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Wer war Lukas?

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Zuerst stellt sich die Frage nach dem Autor. Wer war Lukas, welche Gedanken bewegten ihn, welche Quellen standen ihm zur Verfügung?

Schon Hieronymus schrieb (um 400 n. Chr.): „Lucas inter omnes evangelistas graeci sermonis erudi- tissimus fuit.“ Lukas war ein gebildeter Mann. Er verstand es, einen glatten, geschliffenen griechischen Stil zu schreiben. Seiner Abstammung nach dürfte er Syrer gewesen sein, seine Heimatstadt Antiochien. Obwohl seine geographischen Kenntnisse Palästinas ein wenig zu wünschen übrig ließen, war er ohne Zweifel ein Mann mit weitem Horizont.

Da auch die Apostelgeschichte von ihm verfaßt worden ist, ist seine Identifizierung möglich: Es handelt sich um den Arzt Lukas, den Paulus im Kolosserbrief erwähnt. Das läßt sich an Hand der sogenannten „Wir- Berichte“ in der Apostelgeschichte nachweisen. Da Lukas den missionierenden Paulus auf weiten Reisen begleitet hat, verbinden viele ideenmäßige Gemeinsamkeiten den Apostel und den Evangelisten.

Den Beweggrund für seinen Entschluß, zu schreiben, verrät Lukas selbst im Prolog. Er wollte einem Mann von Rang und Bildung namens Theophilus — und gewiß zugleich anderen Griechen desselben Standes — einen genauen, erschöpfenden und chronologisch geordneten Bericht zukommen lassen, um sie über Jesu Leben und Wirken zu unterrichten und ganz für den Glauben an Jesus Christus zu gewinnen. Die bereits vorhandenen Schriften, unter ihnen das Markusevangelium, sah er nicht für geeignet an; er hielt es für notwendig, seinen Lesern ein Buch zu schicken, das ihrer besonderen Art entgegenkam. Bei seiner Arbeit verfuhr Lukas wie ein gewissenhafter Historiker. Er zog die vorhandenen schriftlichen Quellen heran und befragte möglichst viele und zuverlässige Augenzeugen. Er war jünger als die Apostel und hatte Jesus nie gesehen.

Entstehung und Quellen

Die Frage nach dem Zeitpunkt der Abfassung des Lukasevangeliums ist von den Bibelwissenschaftlern verschieden beantwortet worden. Die Meinungen schwanken zwischen dem Jahr 64 und dem 9. Jahrzehnt Nach Prüfung und Vergleich der Argumentationen neigt der Schreiber dieser Zeilen dazu, den Beginn des 8. Jahrzehnts für das historische Datum zu halten.

Unter den schriftlichen Quellen, auf die Lukas sich stützte, ragt das Markusevangeliums hervor. Es ist nicht zu übersehen, daß er auch den Aufriß dieses Evangeliums übernommen hat Über seine übrigen Quellen sind die Forscher verschiedener Ansicht. Man spricht vom Matthäusevangelium, aber auch von einer verlorengegangenen ,.Redenquelle“. Einhellige Auffassung besteht aber darüber, daß Lukas es durch Fleiß und Sammeleifer verstanden hat, sich umfas-

die Jahr für Jahr in allen christlichen Kirchen vorgelesen und kommentiert wird. Durch viele Jahrhunderte hat sie alt und jung in die andächtigste Stimmung versetzt und schließlich das bewirkt, was man den Weihnachtszauber nennen könnte, dem sich niemand entziehen kann.

Es blieb unserer Zeit Vorbehalten, in Frage zu stellen, was früher niemand bezweifelte. Auch in der Theologie gibt es eine Richtung, die unter dem Motto „Entmythologisie- rung“ biblische Berichte und kirchliche Lehren schärfstens unter die Lupe zu nehmen bestrebt ist. Ob das gut und nützlich ist, steht auf einem anderen Blatt; jedenfalls geschieht es.

Man kann in unserem Fall der Entscheidungsfrage ausweichen und einfach von einer „Legende“ sprechen, die für den Glauben ihren Wert habe, wie Heinz Zähmt es tut. Man kann aber auch versuchen, das Problem mit den Mitteln der historischen Forschung aufzuhellen.

sende Informationen zu verschaffen, die weder Markus noch Matthäus zur Verfügung standen. Man spricht vom „Sondergut“ des Lukas. Solches Material verarbeitete er bei der Niederschrift der „Reiseberichte“ in den Kapiteln 9 bis 18 seines Evangeliums. Daraus schöpfte er auch bei der Darstellung der Geburtsgeschichte.

Wir können in diesem Zusammenhang nicht das Sondergut in seiner Gesamtheit untersuchen, wir beschränken uns auf die Frage nach der Quelle für den Weihnachtsbericht. Es muß eine palästinensische gewesen sein, wie aus dem Stil hervorgeht, den Lukas wählt. Er lehnt sich in der Treue des Historikers an die Darstellungsweise eines Gewährsmannes an, seine Sprache nimmt alttestamentliche Färbung an.

Gibt es Anhaltspunkte, die so viel Licht auf die Persönlichkeit werfen, von der Lukas das alles erfahren hat, daß wir sie zu identifizieren vermögen?

Kronzeugin Maria

Die Auffassung, es handle sich einfach um eine Sage oder um ein literarisches Elaborat des Lukas, läßt sich mit der Persönlichkeit, dem Vorhaben und mit dem historischen Ernst des Evangelisten gar nicht in Einklang bringen. Und so kritische Autoren wie Klostermann-Greß- mann haben klar gefolgert, daß die Alternative zur skeptischen Theorie die Annahme ist, der Bericht gehe letztlich auf beteiligte Personen zurück, also etwa auf Maria oder die Hirten. Er halbe dann „ohne jeden Abzug als glaubwürdig zu gelten, oder doch wenigstens insoweit, als nicht eben erst die Nachzählung Änderungen gebracht habe“.

Schon Schleiermacher hat an die Hirten als Träger der Überlieferung gedacht; aber Lukas erzählt viel mehr, als sie wissen konnten. Außerdem fehlt im Text jeder Hinweis darauf. Darüber müßte man sich zwar nicht wundern, denn es zählt nicht zu den Gewohnheiten des Evangelisten, Quellenangaben zu machen. Dennoch hat er entgegen dieser Regel gerade in unserem Abschnitt einen Satz eingefügt und bald darauf wiederholt, der zu denken gibt.

Es handelt sich um die Verse 19 und 51 im 2. Kapitel. Wohl die treffendsten Übersetzungen lauten: „Maria aber behielt alle diese Geschichten nachdenkend in ihrem Herzen“ bzw. „Maria aber bewahrte alle diese Worte und sammelte sie in ihrem Herzen.“ Warum betont Lukas dieses Erinnern, Erwägen und Sam- tneln der Mutter Jesu an zwei Stellen in einem Kapitel? — Doch gewiß deshalb, weil es für ihn und für uns von Wichtigkeit war und ist. Wir sind berechtigt, in diesen Sätzen einen wiederholten Hinweis auf die Quelle zu erblicken, auf die der Evangelist großen Wert legte und auf deren Erschließung der Historiker Lukas wahrscheinlich nicht wenig stolz war.

Jedermann wird zugeben müssen,

daß die Erinnerungen der Mutter als absolut authentisch zu gelten haben. Welche Mutter könnte sich an die Tage der Geburt ihrer Kinder, besonders des ersten Kindes, nicht erinnern?

Ist es auch einleuchtend, daß Maria selbst die einprägsamen

Ereignisse der Heiligen Nacht erzählt hat, so müssen wir doch 'weiter fragen, von wem Lukas das alles erfahren hat, denn es kann als sicher gelten, daß er es nicht direkt von Maria gehört hat. Sollte sein Weg den der Mutter Jesu je gekreuzt haben, so war er zu diesem Zeitpunkt gewiß viel zu jung, uim von ihr in solcher Weise ausgezeichnet zu werden.

Obschon wir über die Mittelsperson nie Gewißheit erlangen werden, können wir mit gutem Grund annehmen, daß Lukas sich in dem Bestreben, nur verbürgte Nachrichten zu sammeln, an den rechten Zeugen gewandt hat. Der Kreis der Menschen, die Auskunft geben konnten, dürfte nicht groß gewesen sein. Sicher war Maria eine Frau von stiller, zurückhaltender Art. Was sie „nachdenkend in ihrem Herzen behielt“, hat sie nicht jedermann erzählt, sondern nur solchen Menschen, die sie für würdig befand, die heiligen Geheimnisse zu vernehmen.

Wo waren die Gewährsleute?

Das Zusammentreffen des Lukas mit einer oder mehreren Personen, die Maria ins Vertrauen gezogen hatte, ist jedoch nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich. Man muß bedenken, daß Lukas ja auf der Suche nach Zeugen war; es war doch naheliegend, sie auch unter denen zu vermuten, die in der Umgebung der Mutter Jesu gelebt hatten.

Wo Lukas seine Gewährsleute gefunden und gesprochen hat, wissen wir leider nicht. Es kann in Palästina und dort wohl im Bergland von Judäa gewesen sein; es sind aber auch andere Orte, besonders Ephesus in Antiochien, in Betracht zu ziehen. Katholische Forscher vertreten die Auffassung, Maria habe ihre letzten Lebensjahre in der Nähe des Apostels Johannes in Ephesus verbracht; bevor er aber in Ephesus einzog, hatte Johannes in Antiochien gelebt. In beiden Orten können Menschen übriggeblieben sein, denen Maria ihre Erinnerungen erzählt hatte; beide Städte dürfte Lukas bereist haben und kann ihnen, die ihm so viel mitzuteilen hatten, begegnet sein.

Wer kritisch ist, wird allerdings noch fragen, warum diese Geschichte in den anderen drei Evangelien nicht oder nur andeutungsweise enthalten ist? — Hierauf ist zu entgegnen, daß Markus und Matthäus, die vor Lukas schrieben, sie wahrscheinlich nicht genau erfahren hatten, eben weil amzunehmen ist, daß Maria nur ihren nahen Vertrauten gegenüber aufschlossen gewesen sein dürfte. Erst Lukas, der eifrige Quellensammler, erfuhr mehr. Johannes indes hat sicher alles gewußt; aber er hat sein Evangelium ganz anders angelegt und betont dm letzten Vers selbst, daß er bei weitem nicht alles aufgeschrieben hat, was ihm über Jesus bekannt war.

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