Wenn der Neid den Hass entfacht

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Brennende asylheime - das gibt es nur in Deutschland, hieß es noch vor kurzem. Warum sich die Übergriffe mehren und was man tun kann.

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Brennende asylheime - das gibt es nur in Deutschland, hieß es noch vor kurzem. Warum sich die Übergriffe mehren und was man tun kann.

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Im Sommer 2015 beschließt das Ehepaar D., im eigenen Gasthof im kärntnerischen Großkirchheim Asylwerber unterzubringen. Sowohl der Gemeinderat als auch der Bürgermeister sind gegen das Vorhaben. Gegenüber Medien äußert der Bürgermeister seine "Sorgen um die Sicherheit von Frauen im Ort", jemand müsse die Verantwortung übernehmen, wie man "die Triebe der Flüchtlinge beherrschen" könne. Er meint, die Hilfsbereitschaft der Menschen auf dem Land werde "schamlos ausgenützt". Auf Facebook kommt es darauf zu heftigen Diskussionen, Äußerungen wie "Gemma se daschlogn?" werden gepostet.

Kurz darauf explodiert ein Böller auf der Terrasse der Unterkunft. Frau und Herr D. erleiden Verletzungen im Gehörbereich, es werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Schließlich wird die geplante Flüchtlingsunterkunft doch nicht eröffnet, Ehepaar D. verkauft den Gasthof. Im Dezember kommt es wegen der verhetzenden Postings zu einer Gerichtsverhandlung. Der Verfasser, ein junger, bereits vorbestrafter Gemeindebewohner, sagt, er habe Angst gehabt, dass "die Ausländer seinen Verwandten etwas antun könnten". Er wird zu drei Monaten bedingter Haft verurteilt.

Fünfmal mehr Straftaten

Derartige Beispiele finden sich zuhauf im jüngsten Rassismus-Report des Vereins Zara (Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit). Kaum verwunderlich, hat sich die Zahl der fremdenfeindlichen Straftaten 2015 doch fast verfünffacht. Allein im ersten Quartal dieses Jahres hat das Innenministerium 13 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte registriert. Die jüngste Brandstiftung traf ein noch unbezogenes Quartier im oberösterreichischen Altenfelden. Es kam heuer aber auch schon zu Attacken auf bewohnte Quartiere in Hard (bei Bregenz), Klagenfurt und im steirischen Wettmannstätten. Aus dem Innenministerium heißt es dazu, dass man Asylunterkünfte "generell beobachtet und bei konkreten Hinweisen entsprechende Maßnahmen ergreift." Tatverdächtige konnten bislang aber nicht ausgeforscht werden.

Österreichische Politiker haben noch im Herbst des Vorjahres stolz darauf verwiesen, dass hier keine Asylheime brennen - ganz im Gegensatz zu Deutschland, wo sich allein im Vorjahr mehr als 500 rassistisch motivierte Anschläge ereignet haben (die Dunkelziffer liegt vermutlich weit höher). Die heile Alpenrepublik existierte in dieser Form allerdings nie. Eine parlamentarische Anfrage der Grünen legte offen, dass bis Ende des Vorjahres 16 Anschläge auf Personen und Unterkünfte verübt wurden. Überregionale Medien berichteten bloß nicht darüber und in den wenigsten Fällen wurden von der Polizei Täter ausgeforscht. Inzwischen wurde bekannt, dass es weitere angezeigte Übergriffe gegen bestehende oder geplante Flüchtlingsunterkünfte gab, etwa in Form von Brandanschlägen, telefonischen Bombendrohungen oder Sachbeschädigung.

Auffällig ist jedenfalls, dass es trotz der vielen fremdenfeindlichen Übergriffe in Deutschland dort keine große Rechtspartei gibt. Ob also ein statistischer Zusammenhang zwischen rechtsextremer Gewalt und der Stärke rechtspopulistischer Parteien besteht? Gut möglich, meint der Salzburger Politologe Reinhard Heinisch. Er verweist auf eine aktuelle englischsprachige Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass in Ländern mit starken Rechtspopulisten wie in Österreich rechte Gewalt seltener vorkommt. Der Verdacht liegt laut Heinisch nahe, dass solche Parteien einen Großteil der politischen Frustration "kanalisieren und abfangen".

Dialog mit Wohlstandsverlierern

Doch was treibt jemanden an, heimlich einen Anschlag auf ein Asylheim zu verüben? "Ein tief verankertes Gefühl, grundlos benachteiligt und bestohlen worden zu sein", meint Psychoanalytikerin Rotraud A. Perner. Eigene Mängel würden einfach ausgeblendet beziehungsweise nicht für verbesserungswürdig gehalten werden. "Es sind immer die anderen schuld, und dann kommen ein paar Bier dazu und die Anonymität der Gruppe -so schaukelt sich Neid zu Hass hoch und die Zerstörungslust fungiert als Kompensation." Wie kann man also präventiv auf Jugendliche einwirken? Nicht immer bietet die vielzitierte Bildung den Schutz vor rechtsradikalem Gedankengut, wie auch die schlagenden Verbindungen an den Universitäten verdeutlichen. "Bildung muss Wege aufzeigen, aus den frustrierenden Gefühlen der eigenen Bedeutungslosigkeit, des Versagens, des Wohlstandsverlierertums herauszukommen", so Perner. Dies sei Aufgabe der Sozialtherapie, um eine ich-stärkende und pro-soziale Identität jenseits der Kriminalität aufzubauen.

Für das Klima in Gemeinden und Städten, wo Flüchtlinge untergebracht sind, bräuchte es einen monatlichen Round Table mit Lehrkräften, Elternverein, Geistlichen und einer Vertretung der Blaulicht-Organisationen. "So könnten nötige Verhaltensweisen gefunden und persönlich weitergegeben werden", empfiehlt Perner. "Je mehr die Leute wissen, umso weniger Angst haben sie, und dann bahnt sich die Angst auch nicht so explosionsartig ihre Wege."

Am teils sehr feindseligen Klima gegenüber Flüchtlingen kann offenbar auch das vergleichsweise hohe Wohlstandsniveau im Land nichts ändern. Obwohl Österreich das zweithöchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im EU-Raum hat und die Bevölkerung laut Statistik Austria (Ende 2015) mit ihrer Lebensqualität sogar überdurchschnittlich zufrieden ist, stellt die EU-Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) Österreich kein gutes Zeugnis aus: Neben einem Anstieg antiislamischer sowie antisemitischer Übergriffe wächst insbesondere die Zahl hetzerischer Postings und Schriften im Internet. Vor allem durch die "Identitäre Bewegung" haben rechtsextreme Aktivitäten im Netz zugenommen. Wieso trotz großem Wohlstand soviel Hass herrscht? "Rassismus basiert immer auf Vorstellungen jenseits der Realität", betont der Politologe Farid Hafez. Vielmehr liege die Wurzel des Übels im fehlenden Bekenntnis von Politikern zur Einhaltung der UN-Flüchtlingskonvention und der daraus resultierenden Menschenrechte von Flüchtlingen.

FPÖ wird salonfähig

Hafez sieht einen Konnex zwischen der wiederholten Rede von "Asylmissbrauch und Kriminalität unter Asylwerbenden" und dem Rechtsruck von Teilen der Regierung im Flüchtlingsdiskurs. "In den letzten zwei Jahren wurden Positionen der FPÖ jeweils ein halbes Jahr später in weniger zugespitzter Form von der rechten Seite der Regierung übernommen", so Hafez. Er kritisiert das "parteipolitische Manöver" von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP), mit seinem "Law-and-Order-Diskurs" der FPÖ den Wind aus den Segeln nehmen zu wollen. Hafez fordert einen anderen Diskurs der politische Eliten, um wieder "über Daten und Fakten zu sprechen"."Auch wenn die FPÖ für ihre Lügen ein Jahr später vor Gericht steht, richten die Lügen Schaden an."

Ihren Anteil an dieser negativen Entwicklung haben auch manche Medien. Der österreichische Presserat hat im Laufe des Vorjahres zunehmend Boulevardmedien wie Krone oder Österreich wegen Falschmeldungen, Pauschalisierungen und Diffamierung von Flüchtlingen kritisiert. Im April behauptete die Krone, Asylwerber würden eine hohe Summe an Leistungen beziehen, im Juli verdächtigte sie Flüchtlinge pauschal des Terrorismus und im Oktober stellte der steirische Krone-Chefredakteur Christoph Biro Flüchtlinge mittels unrichtiger Tatsachenbehauptungen pauschal als gewalttätig und "unzivilisiert" dar.

Dabei ist die Zahl der nicht öffentlich bekannten Übergriffe in Form von Beschimpfungen in der Nachbarschaft und im öffentlichen Raum wahrscheinlich noch weitaus höher. Wenn plötzlich Aufkleber mit Sprüchen wie "Rapefugees not welcome"(engl. "rape": Vergewaltigung) oder "Der Bevölkerungsaustausch vernichtet unsere Traditionen, Werte und unseren Glauben" auf einem Dienstauto der Wiener Caritas kleben und sogar Helfer zur Zielscheibe werden, dann ist damit zwar (noch) niemand körperlich zu Schaden gekommen. Es zeigt aber eine bedenkliche Entwicklung, der es dringend gegenzusteuern gilt.

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