshalb fiel auch ihre Antwort unmißverständlich — wenn auch nicht unanfechtbar — aus.

In unseren Landen aber sagt man nie genau, welchen Sozialismus man meint. Vielfach ist es nur die Mitgliedschaft bei der SPÖ, um deren Vereinbarkeit mit einem praktizierenden Katholikentum es geht, vielfach sind es die neuen Programmsätze der SPÖ, die man auf ihre Vereinbarkeit prüft, wie das Diplomingenieur Spitaler tut, mitunter wird auch die politische Praxis der SPÖ, ihre — positive — Haltung in der Frage von Konkordatsmaterien, unter dem Aspekt dieser Vereinbarkeit hervorgehoben.

Nun ist nicht zu leugnen, daß sich die alten Frontstellungen: hie politischer Klerikalismus, hie glaubensfeindlicher Sozialismus, aufgelockert und verändert haben. Österreich darf vielleicht sogar das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, mit dieser Aufloekerung durch die ersten Kontakte zwischen Kirche und SPÖ vor Jahren begonnen zu haben, ehe Papst Johannes XXIII. seine gewaltigen Impulse zu einer weltweiten Entwicklung gab.

Wenn es nun als bisherige Ergebnisse dieser sicher noch in den Anlangen steckenden Entwicklung zu Anzeichen einer Verständigung und „Normalisierung“ zwischen der Kirche beziehungsweise dem Vatikan und dem politischen Regime in Ungarn und Jugoslawien kommt, wenn in der Deutschen Demokratischen Republik das Regime eine teilweise duldende, abwartende Haltung gegenüber der protestantischen und der katholischen Kirche einnimmt, so ist in Österreich sicher nicht mehr über die sehr pauschale Frage zu streiten, ob „Katholiken in der SPÖ“ sein dürfen oder nicht, weil eine so formulierte Fragestellung heute nicht mehr stimmt.

Es ist vielmehr allem Anschein nach gerade in Österreich die Gelegenheit gegeben, die Frage, welche Art von Sozialismus mit christlichem Glauben vereinbar ist, in einer Atmosphäre weitgehender Versachlichung zu klären. Die Frage hat hier in Österreich vielleicht mehr Aktualität als in jedem anderen Land der freien Welt, weil Österreich von allen diesen Ländern den höchsten Anteil an Sozialisten hat, die in einer noch am meisten marxistisch durchsetzten Partei gesammelt sind. Das Problem stellt sich hier also in aller wünschenswerten Deutlichkeit und Schärfe. Es stellt anderseits aber jenen existenzbedrohenden politischen Druck, wie er in einem kommunistischen Staat herrscht und wie er in der DDR und im Fall der polnischen Philosophiestudentin zwar frappierende, aber letztlich vielleicht doch falsche Antworten erzwingt.

Der ursprünglich, relativ monolithisch atheistische Block der Sozialdemokraten, die zwar nicht immer über die politische Linie, jedenfalls aber in ihrer Glaubensfeindlichkeit einig waren, ist, wie Dipl.-Ing. Spitaler ausführt, einem „weltanschaulichen Pluralismus“ gewichen. Wenn unter dem Dach dieser Partei Protestanten, Juden, Altkatholiken, Freidenker friedlich nebeneinander existieren können, dann wahrscheinlich auch Katholiken! Vielleicht ist dieses Bild paradiesischer Zustände im Garten der SPÖ aber doch etwas zu romantisch! Es ist sehr die Frage, ob es zwischen Katholiken und Freidenkern' immer ein friedlich-wohl-wollend-yerständnisvoiles Nebeneinander geben wird und kann, ob sich nicht die eine oder andere dieser Minderheiten vielleicht eines Tages zum Herrn über alle anderen aufschwingen würde und ob die Spitze der Partei stets bereit und in der Lage wäre, die Wünsche und Interessen aller religiösen Minderheiten gleichermaßen zu wahren. Die Existenz einer Gruppe katholischer Sozialisten unter solchen Umständen wäre daher zumindest in einem permanent kritischen Zustand, der dauernder Wachsamkeit bedürfte.

Entscheidend für die Beurteilung eines politischen Systems durch den Katholiken dürfte aber immer die Frage sein, wie sich dieses politische System zum Weltbild des Katholiken verhält. Zweifellos ist aus dem Evangelium selbst kein bestimmtes politisches oder gesellschaftspolitisches Programm abzuleiten, und zweifellos ist es richtig, daß es die erste Aufgabe der Kirche ist, den Gläubigen auf das Jenseits vorzubereiten. Es dürfte aber doch auch der Kirche nicht ganz gleichgültig sein, unter welchen Umständen sie diesen ihren Auftrag erfüllt. Die Kirche wird ein politisches System zumindest darnach beurteilen, wieweit es ihr die Erfüllung ihres Auftrages überhaupt ermöglicht oder erleichtert, wenn das heute auch nicht mehr das einzige Kriterium ist. So ist der autoritäre katholische Staat, in dem die katholische Kirche sicher die größte Bewegungsfreiheit genießt, heute wohl kaum mehr das gesellschaftspolitische Ideal der Kirche. Anderseits wird sie kaum bedenkenlos sich jedem politischen System gegenüber wohlwollend neutral verhalten können, auch dem, das die Kirche öder die Kitchen nach wie vor bekämpft und bedrängt, selbst wenn ein Minimum an Existenz kirchlichen Lebens toleriert wird. Sollten auch diese kirchenfeindlichen Systeme eines Tages so weit kommen, daß sie jede Behinderung des kirchlichen Lebens aufgeben, dann würde sich die Frage nach der Vereinbarkeit erübrigen. Dann hätten sich diese Systeme aber in ihrem Wesen so sehr geändert, daß sie mit ihrer Herkunft nichts mehr gemein haben. Das heißt: Sie wären keine marxistischen Systeme mehr.

Das Wesen des Marxismus, das seine Unvereinbarkeit mit dem christlichen Glauben begründet, besteht ja noch immer darin, daß die Gottbezogenheit des Menschen ersetzt wird durch ein ausschließlich anthropozentrisches System, daß der Mensch zum alleinigen Beherrscher der Welt erklärt wird und der dank der menschlichen Allmacht produzierte materielle Überfluß das „Paradies“ verwirklicht. Die Erlösung des Menschen durch den Gott-Mensch wird im marxistischen System ersetzt durch die Selbsterlösung des Mensch-Gottes. Dazu genügt es nicht mehr, daß der Mensch sich „die Erde Untertan“ mache, er muß sie vielmehr „verändern“. Da sich im Urteil des Marxisten die göttliche Schöpfung der Menschenwelt als völlig unbrauchbar erweist, muß der Marxismus die Schöpfung einer — nun besseren — Welt nach seinen Vorstellungen wiederholen. Das gesellschaftspolitische Leitbild des Kommunismus, der den Marxismus noch immer am radikalsten verkörpert, ist denn auch ein dem Gehirn des Mensch-Gottes entsprungener Schöpfungsplan. Daß die Welt, die der Mensch nun auf eigene Faust mit seinen Mitteln neu zu schaffen versucht, zu den größten Unmenschlichkeiten führt, liegt in der — vom Marxismus eben verkannten — Natur des Menschen. Der Mensch, der sich aus seiner Bindung an Gott löst, wird Unmensch, eine Welt, die den Menschen als einzigen Maßstab und Mittelpunkt hat, wird zwangsläufig eine unmenschliche Welt. Daß ein gläubiger Katholik ein politisches System, das nach dieser Philosophie aufgerichtet ist, nicht unterstützen kann, liegt auf der Hand. Ebenso ist offenkundig, daß das Produkt der marxistischen Nach-Schöpfung nun nicht als das erklärt werden kann, was Gott eigentlich ohnehin gewollt hatte.

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