Wenig Richtung, Wenig Mut

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Vor unseren Augen stirbt in Polen das Christentum. Und das ist nicht die Leistung der libertären Propaganda. Das Christentum rotten wir selbst aus. (Ludwik Wi´sniewski)

Heute ist Polen der kranke Mann Europas. Seht ihr das nicht, ihr Abgeordneten und Senatoren? Ich klage euch der Zerstörung des Christentums an. (Pater Ludwik Wi´sniewski)

Dominikanerpater Ludwik Wi ´sniewski ist ein erfahrener Mann, der die europäische Geistesgeschichte in ihrer Tiefe und Breite kennt. Und so war der Titel des in Polen viel beachteten Beitrags des 81-Jährigen Geistlichen ganz sicher nicht zufällig gewählt. "J'accuse", also: "Ich klage an", so hatte bereits der französische Schriftsteller Émile Zola vor inzwischen 120 Jahren sein Pamphlet an den damaligen Staatspräsidenten Frankreichs betitelt, um auf die wahren, antisemitischen Hintergründe der berüchtigten Dreyfus-Affäre aufmerksam zu machen. Wi´sniewski, der in progressiven katholischen Kreisen Polens auch wegen seiner Oppositionstätigkeit während des Kommunismus große Autorität genießt, hat im Jänner dieses Jahres in der liberal-katholischen Wochenzeitung Tygodnik Powszechny ein vergleichbar schweres Geschütz aufgefahren -jedoch nicht nur gegen die umstrittene nationalkonservative Regierung, sondern auch gegen die katholische Kirche des Landes. "Vor unseren Augen stirbt in Polen das Christentum. Und das ist nicht die Leistung der libertären Propaganda, der Bestrebungen der Freimaurerlogen oder internationaler Verschwörungen. Das Christentum rotten wir selbst aus, die Geistlichen und die eifrigsten Mitglieder der Kirche, mit eigenen Händen und auf eigenen Wunsch", schrieb Wi´sniewski.

Unzureichender kirchlicher Widerstand

Was den Dominikaner, der stellvertretend für die weit gefasste Minderheitsfraktion progressiver Katholiken im Lande spricht, derart empört, ist nicht nur die Doppelmoral der nationalkonservativen Regierung, die gegen Fremde und Flüchtlinge agitiere, sich "in das Gewand des Verteidigers der christlichen Werte und der Kirche" kleide und "in den Medien ein ins Gebet versunkenes Gesicht" zeige. Eine Stimmung der Feindseligkeit habe sie geschaffen, eine Stimmung der Angst, so Wi´sniewski. Daher sei Polen heute "der kranke Mann Europas. Seht ihr das nicht, ihr Abgeordneten und Senatoren? Ich klage euch der Zerstörung des Christentums an", schreibt er.

Doch dass die regierende Recht und Gerechtigkeit (PiS) eine solche Politik betreiben könne, dies sei auch dem unzureichenden Widerstand vieler Kirchenhierarchen und Geistlichen des Landes geschuldet, die keine klaren Zeichen setzten, glaubt der Dominikaner, der bereits mit den höchsten Staatsorden ausgezeichnet wurde. Viele Bischöfe hofierten zudem den einflussreichen Redemptoristenpater Tadeusz Rydzyk, der mit seinem Medienimperium - dem Sender Radio Maryja, dem TV-Sender Trwam und der Tageszeitung Nasz Dziennik - "seit Jahren Gift" in die Gesellschaft einträufele. "Die einzige Kraft, die in Polen noch über eine gewisse Autorität verfügt, sind die Bischöfe. Daher erlaube ich mir zu bitten - übrigens im Namen vieler ähnlich Denkender: Bischöfe, tretet in die öffentliche Arena ein. Die Stunde hat geschlagen, dass ihr sehr, sehr gebraucht werdet -von der Kirche, aber auch von Polen", so Wi´sniewski.

Klare Worte, schwache Taten

Nun kam die Antwort, nach langen anderthalb Monaten. Es ist die Antwort des dominierenden, konservativen Flügels des Episkopats. Und so legte Stanisław Ga decki, Erzbischof von Posen und Vorsitzender der Bischofskonferenz, in einer langen Grundsatzpredigt zu den Beziehungen der Kirche in der Politik Anfang März dar, dass die "Kirche nicht auf Seiten der Rechten, der Linken und auch nicht des Zentrums ist, denn die Kirche hat ihre eigene Seite; die Kirche sollte auf der Seite Gottes stehen". Sie könne sich daher mit "keiner konkreten politischen Option identifizieren, dies wäre nämlich eine schädliche Entkernung der Mission der Kirche", so Ga decki.

Doch das eine sind Worte, das andere sind konkrete Handlungen in Beziehung zur Regierung. Die Kirche unterstützte die PiS mehr als nur zwischen den Zeilen, als diese noch in der Opposition verharrte, und auch in der ersten Zeit nach deren Machtantritt 2015. Nun, da der Episkopat die etlichen Folgen des Handelns dieser Regierung sieht -mit dem wachsenden Nationalismus, der Zerstörung der Unabhängigkeit der Justiz, den zunehmenden inneren Spaltungen der Gesellschaft und der Feindschaft gegenüber Fremden -emanzipieren sich zumindest Teile der Bischofskonferenz zögerlich von der Regierung. Zögerlich, weil die PiS aus Sicht der Hierarchen nach wie vor ihre bevorzugte politische Option ist. Doch es sei, sagt etwa Zbigniew Nosowski, Chefredakteur der renommierten katholischen Vierteljahreszeitschrift Wie ´z im Gespräch, immer deutlicher zu beobachten, dass die Hierarchen "die zunehmenden Gefahren für Polen und Europa sehen, die von dieser Regierung ausgehen". Das Problem: "Für die PiS sind nicht die Bischöfe, sondern die Stimme von Tadeusz Rydzyk der Referenzpunkt, denn hier sind die Wählerstimmen zu holen", sagt Nosowski.

Die Zahl der Menschen im Land jedoch, die sich die mehrende Kritik einzelner Würdenträger als Referenzpunkt nehmen, ist in aktuell brennenden Fragen vergleichsweise gering -insbesondere betrifft dies die Flüchtlingspolitik, aber auch den immer stärker aufkommenden Nationalismus. Wenn also Wojciech Polak, der Erzbischof von Gnesen und Primas Polens, im vergangenen Monat sagte, dass "Versuche, die eigene Nation in den Rang des Absoluten zu erheben", unzulässig und götzendienerisch seien -dann dringt diese wichtige und zugleich vage Position nicht wirklich zu vielen Menschen. Denn es steht inhaltliche Vagheit gegen die stürmischen Reden des Pater Rydzyk -dieser redet Klartext, meist pro Regierung, und allzu viele hören ihm zu. "Wenn nicht dieses Wunder geschehen wäre (der Wahlsieg der PiS 2015, Anm.), würden wir heute die Muslime hier haben. Vergessen wir dies nicht", sagt Rydzyk.

Die Bischöfe und Erzbischöfe indes wagen direkte Worte nicht, weder an die Regierung, noch an Rydzyk -von einer einheitlichen Position im Namen der gesamten Bischofskonferenz ganz zu schweigen. So bleibt alles im Vagen. Im April 2017, Monate nach den provokanten radikalen Märschen des Nationalfeiertags am 11. November im Jahr zuvor, veröffentlichte die Konferenz ein durchaus sorgenvolles Dokument: "Die christliche Gestalt des Patriotismus". Darin wird zwar der Nationalismus verurteilt und ein "gastfreundlicher Patriotismus" propagiert. "Wir wollen daran erinnern, dass der Patriotismus tief in das universelle Gebot der Nächstenliebe eingeschrieben ist", heißt es darin etwa. Ungefähr zur gleichen Zeit sagt die damalige Premierministerin Beata Szydło aber: "Es ist unmöglich, muslimische Flüchtlinge und Migranten von Terroristen zu trennen ( ). In einem muslimischen Flüchtling muss man einen potenziellen Terroristen sehen."

Nationalistische Matrix breitet sich aus

Solch harschen, Angst und Hass gebärenden Worte würden aber auch von vielen rangniedrigen Geistlichen an der Basis befeuert, sagt etwa Norman Davies, einer der renommiertesten Historiker, der zur Geschichte Polens forscht. Denn die "nationalistische Matrix", die sich im Land ausbreitet, werde "durch die katholische Kirche unterstützt". Der Klerus predige von Antiliberalismus und über gottlose Zeiten, und "die Gläubigen schlucken dieses Gift ununterbrochen", so Davies im November 2017 in einem Interview mit der Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Daher werde auch Papst Franziskus in Polen "verurteilt, als ob der Katholizismus nicht universell, also allgemeingültig, sondern national wäre".

Es bleibt die Frage, ob mehr Menschen im Land Gedanken wie solchen oder der Anklage des Pater Wi´sniewski zustimmen -die Zahl der Menschen, die aktives Kirchenleben praktizieren, sinkt jedenfalls. "Liebe Bischöfe, ihr seid es, die für die polnische Kirche und für die Verkündigung des reinen Evangeliums verantwortlich sind. Wenn ihr weiter passiv bleibt, werden sich die Kirchen leeren." Die vielen anderen Räume der Gesellschaft füllen sich derweil mit Angst und Ressentiment. "Daher", schreibt Wi´sniewski, "klage ich die Priester an, die Nationalismus und Feindseligkeit tolerieren." Eine mutige Stimme -die den Bischöfen wohl durchaus zu denken gab, weil sie auch von vielen besorgten Menschen geteilt wird. In seiner im März gehaltenen Homilie sagte Erzbischof Ga decki, "die Seelsorger sollten soweit wie möglich von der Ideologie entfernt sein, die den jeweiligen politischen Parteien zueigen sind".

Viel öffentlichen Widerhall auf diese Weisung gab es bislang nicht. Aber gesagt ist sie.

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