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Wider die heutige „Gottvergessenheit“

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Anlaß dieses Briefes eines langjährigen FURCHE- Mitarbeiters ist das Faktum, daß die Wiener Universität dieser Tage dem Theologen Johann Baptist Metz ein Ehrendoktorat verleiht.

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Anlaß dieses Briefes eines langjährigen FURCHE- Mitarbeiters ist das Faktum, daß die Wiener Universität dieser Tage dem Theologen Johann Baptist Metz ein Ehrendoktorat verleiht.

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Gott ist für uns Menschen zum Problem geworden! Die Selbstverständlichkeit, mit der Menschen an Gott glauben, ist jetzt verschwunden. Religionssoziologen sprechen vom Wegfall der gesell-schaftlichen Glaubwürdigkeitsstrukturen des Gottesglaubens in einer säkularisierten Welt. Die persönlichen Lebensüberzeugungen der Gläubigen erhalten in einer solchen Gesellschaft nicht mehr eine gesellschaftliche Bestätigung. Die Innerlichkeit der Menschen wird von der faktischen Gesellschaft nicht mehr bestärkt oder ermutigt. Sie wird vielmehr beunruhigt und verunsichert.

Charakteristisch ist der Übergang von Leben unter einer relativen Vorprogrammierung zu einem Leben in Entscheidungen.

Der oft beredete Verlust an Transzendenz in unserer Zivilisation und Kultur ist schon Denkklischee geworden. Der rationale Dünkel, der auf alles Irrationale verzichten zu können meint, läuft doch allemal auf mißverstandene Vernunft und Vernünftigkeit hinaus, wenn nicht auf intellektuellen Hochmut, den wir als „Aufklärung“ mißverstehen. Die Unruhe scheint auf geistigen Notstand zu verweisen. Ein Signal, das es wahrzunehmen und zu klären gilt.

Befällt nicht schon Menschen eine Sorge um Gott?

Der größte Aufklärer deutscher Sprache, Gotthold Ephraim Lessing, hat formuliert: „Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgend ein Mensch ist oder zu sein vermeint, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen.“ Gilt diese Aussage?

Auschwitz und Kolyma sind keine Ursachen der Gottlosigkeit, sagt Leszek Kolakowski. Viele Menschen erlägen der Versuchung, zu behaupten: Da solche Monstrositäten ein Werk von Gottlosen waren, sollten sie zur Verteidigung der Sache Gottes benützt werden. Aber die Versuchung sei gefährlich; denn aus der Geschichte sei uns zu viel Grausamkeit der Frommen bekannt.

Als Du bei jener „historischen“ Podiumsdiskussion 1967 mit Karl Rahner und Milan Machovec von atheistischen Philosophen gefragt wurdest, ob es denn für Christen nach Auschwitz noch Gebete geben könne, kam die Antwort: „Wir können nach Auschwitz beten, weil auch in Auschwitz gebetet wurde - im Gesang, im Geschrei der jüdischen Opfer.“ Damals fingst Du an, Auschwitz als die große Erschütterung der christlichen Theologie zu reflektieren. Und Deinen Studenten schärftest Du ein: „Fragt Euch, ob die Theologie, die Ihr kennen lernt, so ist, daß sie vor und nach Auschwitz eigentlich die gleiche sein könnte. Wenn ja, dann seid auf der Hut!“

Seither denkst Du, redest, schreibst und handelst Du gegen „Gottesmüdigkeit“ und „Gottvergessen“, gegen die Banalisierung und Domestizierung der jüdisch-biblischen Gottestradition. Und seitdem bestimmt Dich und Deine theologische Arbeit die Auffassung, daß es im Blick auf Auschwitz nicht nur um eine Überprüfung der christlichen Theologie des Judentums geht, sondern um eine Überprüfung christlicher Gottes-Rede überhaupt.

Hat Dein Kollege Herbert Vor- grimler zu Unrecht die Kategorie des Lobes gegen die Übermacht des Klagens und Vermissens in Deiner Theologie reklamiert?

Den Impetus des Futurischen, wie er von Emst Bloch her vehement in die Theologie eingebracht wurde, hast Du mit größtem Emst wahrgenommen. So diagnostizierst Du die Krise, die das europäische Christentum befallen hat, nicht primär und ausschließlich als Kirchenkrise, sondern als Gottes-Krise, die die ganze Europäische Geisteslandschaft angeht.

Leben wir nicht in einer Art reli gionsförmigen Gotteskrise? Könnte das Stichwort lauten: Religion, ja — Gott, nein; freilich nicht kategorisch „nein“ im Sinne der großen Atheismen?

Dir geht es offenbar nicht darum einen Bestand von Lehren vorzutragen, sondern um eine Analyse der Geschichte, in der Geschichte das Heilshandeln Gottes zu entdecken und in diesem Rückgriff die Gegenwart zu erhellen. Der Theologe muß die gegenwärtige aktuelle Situation reflektieren, er muß die Probleme angreifen, die sich in dieser Gegenwart stellen, sonst spricht er in den Wind.

Dieser Tage las ich bei Edward Schillebeeckx: „Ist unsere Kirche nicht wieder ein festgefügter Tempel geworden, fast ein neues Bollwerk aus dem der prophetische Geist verschwunden ist? Wo Gottes Ehre zwar Lob gesungen wird, aber wo über Menschen hinweggegangen wird? Ist nicht der Fetisch der Lehre und der etablierten Logik-Orthodoxie an die Stelle der Schafe und Rinder in Jeru-salem getreten, wobei diesmal Menschen zu Opfertieren gemacht werden? Bedarf es nicht einer neuen Tempelreinigung?“

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