Wenn Luzifer zu Louis Cyphre wird

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Das Böse wird nicht zuletzt in der christlichen Ikonografie „leibhaftig“ dargestellt. Es überrascht daher kaum, dass der Teufel auch im Film immer wieder regiert. Ein Versuch über das „Cinema Diabolo“ oder: Das Böse ist immer und überall (© EAV). Vier teuflische Filmbeispiele aus den letzten vier Jahrzehnten.

Wenn Luzifer das Licht bringt – und nicht die Dialektiker der Aufklärung –, dann ist es auch er, der das Licht spielen lässt. „Phosphoros“ nennt ihn Homer in der Odyssee, auch in Hesiods Theogonie taucht er auf. Tertullian und der Kirchenvater Hieronymus (in der Vulgata) entdecken ihn als Luzifer. Hochmut (zu viel Licht?) bringt ihn zu Fall. Bei Lukas (10,18) heißt es: „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz.“ Auch der Film ist eine teuflische Kunst, wo in der Herstellung das Zelluloid respektive „das Material“ belichtet wird. Damit wird das „Cinema Diabolo“ bespielt.

In der Poetik des Aristoteles steht, dass der Zuseher in der Tragödie durch die Nachahmung von Handelnden „Jammer“ (Eleos) und „Schaudern“ (Phobos) erfährt. Solcherart würde er einer Reinigung (Katharsis) zugeführt werden. In einer christlichen Ikonografie ist auch die Teufelsdarstellung ein notwendiger Vollzug: Indem ich mir ein Bild mache, begreife ich die Welt. Naheliegend ist es also, dass Luzifer in Personalform auftritt. Das Böse trägt so gesehen – mehr oder weniger – gut geschnittene Anzüge. Oder anders herum: Das Zeitkolorit der privaten Perversionen und populären Mythen lässt sich hervorragend im „Kino der Grausamkeit“ studieren. Im Folgenden richtet sich die Schlachtplatte nach den Moden der „diabolischen Dezennien“: Wohl bekomm’s!

„Der Exorzist“ und „Angel Heart“

„Es ist wohl ein Symptom für unsere wirre Zeit, dass die Leute in The Exorcist gerannt sind, um sich Angst machen zu lassen, weil sie schreien wollten. Verschreckt und angeekelt kamen sie wieder heraus –aber irgendwie doch stolz darauf, dass sie es ausgehalten haben“, verkündet William Everson im „Klassiker des Horrorfilms“. Regisseur William Friedkin war mit dem Horror-Schocker von 1973 bei Gott nicht der Erste: Seit den vorgeschichtlichen Höhlenzeichnungen erscheint das Böse im Bild. Auch in den „Historia von Dr. Johann Fausten“ (1583) verweisen schauerliche Teufelserscheinungen auf frühe Lichtbilder der Camera obscura und der Laterna magica. Der kranke Jesuitenpater Lancaster Merrin (Max von Sydow) entdeckt auf einer irakischen Ausgrabungsstätte eine Monsterfigur. Schnitt. In Georgetown bei Washington D.C. scheint die zwölfjährige Regan (Linda Blair) von einem Dämon besessen zu sein: Der heilbringende Exorzismus ist freilich keine Kinderjause. Legendär und dem Kartenverkauf sicher nicht abträglich waren die unglücklichen Todesfälle innerhalb der Film Crew.

Angel Heart aus 1987 (Regie Alan Parker) entspricht in seiner Handlung der eigentümlichen Logik eines Albtraumes, sagt der Großkritiker Roger Ebert. Voodoo, sprechende Namen, nervöse Hunde sobald Harry Angel/Johnny Favorite (Mickey Rourke) auftaucht, und ein vollbärtiger Robert de Niro als Louis Cyphre (!): Ein grotesker Gipfel der Hochglanzästhetik der 80er Jahre. New York City, 1955. Privatermittler Angel wird von Cyphre beauftragt, den im Zweiten Weltkrieg verschollenen Sänger Favorite zu finden. Schnitt. New Orleans. Favorite leidet unter Gedächtnisverlust, Angel nimmt seine Identität in einer Silvesternacht an, in welcher er den Soldaten rituell ermordet und sein noch zuckendes Herz isst. (Rückblende. Cyphre verspricht Karriere, Favorite gibt Seele.) Das Apollinische „Erkenne Dich selbst“ verkehrt sich in sein Dionysisches Gegenteil, wenn der Rourke-Charakter im Finale der Selbstbefragung – eine „Reise ans Ende der Nacht der schizoiden Spaltung“ – erkennen muss, dass nicht ein Monster – wie im „Exorzisten“ – von ihm Besitz ergriffen hat, sondern dass vielmehr er das Monster ist. Ein zynischer Schlusspunkt für ein narzisstisches Jahrzehnt.

„Im Auftrag des Teufels“ und „Requiem“

1997 – zehn Jahre nach Angel Heart – kommt Im Auftrag des Teufels (The Devil’s Advocate) in die Kinos. Regie führt Taylor Hackford. Als Südstaaten-Staranwalt Kevin Lomax ist Keanu Reeves und als charismatischer Kanzleiinhaber John Milton ist Al Pacino zu sehen. Milton lockt Lomax in den Moloch New York. Dort korrumpiert der Leibhaftige den Simpel mit allerlei Annehmlichkeiten, im Gegenzug „darf“ er einen Kinderschänder verteidigen. Nachdem er seinen Anstand verabschiedet hat, kommt er erst zur Vernunft, als sich seine Frau Mary Ann (Charlize Theron) umbringt. Jetzt offenbart ihm seine Mutter, dass der Topverdiener sein Vater ist. Dieser gibt sich als der Teufel in Person zu erkennen. Seine Absicht ist es, Kevin mit dessen Halbschwester den Antichristen zeugen zu lassen – ein Bezug zur aufklärerischen Dialektik: „Bildung“ führt manchmal in die Barbarei – John Milton zitiert aus dem epischen Gedicht „Paradise Lost“ seines „Namensvetters“, des britischen Staatsphilosophen: „Lieber in der Hölle regieren als im Himmel dienen!“ In der Schlusswendung wird vermeintlich alles gut. Das letzte Bild: ein böser Kamerablick Pacinos (des Teufels Fratze als Rufzeichen) verdeutlicht, hier herrscht Unentschlossenheit, hier wurden Kompromisse eingegangen. In den 90er Jahren bremsten die „bösen Geister der Vergangenheit“.

Die „schlecht gelaunten Geister der Gegenwart“ sind freilich um nichts erfreulicher. Hans-Christian Schmid liefert mit Requiem (2006) zwar ein Sittenbild der süddeutschen Provinz der 70er Jahre, der Film lässt sich aber auch dahingehend befragen, wie heute mit Abweichlern umgegangen wird. Michaela Klingler (Sandra Hüller) ist in ihrem Aktionsradius durch ihre epileptischen Anfälle stark eingeschränkt. Nur unwillig lassen sie die tief religiösen Eltern im liberalen Tübingen Pädagogik studieren. Michaela gewinnt die Überzeugung, dass sie vor Gott nicht genügt und daher vom Teufel besessen ist. Anlässlich einer Studienarbeit steigert sie sich in einen manischen Arbeitsrausch, der in einem psychischen Zusammenbruch endet. Im Elternhaus macht der heimische Pfarrer zusammen mit einem fanatischen Kollegen einen Exorzismus. Nachdem eine erste dramatische Sitzung gezeigt wird, verzichtet der Film auf weitere reißerische Bilder – eine Texteinblendung kündet davon, dass Michaela nach mehreren Exorzismen an Entkräftung gestorben ist.

Mag das Konzept der Leibhaftigkeit des Bösen manchen veraltet erscheinen: Eine schleierhafte Vorstellung von „Gut“ und „Böse“ haben jedoch die meisten. Wird Luzifer im Spiel der Mächte der (Film-)Geschichte einen Vorsprung herausholen?

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