Im Sommersemester habe ich ein Seminar zu Madeleine Delbrêl angeboten. Sie hat etwas geschafft, das so schwer ist: das eigene Milieu und seine Mechanismen und Mentalitäten zu übersteigen. Sie ging 1933 als Christin ins kommunistische Ivry, aus Solidarität mit dem Kampf des Kommunismus für soziale Gerechtigkeit und gegen die Herrschaft des Kapitalismus, und auch, um im kommunistischen Milieu dessen eigenen Verengungen aufzubrechen.
"Wir verteidigen Gott als unser Eigentum" hat sie geschrieben, "wir verkünden ihn nicht als das Leben allen Lebens, als den unmittelbaren Nächsten all dessen, was lebt. Wir teilen nicht die ewige Neuigkeit Gottes mit, sondern sind Polemiker, die eine Lebensanschauung verteidigen, die überdauern soll."
Sie war charmant und fromm, selbstständig und treu, individualistisch und hat doch eine kleine Gemeinschaft gegründet. Sie hat die Arbeiterpriester unterstützt und geschrieben: "Die Liebe ist unsere einzige Aufgabe." Sie hat die Prinzipien des II. Vatikanischen Konzils realisiert, bevor es überhaupt stattfand: das Sich-Aussetzen dem und den anderen, die Universalität des Heilsangebots Gottes, die Selbstlosigkeit allen kirchlichen Handelns, das Bündnis mit allen Menschen "guten Willens". Mitten im Sommer und in das Versprechen seiner Leichtigkeit hinein, möchte ich Ihnen ein Gebet von Madeleine Delbrêl mitgeben. Es ist der Schluss eines längeren Textes mit dem merkwürdigen Titel "Tanz des Gehorsams":
Gib, dass wir unser Dasein leben / Nicht wie ein Schachspiel, bei dem alles berechnet ist, / Nicht wie einen Wettkampf, bei dem alles schwierig ist, / Nicht wie einen Lehrsatz, bei dem wir uns den Kopf zerbrechen, / Sondern wie ein Fest ohne Ende, / bei dem man dir immer wieder begegnet, / Wie einen Ball, / Wie einen Tanz, / In den Armen deiner Gnade, / Zu der Musik allumfassender Liebe. / Herr, komm und lade uns ein.
Der Autor ist katholischer Pastoraltheologe an der Universität Graz
