"Wie ein Fisch im Wasser"

Werbung
Werbung
Werbung

Zum 800. Geburtstag der Mystikerin Mechthild von Magdeburg.

Eine 43-jährige Frau - nicht studiert, keinem Orden angehörend, ohne jede "amtskirchliche" Vollmacht - beginnt öffentlich zu reden und zu schreiben, zunächst wohl im kleinen Kreis ihrer Gefährtinnen, dann im immer größeren Radius der Stadt - trotz kirchlichen Verboten. So groß ist offenkundig ihre innere Gewissheit, das Selbst- und Sendungsbewusstsein. Just in dieser Zeit hatte eine Provinzialsynode in Magdeburg den Beginen ausdrücklich untersagt, ohne Genehmigung des Klerus und der Obrigkeit zu predigen. Mechthild tut es trotzdem. Die Rede ist von Mechthild von Magdeburg, um 1207 geboren (wie Elisabeth von Thüringen), acht Jahrzehnte später gestorben. Warum die Erinnerung an sie in höchst aktueller Absicht? Mindestens vier Gründe sind es.

I. Vom Heiligen Geist gegrüßt

Zuerst ihre sieben Bücher, unter dem Titel "Das fließende Licht der Gottheit" veröffentlicht: sie sind ein zugleich poetisches wie mystisches Dokument einer pionierhaften Suchbewegung, die vielleicht bedeutendste Komposition von Lyrik und Prosa in deutscher Sprache im Mittelalter.

Wird ein Mensch zu einer Stund Von wahrer Liebe gänzlich wund, So wird er nie mehr recht gesund Er küsse denn denselben Mund, Der seine Seele machte wund.

Hier sucht eine höchst originelle Autorin nach Worten für die Wirklichkeit, in der sie sich vorfindet. Hier spricht eine Frau, die den Mut zu einer unverwechselbar eigenen Biografie und Sprache hat - von Gottes Gnaden. All mein Lebtag, eh ich dieses Buch begann und von Gott ein einziges Wort davon in meine Seele kam, da war ich einer der einfältigsten Menschen, die je im geistlichen Leben waren, so notiert sie selbst. Mit 12 Jahren wurde sie zum ersten Mal vom Heiligen Geist gegrüßt, machte also die Erfahrung mystischer Gewissheit, die sie fortan umtrieb. Ob Dichterinnen und Mystikerinnen sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie ihrer Kindheitsintuition treu bleiben?

Jedenfalls verlässt Mechthild mit ca. 23 Jahren die Burg ihrer Herkunftsfamilie und geht völlig allein in die Stadt. Magdeburg ist damals im ökonomischen Aufschwung und ein Schmelztiegel unterschiedlichster Einflüsse. Zu Mechthilds Lebzeiten wird dort, als Symbol von Macht und Aufbruch, der Dom gebaut. Über 20 Jahre lebt und arbeitet Mechthild dort im Stillen, an vorderster Front entschiedener Christlichkeit, in Krankenpflege und Handarbeit, in bettelnder Solidarität und Bedürftigkeit, vor allem natürlich im Gebet und voller Gottesleidenschaft.

Dass sie sich in der Lebensmitte zum Schreiben und Predigen genötigt sieht wie die alttestamentlichen Propheten, lässt erahnen, was in diesen 20 Jahren geistlicher Adoleszenz gewachsen ist. Da spricht eine Ehefrau Christi mit einer poetischen und geistlichen Wucht ohnegleichen: Also ist dies Buch minniglich von Gott gekommen / Und ist nicht aus menschlichem Sinnen genommen.

Wer an Gott glaubt, wird nicht weniger Mensch, sondern mehr - dafür sind Mechthilds Selbstbewusstsein und ihr schriftstellerisches Werk ein hinreißender Beleg. Sie ist minnesiech, gottverliebt, wie es sich für biblisch ergriffene Menschen seit eh und je gehört. Mechthild, herabgestiegen von der Burg oben und heruntergekommen wie Gott in Christus selbst, wird ihrerseits zum ungelehrten Mund, der die gelehrte Zunge belehrt. Ob man heute von Laientheologie spricht oder besser von der Theologie des Volkes, der Armen? Mechthild jedenfalls sucht den Aufstieg nach unten, ihrem geliebten Mann Jesus Christus folgend.

II. Mein Fleisch verfällt Dir

Es ist die Zeit der Minnesänger, dies ein zweiter wichtiger Hinweis. Diese Troubadoura der Gottesminne kann nicht länger schweigen. Was sie überwältigt, sucht und schafft neue Sprach- und Lebensformen. Worauf Gott seine Hoffnung setzt, das wage ich - so sagt sie selbstbewusst, und davon sprechen ihre Gedichte. Es ist eine einzige Liebesgeschichte, ganz im Sinne der biblischen Zentralperspektive (sich von Gott lieben lassen, dann ihn lieben mit allen Kräften und den Nächsten wie sich selbst): Wenn meine Augen in der Verlassenheit trauern / Und mein Mund einfältig schweigt / Und meine Zunge, in Sehnsucht gebunden, / Und meine Sinne mich fragen Stunden um Stunden, / Was mir sei / Dann steht alles in mir, / Herr, gänzlich nach dir / Und mein Fleisch verfällt mir, / Und mein Blut vertrocknet, / Und mein Gebein erfriert, / Meine Adern krampfen, / Und mein Herz zerschmilzt nach deiner Minne / Und meine Seele schreit mit eines hungrigen Löwen Stimme. / Wie mir da ist? / Wo du dann bist? / Viel lieber, das sage mir!

Ein ständiges Zwiegespräch wie im biblischen Hohenlied, ein Dialog der Hingerissenen und Verliebten. Noch als alte Frau, vom Leben und Glauben erschöpft und voller Sehnsucht nach der endgültigen Kommunion, hört sie ihren Geliebten sagen: Ich habe dich begehrt, bevor die Welt begann. / Ich begehre Dein / Und Du begehrest Mein. / Wo zwei heiße Verlangen zusammenkommen, / Da ist die Minne vollkommen. Mechthilds Liebesmystik markiert in aller Schärfe den biblischen, den wohltuenden Unterschied zwischen Gott und Mensch.

Mir schmeckt nichts denn Gott alleine - das ist nicht Weltflucht, aber höchst realistische Einschätzung, dass unter den gegebenen Bedingungen in allem etwas zu wenig ist. Es muss mehr alles geben, und das hat Mechthild gefunden in dem Geheimnis, das wir Gott nennen. Im selben Atemzug aber entdeckt sie, und das ist das schlechthin Aufregende, den bedürftigen, den werbenden, den bittenden Gott. An allem hat Gott genug, nur an der menschlichen Seele hat er nie genug - also am ganzen Menschen, an der Welt.

Es ist eine verrückte Liebesgeschichte, in der Gott und Mensch in Christus sich suchen und zueinander finden wollen. Was in Jesus Christus, christlichem Glauben gemäß, schon geglückt ist, soll hier und jetzt glücken, für jeden Menschen und alle Welt. Mechthild bezeugt dies in förmlich theodramatischer und hingerissener Weise: Der Fisch kann im Wasser nicht ertrinken, / Der Vogel in den Lüften nicht versinken, / Das Gold ist im Feuer nie vergangen, / Denn es wird dort Klarheit und leuchtenden Glanz empfangen. / Gott hat allen Kreaturen das gegeben, / Dass sie ihrer Natur gemäß leben. / Wie könnte ich denn meiner Natur widerstehen? / Ich muss von allen Dingen weg zu Gott hingehen, / Der mein Vater ist von Natur, / Mein Bruder nach seiner Menschheit, / Mein Bräutigam von Minnen / Und ich die Seine ohne Beginnen. Nur in Gott ist der Mensch in seinem Element - so die Erfahrung Mechthilds. Nur in Gottes Liebe kann er selbst in seiner Liebeskraft aufblühen, wie der Fisch im Wasser, wie der Vogel in der Luft. Entsprechend überschäumend ist die poetische Sprache.

Gott sagt, so die Erfahrung Mechthilds, zum Menschen:

Du bist mein Lagerkissen, Mein Minnebett, Meine heimlichste Ruhe, Meine tiefste Sehnsucht, Meine höchste Herrlichkeit. Du bist eine Lust meiner Gottheit, Ein Trost meiner Menschheit."

III. Unter Luzifers Schwanz

Der dritte Punkt ist wohl der aktuellste: Mechthild von Magdeburg nämlich ist eine der ersten Christ/inn/en, vielleicht sogar die erste, die die notwendige Gottlosigkeit in der Glaubensbeziehung selbst entdeckt und ausarbeitet. Sie, die mit Bildern erotischer und sexueller Lust die Innigkeit der Gotteserfahrung beschreibt, bringt nun zur Sprache, was sie gotzvroemdunge, Gottesentfremdung nennt. Wie in einem inneren Psychodrama personifiziert sie das erschreckende Ausmaß dieses trotzdem wohltuenden Unterschiedes von Gott und Mensch, von Gott und Welt. Der Glaube geht weg, die Liebe geht weg, die Hoffnung geht weg, der Trost geht weg - auf der inneren Weltbühne des gottergriffenen Menschen ist niemand mehr da, einzig die Fremde Gottes.

Was seit dem Ende des 13. Jahrhunderts in unendlich vielen Erfahrungen, Geschichten und Sprachen formuliert wurde, taucht bei Mechthild zum ersten Mal pionierhaft auf: Die Gottlosigkeit in der Gottesbeziehung, die Gottesferne im Glauben, das Drama des Glaubenswachstums durch die dunkle Nacht hindurch, wie im Blindflug der Verzweiflung doch die österliche Kraft der Hoffnung! Mechthild sieht sich unter Luzifers Schwanz versetzt. Aber genau so entdeckt sie tiefer noch das Geheimnis Jesu, der hinabgestiegen ist bis in die Hölle. Indem sie die Erfahrung des Gottesentzugs und der Gottesentfremdung in der Nachfolge Jesu voll bewusst und radikal mitmacht, kann sie eine der unglaublichsten Sätze der bisherigen Christenheit sprechen: Nun vollzieht sich an mir die Herrlichkeit Gottes; denn jetzt verfährt Gott wunderbar mit mir, da mir seine Entfremdung lieber ist als er selbst.

Nichts mehr von egoistischem Gottesbesitz, nichts mehr von jener Haltung der Gottesprotzer, die die Wahrheit und Gnade gepachtet haben. Mechthild dringt zu jener unglaublichen Gottessolidarität durch, wo sie nichts mehr für sich will - auch Gott nicht. Auch der letzte Rest von religiösem Egoismus und spirituellem Narzissmus ist hier überwunden, frei ist der Mensch für Gott, und Gott erscheint als der bedürftigste von allen. Er sucht Mitliebende und findet so wenige.

O Herr, in der Tiefe der reinen Demut kann ich dir nicht entsinken, / O weh, doch im Hochmut kann ich Dir leicht entgleiten. / Aber je tiefer ich sinke, / Desto süßer ich trinke. Mechthild von Magdeburg intoniert das Thema der dunklen Nacht, der Gottesfinsternis, und sie besteht und beschreibt es als das Drama einer wechselseitig sich stützenden und tragenden Liebe. Mystikerinnen sind erwachsen gewordene Christen, nicht mehr ich- und gottessüchtig, sondern beziehungsstark und mit dem Mut zur Stellvertretung bis zum Äußersten.

IV. Die faule Christenheit

Auch im vierten Punkt ist Mechthild von bleibender Aktualität: die Wandlung am eigenen Leib nämlich führt zu einem neuen Blick auf Mitchristen und Kirche. Je leidenschaftlicher in Gott verwurzelt, desto sensibler für die gesellschaftlichen und kirchlichen Verhältnisse. Je dankbarer in den kirchlichen Glaubenszusammenhang eingewurzelt, desto heftiger das Leiden an der realexistierenden Kirche. Wie groß kann die Kluft sein zwischen Ideal und Wirklichkeit. Mechthild dokumentiert beispielhaft den typisch christlichen Zusammenhang von Kirchenbindung und Kirchenkritik.

Heftig attackiert sie die faule Christenheit. Sie will sie liebevoll in den Arm nehmen und sozusagen durchschleppen, aber es wird ihr zu schwer und der geliebte Christus muss ihr helfen. Vor allem im Klerus kritisiert sie Machtsucht und Egoismus, stinkende Böcke seien die Prälaten und dringend der Bekehrung bedürftig. Mystik und Reformation gehören untrennbar zusammen. Fasziniert von den Bettelorden, der spirituellen Avantgarde damals, plädiert Mechthild für einen neuen endzeitlichen Orden, der endlich die Verheißungen des Evangeliums glaubwürdig realisiert - solidarisch an der Seite der Armen, absichtslos und voller Vergebungskompetenz, einzig der Liebe Gottes und dem Wohl der Mit- menschen hingegeben. Mitten in der Männerkirche weiß sich diese Frau prophetisch berufen als ungelehrter Mund der Gottheit, als Laientheologin unmittelbar in der Schule Gottes kritisiert sie die Klerikerkirche.

Offensichtlich erschöpft und am Ende ihrer Kräfte findet Mechthild Unterschlupf im Kloster Helfta und stiftet dort jüngere Frauen noch mit an, denselben Weg auf eigene Weise zu suchen, wie z.B. Gertrud von Helfta. Schon erblindet bleibt sie voller Zuversicht: Herr, ich danke Dir, dass Du mir die Macht meiner Augen genommen hast, dass Du mir nun dienst mit fremden Augen./Herr, ich danke Dir, dass Du mir die Macht meiner Hände genommen hast, dass Du mir nun dienst mit fremden Händen. In Helfta ist sie zwischen 1282 und 1294 gestorben.

Der Autor ist Ordinariatsrat im Bistum Limburg und hat Bücher auch zum Thema Mystik verfasst.

Homepage zum Mechthildjahr:

www.mechthild-von-magdeburg.de

Buchtipp:

Mechthild von Magdeburg

Poetin - Begine - Mystikerin

Von Hildegund Keul. Verlag Herder, Freiburg 2007. 176 S., geb. € 17,40

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung