Wider die Gefahr der Schönrederei

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Zur Ökumene: Was ist im Verlauf des Jahres denn real passiert? An Verbindlichem habe ich nichts gehört.

Thomas Kaufmann

Seit 2000 Professor für Kirchengeschichte an der evangelischen Theologischen Fakultät der Universität Göttingen. 2016 erschienen von ihm bei C. H. Beck "Erlöste und Verdammte -Eine Geschichte der Reformation" und "Martin Luther".

Am Reformationsfest, dem 31. Oktober, jährt sich der (legendäre) Thesenanschlag Luthers an die Schlosskirche zu Wittenberg zum 500. Mal. Der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann zieht im FURCHE-Gespräch eine kritische Bilanz des Reformationsjubiläums.

DIE FURCHE: War es richtig, Martin Luther im Jubiläumsjahr in den Mittelpunkt zu rücken?

Thomas Kaufmann: Nein, die Art, wie man ihn in diesem Jahr permanent, dominant oder gar ausschließlich in den Vordergrund gerückt hat, war eine Fehlentscheidung. In einem solchen Jahr des Reformationsjubiläums kommt es auch darauf an, die Vielfalt und Breite der Reformation, ihrer Denominationen und Auswirkungen, in den Blick zu nehmen. Das ist zu wenig und zu inkonsequent geschehen. Mich hat übrigens gar nicht so sehr gestört, dass Luther in diesem Jahr so stark vermarktet worden ist -bis hin zum Playmobil-Luther. Doch dass sich auch die evangelischen Kirchen in Deutschland an der Vermarktung solcher Produkte beteiligt haben, verstehe ich nicht.

DIE FURCHE: Sie sagen, Luther sei im Jubiläumsjahr seiner Ecken und Kanten beraubt und zu einer Art Schoßhündchen gemacht worden.

Kaufmann: Meine Kritik bezog sich auf die Anstrengungen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die Reformation mit der Moderne kompatibel zu machen und in unserer Gegenwart geltende Sachverhalte wie Toleranz, Partizipation, Gleichberechtigung der Frau, Demokratie und Menschenrechte in die Reformation hineinzuprojizieren. Demgegenüber muss man aber an die 'Anstößigkeit', Sperrigkeit und Fremdheit Luthers erinnern, der an Dämonen glaubte, von der Sündenverderbnis des Menschen überzeugt war oder an der mittelalterlichen Ständeordnung festhielt. Dieses hierarchische Gesellschaftskonzept hatte mit unseren Realitäten nicht viel zu tun.

DIE FURCHE: War Luther ein Antisemit oder gar ein Wegbereiter der Schoa?

Kaufmann: Er vertrat einen vormodernen Antisemitismus, wobei er von der angeblichen Wesensnatur der Juden her argumentierte und weit über das hinausging, was an negativer Kritik an den Juden in den biblischen Traditionen zu finden ist. Seine Hassvorstellungen und Ressentiments sind auf die Juden als bestimmte Menschengruppe bezogen, aber von ihm führt keine direkte Linie zu den biologistisch argumentierenden Rasse-Antisemiten. Er ist jedoch von diesen in Anspruch genommen und als Zeuge wachgerufen worden. Allerdings war der Judenhass im 16. Jahrhundert eine weit verbreitete Realität; Luther stieß deshalb mit seinen Ausbrüchen auf große Resonanz.

DIE FURCHE: Hat der Thesenanschlag an der Wittenberger Schlosskirche stattgefunden, war er tatsächlich die Initialzündung zur Reformation?

Kaufmann: Wenn es ihn gegeben hat, dann war er unspektakulär, denn das war damals die übliche Publikationsform für akademische Disputationsformen. Über die 95 Thesen ist allerdings nie disputiert worden. Entscheidend für ihre Wirkung war die Rasanz ihrer Verbreitung. Sobald sie gedruckt waren, entfalteten sie eine Eigendynamik -und das, obwohl es sich um sehr sperrige akademische Texte handelte, die für viele Zeitgenossen gar nicht verständlich waren. Die Verurteilung der Thesen durch mehrere Universitäten und die scharfe Reaktion Roms haben die Aufmerksamkeit zusätzlich auf dieses Dokument gelenkt.

DIE FURCHE: Was war denn das Hauptanliegen Luthers?

Kaufmann: Es ist schwer, ein Hauptanliegen zu nennen, denn dann kommt man schnell auf Formeln wie: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Luther wollte die Kirche aus einer fundamentalen Glaubwürdigkeitskrise retten und zu einem biblisch fundierten Verständnis von Umkehr und Buße einladen, die Menschen für die Hinwendung zu Gottes Heilswillen öffnen. Zentral ist für ihn, wie Gott sich in seinem Wort zu sich selbst und zum Menschen verhält. Dabei hat das Wort der Schrift für ihn einen Namen: Jesus Christus. Er ist es, der als Gottes Wort seinen Heilswillen mit uns verkörpert, vermittelt, verbürgt - wohlgemerkt: Christus allein und nicht ein Heilsapparat, die Kirche oder irgendwelche heiligen Helfer.

DIE FURCHE: Ist das Ihrer Meinung nach im Jubiläumsjahr zu kurz gekommen?

Kaufmann: Zumindest habe ich wenig davon gehört. Die Texte der EKD erstarren in Formelhaftigkeit und sprechen wenig davon, dass der Mensch von sich aus zu einem gelingenden Leben außerstande, ja zur Sünde verdammt ist. Zugegeben: Das sind sperrige Gedanken, die aber unbedingt erschlossen werden müssen, gerade in einem solchen Jubiläumsjahr.

DIE FURCHE: Den Theologen ist vorgeworfen worden, sie hätten sich aus der konstruktiven Diskussion abgemeldet und nichts zur Gegenwartsinterpretation der Reformation beigetragen, sondern nur kleinliche Kritik geübt. Ist das zutreffend?

Kaufmann: Das hängt von der Perspektive und der Ebene ab. Seit Jahren haben akademische Theologen verschiedener Fächer bei Kreis-und Landessynoden, in Gemeinden und Akademien Hunderte, ja Tausende von Vorträgen zu Reformationsthemen gehalten, aber das ist etwas, was sozusagen jenseits der Staatsaktionen liegt. Auch ich hätte mir von den Systematischen Theologen ein vernehmbareres Engagement gewünscht, aber das Problem war ein anderes: Die EKD ist mit ihrem Modell einer Luther-Dekade so stark vorgeprescht, dass es keine ruhige Bedenkzeit darüber gab, wie wir substanzielle Gehalte kommunizieren können. Sobald die EKD eine Kommission ins Leben gerufen hatte, die eine Reihe von Grundlagentexten verabschiedete, konnten Sie sich nur noch davon distanzieren oder ein alternatives Papier veröffentlichen, was aber viel Kraft und Energie gekostet und einen offenen Krieg bedeutet hätte. Von diesem unglücklichen Ausgangspunkt an ist viel schief gelaufen; die bis ins Astronomische hochgespielten Erwartungen konnten nur enttäuscht werden. Auf Gemeinde-und Kirchenkreis-Ebene aber gab es viele Aktivitäten, aufrechtes Engagement und gute Diskussionen über das, was Reformation bedeutet. Dort, auf lokaler und regionaler Ebene, hat die Beschäftigung mit der Reformation weitgehend überzeugend funktioniert.

DIE FURCHE: Erstmals wurde ein Reformationsjubiläum ökumenisch gefeiert.

Kaufmann: Im Vorfeld des Reformationsjubiläums gab es auf katholischer Seite, sowohl im Vatikan wie in der Deutschen Bischofskonferenz, große Vorbehalte gegen gemeinsame Feiern. Erst nach dem Wechsel im Papstamt und bei den Vorsitzenden von Bischofskonferenz und EKD trat der ökumenische Gedanke stärker in den Vordergrund. Doch was ist im Verlauf des Jahres denn real passiert? An Verbindlichem habe ich nichts gehört. Im Hinblick auf die konfessionsverschiedenen Ehepaare ist keine Regelung zur gemeinsamen Teilnahme an der katholischen Eucharistie erreicht worden. Jedes Gespräch übers Amtsverständnis gleicht einer Mogelpackung, solange von evangelischer Seite aus nicht von vornherein darauf bestanden wird, dass es auch eine Amtsträgerschaft von Frauen gibt. In der Frage des gemeinsamen Abendmahls sind die Kirchen kein Stück näher gerückt.

DIE FURCHE: Es hat also keinen "ökumenischen Ruck" durch die "Konfessionsfeiern ohne Polemik" gegeben, wie der frühere vatikanische Chef-Ökumeniker Walter Kasper gelobt hat?

Kaufmann: Es ist gut, dass nicht mit Polemik agiert worden ist, aber man sollte sich vor Schönrederei hüten und nicht so tun, als hätte es nicht bereits seit dem Zweiten Weltkrieg eine Hinwendung der konfessionellen Lebenswelten zueinander gegeben. Offene Gegnerschaft von Protestanten und Katholiken war in unserem Land schon vor dem Jubiläumsjahr längst passé. Insofern missbillige ich auch das "Heilen der Erinnerungen", wie es beim Gottesdienst in Hildesheim und anderswo stattgefunden hat: Das ist geradezu ein Missbrauch des südafrikanischen Modells, mit dem tatsächlich Feindschaften beendet wurden. Es ist auch ganz und gar unevangelisch und ein großes Missverständnis zu meinen, man könnte fremde Schuld, etwa die der Vorfahren, vergeben. Um nicht missverstanden zu werden: Es gibt keine Alternative zu einem kritisch-freundlich-konstruktiven Miteinander. Mehr existiert aber auch nicht.

DIE FURCHE: Sie sagen, das Jubiläum sei vergeigt worden, die Jubiläumsblase geplatzt. Was bleibt trotzdem vom Reformationsjubiläum?

Kaufmann: Einige gute Ausstellungskataloge und Bücher, die Erfahrungen mit der Gestaltung eines Jubiläums und die Erkenntnis, dass ein solch komplexes historisches Phänomen wie die Reformation nicht auf einfache Formeln heruntergebrochen werden kann. Zweifelsohne hat die Reformation Pluralisierungsprozesse freigesetzt, die unser Alltagsleben bis heute mittelbar bestimmen. Jetzt stehen wir vor der Aufgabe, das Jubiläum als Gelegenheit zur Besinnung zu nutzen und nicht länger um entscheidende Sachverhalte herumzureden, vor allem aber vor der Herausforderung, dass das Verständnis Jesu Christi, die Bibel und das Bild vom Menschen als hilflos verlorenem Sünder thematisiert werden müssen.

Es ist gut, dass nicht mit Polemik agiert worden ist, aber man sollte nicht so tun, als hätte es nicht bereits seit dem II. Weltkrieg eine Hinwendung der konfessionellen Lebenswelten zueinander gegeben,

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