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Wer kann kritisieren?

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Die Kirche kann nicht einfach der Kritik aus dem Weg gehen, indem sie der Welt aus dem Weg zu gehen versucht — als welthafte Gestalt der Welt eingewurzelt, hat sie nun einmal Gemeinschaft mit der Welt und ist der Gefahr der Verweltlichung ausgesetzt. Sie muß notwendig vieles von der Welt in sich tragen, ohne aufhören zu dürfen, sich von ihr zu unterscheiden. Freilich: ob sie nun auf diese oder eine andere Art „welthaft“ sein soll, wird nach Zeit und Ort verschieden und daher kriti-sierbar, anfechtbar sein.

Gerade das In-der-Welt-Sein, das Welthafte an der Kirche verleitet viele, zu meinen, da man die Welt und ihre Gesetzlichkeit kenne, in der man gemeinsam mit der Kirche lebe, so kenne man auch die an die Kirche anzulegenden Maßstäbe. Ja — die Kirche ist Volk, aber zugleich Volk Gottes, sie ist Leib, aber zugleich auf geheimnisvolle Weise der ihres göttlichen Stifters, in ihrer Sichtbarkeit ist sie Heilszeichen Gottes für

sich immer wieder in einer bestimmten historischen Situation verleiblichen, damit aber wird sie als geschichtliche Erscheinung unvermeidlich die Fehler und Irrwege ihrer Zeit mitmachen. Sie kann gar nicht anders. Damit aber hat auch die Kritik bis ans Ende der Geschichte in der Kirche ihren legitimen Platz.

Eine Episode aus Seipolds köstlichem Buch vom „Aufgeweckten

Siebenschläfer“ illustriert recht aktuell die Geschichtlichkeit der Kirche und die Notwendigkeit der Kritik an ihr: Der heilige Dionys von Ephesus wandelt im 20. Jahrhundert wieder auf Erden und gerät in Venedig in eine Frühmesse. Zuerst versteht er nicht, welche Worte der zittrige alte Priester an den Altarstufen murmelt, aber plötzlich: „Beim Herkules, dachte er sich, ist das möglich? Der Priester spricht lateinisch! Unzweifelhaft lateinisch. So ändern sich die Zeiten. Dionys entsann sich seines römischen Aufenthalts. Wie hatten sie damals im Kreise der Studenten über den Eigensinn der Bischöfe geschimpft, die um keinen Preis von der griechischen Kirchensprache abweichen wollten und daran festhielten wie die Bauern der Campagna am alten Heidentum. Dabei hatten in Rom nur die Gebildeten Griechisch verstanden, und die Gebildeten machten in der Kirche nur ein kleines Häuflein aus. So hatte sich also im Laufe der Jahrhunderte das Latein als Kirchensprache durchgesetzt. Man sieht, es ist doch nicht alle Kritik an kirchlichen Würdenträgern umsonst.“ Soweit Dionys mit seiner recht deutlichen Anspielung auf die Auseinandersetzung um die Volkssprache in der Liturgie.

die Welt. Um diese Ambivalenz muß die Kritik wissen, sie respektieren. So kann letztlich nur der an der Kirche Kritik üben — es ist hier nur von der verantwortlichen, mitsorgenden, konstruktiven Kritik die Rede—,der ihr Leben miterlebt. „Nur der kann beurteilen, ob sie ihre Norm erfüllt“ (Semmelroth).

Für den ist sie aber auch kein verbotener intellektueller Luxus, sondern Aufgabe und Auftrag. Hier gilt, daß nicht der am besten sieht, der versucht, einen fiktiven interstellaren Standpunkt einzunehmen, um so die Dinge aus der Distanz zu sehen, sondern der glaubend eintaucht bis in die lebendige Herzmitte der Kirche und von da aus mit der Wachheit und dem geschärften Auge des Liebenden sieht, was an ihr angepaßt, abgeschafft, erneuert werden müßte, um sie für die andern ebenso anziehend zu machen, wie sie für ihn selbst ist.

Die Kritik an der Kirche hat aber nicht nur am Mysterium ihre Grenze,

sondern auch an ihrer Menschlichkeit. Mit anderen Worten: nicht nur jene sind unfähig, die Kirche „maßstabgerecht“ zu sehen und zu beurteilen, die sich außerhalb ihres Lebensvollzugs stellen, sondern auch jene, die meinen, ihre Amtsträger müßten in allen Bereichen des menschlichen und gesellschaftlichen Daseins mit unfehlbarer Stimme entscheiden, und enttäuscht sind,

wenn sich diese Stimme als durchaus fehlbar erweist.

Weder Defätismus noch Triumphalismus

..Wir lehnen den . klerikalen Triumphalismus ab, der in der Mißachtung der kirchlichen Gebote die Wurzel aller Übel in der Welt zu finden meint. Geht aber der laikale Defätist nicht von der gleichen Uberschätzung der Kirche aus, der meint, die Kirche hätte die Folgen der konstantinischen Wendung voraussehen müssen, sie, hätte Hexenwahn und Inquisition vermeiden können?“ (Rahner). Wohl wird die Kirche immer wieder auch für die sogenannten profanen Bereiche Prinzipien des Handelns verkünden müssen. Da sich in diesen Bereichen das

ewige Heil der ihr Anvertrauten entscheidet, hier gewonnen oder verspielt werden kann, hat sie hiezu die Pflicht. Der Abstand zwischen diesen allgemeinen Prinzipien und dem konkreten Imperativ, den der einzelne für einen bestimmten Gegenstand, eine konkrete Situation der sittlichen Entscheidung braucht, ist jedoch heute ungleich größer als in früheren Zeiten. Die Vielschichtigkeit, Verflochtenheit und Kompliziertheit moderner Lebensverhältnisse verlangt dem Christen heute ein größeres Maß an Unterscheidungsgabe, an Eigenverantwortung,

Klugheit und Mut ab als früher. Die Kirche, besser die kirchlichen Amtsträger können wohl zu Tagesfragen konkrete Weisungen geben, bestimmte Handlungsweisen als mit der kirchlichen Lehre nicht mehr vereinbar bezeichnen — aber inwieweit diese Weisungen im konkreten Fall sachlich richtig sind, woher sie dieses negative Weisungsrecht herleiten und wo seine Grenzen sind, bleibt offen.

Damit sind aber diese Tagesfragen und Handlungsweisen für den Christen nicht moralisch indifferent, nur weil sie von der Kirche nicht mehr

lehrhaft adäquat durchreflektiert sind. Hier eben haben sich die Christen in den oben erwähnten Haltungen und. Tugenden einzuüben, um als „Mündige“ im konkreten Fall recht zu entscheiden wid zu handeln. Von persönlicher Gewissensbildung kann heute weniger dispensiert werden denn je.

Letztlich aber übersehen diese laikalen Defätisten, die der Kirche nicht verzeihen können, daß sie nicht alle konkreten geschichtlichen Situationen von vornherein unfehlbar voraus weiß und darnach handelt, was ihre eigentliche Aufgabe ist. Die erste und eigentliche Aufgabe der Kirche ist und bleibt eine religiöse die Taufe, die Feier der Eucharistie, die Verkündigung der Frohbotschaft, das Wachsen in Glaube, Hoffnung, Liebe.

Das kirchliche Lehramt kann kei nen christlichen Einheitsweg durch das Leben vorschreiben. Mit fortschreitender Entwicklung wird sich der Raum, innerhalb dessen es auseinandergehende Meinungen, Erkenntnisse, Aktionsmöglichkeiten für Christen gleichen Glaubens ge ben kann, noch vergrößern. Das ist kein Grund zur Beunruhigung. Die Kirche kann ihren Gläubigen keine „Modelle zur Weltbewältigung“ (Rahner) vorstellen. Diese Weltbewältigung ist Aufgabe der Christen, die die allgemeinen kirchlichen Richtlinien an ihre konkrete Situation adaptieren lernen müssen. Das Fehlen konkreter kirchlicher Weisungen und Festlegungen darf der Kirche nicht zum Vorwurf gemacht werden, sie wäre damit überfordert. Wenn sie dabei „versagt“, so ist das eher ein grundsätzliches Nicht-können.

„Die Überschätzung der Möglichkeiten der Kirche für die unmittelbare Gestaltung der Welt pflegt mit einer Unterschätzung der Bedeutung und Heiligkeit ihrer eigentlichen Aufgabe einherzugehen. Die Kirche bietet keine Modelle, wohl aber die Kraft, dieses Leben ohne Modelle zu bestehen. Wo immer Christen als solche handeln, handelt die Kirche in ihnen. Dies ist eine geschichtliche Offenbarung der Gnade, die Gott mit der Kirche als Ursakrament verbunden hat, und die Offenbarung der katholischen Wahrheit, daß zur Kirche nicht nur das Amt, sondern alle Getauften gehören und der Geist, der weht, wo er will (Rahner).

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