"Wenn ihr mit Tieren umgeht, achtet Gott"

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Der Stellenwert der Tiere und das Mensch-Tierverhältnis in den einzelnen Religionen ist noch weitgehend unerforscht.

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Der Stellenwert der Tiere und das Mensch-Tierverhältnis in den einzelnen Religionen ist noch weitgehend unerforscht.

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Obwohl es im religiösen Schrifttum unzählige Hinweise auf Tiere gibt, existiert kein einziges Werk, das sich maßgebend mit der Rolle der Tiere in der Geschichte der Weltreligionen befaßt", ist in der "Encyclopaedia of Religion" zu lesen.

Kaum erstaunlich also, daß sich bei der 8. Weltkonferenz über die Mensch-Tier-Beziehung, die im Herbst in Prag stattfand, ein erheblicher Teil der über 600 Delegierten zu einem Workshop zum Thema "Die Rolle der Mensch-Tier-Beziehung in den Weltreligionen" einfand. Denn während die Wissenschaft in den letzten 20 Jahren sehr viel über die psychologischen Aspekte der Mensch-Tier-Beziehung herausgefunden hat, ist der Zusammenhang zwischen unserem Verhältnis zu Tieren und deren Position in den Weltreligionen bisher kaum erforscht.

Kein leichtes Thema. Denn wenn auch in der Bibel steht, daß König Salomo "mit dem Vieh, den Vögeln, den Fischen und allerlei Gewürm" redete, wenn auch Jesus als "Lamm Gottes" bezeichnet wird - die Tiere kommen sowohl im Alten als auch im Neuen Testament insgesamt nicht so gut weg, wie man vielleicht aus heutiger Sicht erwarten würde. Auch der englische Tierarzt und Diakon der anglikanischen Kirche David Watson, der vor allem die positiven Erwähnungen, wie die Prophezeihung des Jesaja von der Ankunft des Erlösers ("Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Leopard lagert beim Böcklein, Kalb, Löwe und Schaf weiden zusammen und ein Kind hütet sie ..."), herausstreicht, weist darauf hin, daß nirgendwo im Neuen Testament von Ochs und Esel, die im Stall von Bethlehem an der Krippe standen, die Rede ist. Erst ein Pseudo-Matthäus, der im siebenten oder im achten Jahrhundert ein lateinisches "Evangelium" verfaßte, hat sich diese heute so populäre Idylle ausgedacht.

Symbole des Bösen?

Daß Tiere im Alten und danach auch im Neuen Testament oft als Symbole für das Böse herhalten mußten, geht wohl vor allem auf die Abgrenzung gegenüber den heidnischen ägyptischen Religionen zurück, in der die auf einem Hund reitende Isis und Gottheiten mit Tierköpfen, ein heiliger Stier und ein heiliger Käfer tonangebend waren.

Als Jahrhunderte später der Islam entstand, gab es diese "Konkurrenz" nicht mehr, und so ist der Koran auch weit "tierfreundlicher" als die Bibel. Immerhin haben sechs Suren des Koran Tiernamen als Titel: "die Kuh" (al Bakarah), die zweite und längste Sure, "Das Vieh" (al Anam), "Die Biene" (al Nahl), "Die Ameise" (al Naml), "Die Spinne" (al Ankabut) und "Der Elefant" (al Fil). In diesen, aber auch in vielen anderen Suren wird sehr oft - teilweise allegorisch - auf Tiere angespielt.

"Wenn ihr mit Tieren umgeht", so zitiert Mehmet S. Aydin, Professor an der Religiösen Fakultät der Universität Izmir, den Propheten Mohammed, "so achtet Gott! Sie haben keine Sprache, um sich Euch verständlich zu machen. Streichelt sie liebevoll, wenn ihr sie reitet, sie zähmt. Zeigt allem auf Erden Barmherzigkeit, auf daß Euch im Himmel Barmherzigkeit widerfahre."

In seiner religiösen Sammlung "Sunen" schreibt der Dichter Abu Davud von einer "in vielfältige Weise als sündig bekannten" Frau, die an einer Quelle vorbeikam und einen Hund, dem Verdursten nahe, auf der Erde liegen sah. Sie zog einen ihrer Schuhe aus und brachte darin dem Hund Wasser zu Trinken. Mohammed soll gesagt haben, daß aufgrund dieser barmherzigen Tat Allah der Frau alle ihre Sünden verziehen habe.

"Sehr viele Sünden" schreibt Mohammed, "würden vergeben, wenn die Menschen gut zu Tieren wären". Aber auch Mohammed unterscheidet zwischen "guten" und "gefährlichen" Tieren. Zu letzteren zählt er Skorpione, Krähen (die in der Wüste so manches Kamel um das Augenlicht gebracht haben), Schlangen, Mäuse, Ratten und "gefährliche" Hunde. Diese Tiere, dekretiert er, könnten auch an "heiligen Orten" ("al haram") getötet werden.

Ursprünglich, berichtet Religionswissenschaftler Figl, nahm Mohammed eine absolut feindselige Haltung gegen Hunde ein. Später beschränkte er sie auf die "gefährlichen Hunde", die es zu seiner Zeit in der Wüste unter anderem auch als Krankheitsüberträger in großer Zahl gab. Dennoch ist unter den Tieren, die mit den Menschen ins islamische Paradies eingehen dürften, auch ein Hund erwähnt.

Ansonsten ist aber dem treuesten Freund des Menschen in den heiligen Schriften der drei monotheistischen Religionen eine wenig attraktive Rolle zugedacht. Sophia Menache von der Universität Haifa hat nachgezählt, daß der Hund zweiunddreißigmal in der Bibel erwähnt wird - "meist in verächtlicher Weise". Sie zitiert auch den hochgelehrten Rabbi Nachman ben Isaak aus dem Babylonischen Talmud: "Wer einen wilden Hund in seinem Haus aufzieht, hält Liebe und Milde von seinem Haus fern. Er begibt sich auch der Ehrfurcht vor dem Himmel und dem Allmächtigen." Der Hund könne, wie es an anderen Stellen im Talmud heißt, durch sein wildes Gehabe Almosensuchende vertreiben. (Mildtätigkeit als gottgefälliges Tun spielt im Judentum eine besondere Rolle.) Und umgekehrt könnte er durch seine Demütigkeit gegenüber seinem Herrn diesen gegen Gott und die Priesterschaft hoffärtig machen.

An mehreren Stellen des Talmud postulieren die Schriftgelehrten, daß ein Hund nur am Stadtrand oder auf dem Land im Hause gehalten werden sollte, tagsüber angekettet und nur bei Nacht frei, um das Haus vor Einbrechern und Räubern zu schützen.

Menache verweist auch auf das 22. Kapitel der Offenbarung des Johannes im Neuen Testament. Darin ist von der Gemeinschaft der Seligen mit Gott die Rede. Die ausgeschlossenen Hunde befinden sich in denkbar schlechter Gesellschaft: "Denn draußen sind die Hunde, die Zuhälter, die Mörder, die Götzenanbeter und die Lügner."

Achtung vor dem Tier "Wie kommt es," fragt der buddhistische Mönch Wu Hung Bhiksu, Generalsekretär der Life Conservationist Association in Taiwan, "daß Menschen grausam sein können? Daß sie Tiere im Stich lassen können? Daß sie Tiere lieben?" Er erzählt von einemTierfreund, der sich einen Hund anschafft. Aber nach einiger Zeit wird der Hund durch Bellen und andere Eigenschaften dem Menschen lästig, und der Tierfreund setzt den Hund aus, oder der Hund muß gar sein Leben lassen.

Nach den Lehren des Buddhismus soll daher der Mensch, um die Gefahr späterer Grausamkeit auszuschalten, Hunde, Katzen und andere Heimtiere nicht zu Hausgenossen machen; es darf auch keine Zirkusse, keine Tiergärten geben, in denen wilde Tiere ihrer Freiheit beraubt sind. Und der Mensch ist zu strikter vegetarischer Diät verhalten.

"Ahimsa" (Gewaltlosigkeit), durch Gandhi auch in der westlichen Welt zum Begriff geworden, prägt in den in Indien entstandenen Religionen Hinduismus, Buddhismus und Jainismus auch die Beziehung Mensch-Tier. In den Upanischaden (den philosophisch-theologischen Abhandlungen des Brahmanismus) heißt es: "Der Mensch, der das Ich in seinem eigenen Ich sieht, findet es in allem." Und: "Diese Doktrin muß klarerweise zu einem Mitfühlen mit allen Lebewesen geführt haben."

Im Jainismus ist "Du sollst nicht töten" oberstes Gebot. Auch niedrigste Tiere wie Insekten dürfen nicht getötet werden. Der Buddhismus verlangt von seinen Anhängern, daß sie sich weder mit Tier- oder Fleischhandel noch mit der Schlachttierzucht befassen.

Religionswissenschaftler Figl weist auch auf die antike griechisch-römische Philosophie hin: Pythagoras etwa glaubte wie die Inder an die Wiedergeburt und wandte sich gegen das Töten von Tieren. Seine Maxime: "Hände weg von Lebewesen, die eine Seele haben!" (Weswegen im 19. Jahrhundert der Vegetarismus als "Pythagoräische Diät" bezeichnet wurde.)

Neue Perspektiven Im biblischen Buch Deuteronomium, wird im vierten Gebot (über die Arbeitsruhe am Sabbat) genau erläutert: "An diesem Tag sollst du nicht arbeiten, noch soll es dein Sohn, deine Tochter, deine Magd, noch dein Ochse, dein Esel, dein Vieh." Andere Gesetze im Alten Testament fordern das, was heute "artgerechte Tierhaltung" heißen würde: "Pflüge nicht mit einem Ochsen und einem Esel unter einem Joch". "Du sollst dem Ochsen, der auf deiner Tenne deine Früchte drischt, das Maul nicht verbinden." (Was übrigens Paulus im 1. Korintherbrief zu der Frage führt: "Sorgt Gott denn für die Ochsen?")

Ein erstes Anliegen des Christentums war die Abschaffung der nicht nur bei den Heiden, sondern damals auch bei den Juden noch gebräuchlichen Tieropfer. Fromme Urchristen lebten vegetarisch. 40 Tage hatte Jesus in der Wüste bei den wilden Tieren verbracht, und manche seiner treuesten Anhänger folgten diesem Beispiel.

Johann Figl: "Trotz vieler negativer Betrachtungen gibt es im Alten und Neuem Testament und im Koran ebenso wie in der jüdischen, der christlichen und der islamischen Tradition eine überraschende Anzahl von Regeln, die den Tierschutz und den sorgsamen Umgang des Menschen mit den Tieren bestimmen. Und in den östlichen Religionen und Philosophien findet man ebenfalls immer wieder neue Perspektiven über das Zusammenleben von Mensch und Tier."

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