Wie gehen Bibel und Dogma zusammen?

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In FURCHE 5/2017 kritisierte Paul Weß insbesondere die Neuübertragung des Johannes-Prologs in der Revision der katholischen Einheitsübersetzung der Bibel. Der Dogmatiker Bernhard Körner repliziert: Die Exegese stützt keineswegs die Ansicht von Weß.

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In FURCHE 5/2017 kritisierte Paul Weß insbesondere die Neuübertragung des Johannes-Prologs in der Revision der katholischen Einheitsübersetzung der Bibel. Der Dogmatiker Bernhard Körner repliziert: Die Exegese stützt keineswegs die Ansicht von Weß.

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Ist die Bibel oder das Dogma der Maßstab? So ist ein Beitrag von Paul Weß überschrieben, der als "Gastkommentar" in der Furche (FURCHE 5/2017, Seite 15) veröffentlicht worden ist. Es geht um den Maßstab für die revidierte Einheitsübersetzung. Aber wie im Beitrag ersichtlich, geht es dabei (auch) um die Frage, ob die Bibel oder das Dogma der Maßstab für den christlichen Glauben ist. Die Antwort ist für Paul Weß klar: Das griechische Neue Testament ist der entscheidende Maßstab. So kommt Weß dazu, dass er - gegen die kirchliche Lehre - Christus nur als 'wahren Menschen' gelten lässt. Damit stellen sich zwei Fragen: die Frage der Schriftauslegung und die Frage der Christologie.

Ist die Bibel oder das Dogma der Maßstab? Die grundsätzliche Antwort auf diese Frage ist einfach: Weder die Bibel noch das Dogma sind der entscheidende Maßstab des christlichen Glaubens, sondern das Wort Gottes. Das mag wie Haarspalterei klingen, bringt aber eine zentrale Einsicht des Zweiten Vatikanischen Konzils im Dokument Dei Verbum (DV) zur Geltung.

Maßstab ist nicht der wortwörtlich verstandene biblische Text, sondern der geoffenbarte Sinn, der durch den biblischen Text vermittelt wird. Das Konzil hat festgehalten, dass "Gott in der heiligen Schrift durch Menschen nach Menschart gesprochen hat" (DV 12). Und deshalb muss aus den menschlichen Worten erst das Wort Gottes, der geoffenbarte Sinn herausgefiltert werden. Aber dazu später. Zuerst ein kurzer Blick auf die Auslegung des Johannes-Prologs.

Jesus ist Gottes ureigenstes Wort

Die Art und Weise, wie Paul Weß den Johannes-Prolog interpretiert, hält einer Gegenprobe nicht Stand. Das zeigt sich z. B. in einem Standardwerk wie dem Johannes-Kommentar des Tübinger Bibelwissenschaftlers Michael Theobald, der übrigens maßgeblich an der Revision der Einheitsübersetzung mitgearbeitet hat. Theobald hat sich über Jahrzehnte mit dem Johannes-Evangelium und dem Prolog befasst und vertritt ohne Zögern und mit penibler Argumentation die vertraute Gestalt und Auslegung des Textes. Kurz zusammengefasst sagt der Prolog in Verbindung mit dem Evangelium: Jesus ist Gottes ureigenstes Wort, Gottes authentische Selbstauslegung.

Theobalds umfangreiche Argumentation kann hier nicht im Detail nachgezeichnet werden. Nur so viel: Im Johannes-Prolog ist der Logos Gott (theos) nicht nur göttlich (theios). So kommt Theobald zur Auslegung: Der Logos ist von Gottes Wesen, insofern sich in ihm der einzige Gott ausspricht. Ebenso ist für Theobald klar, dass der Logos in Christus Fleisch geworden ist und dass sich die Übersetzung 'einziggeboren' nahe legt, weil vom Vater (und damit implizit auch vom Sohn) die Rede ist.

Der Beitrag von Paul Weß ist aber auch ein guter Anlass, das Verhältnis von Bibel und Dogma etwas grundsätzlicher zu bedenken. Wie bereits oben festgestellt: Der Maßstab für den authentischen Glauben ist nicht die wortwörtlich verstandene Bibel, nicht das Dogma, sondern das Wort Gottes. Was das Wort Gottes sagt, liegt nicht einfach 'auf der Hand', sondern kommt in den von Menschen verfassten Worten der Bibel zur Sprache. Deshalb muss es erst aus dem Bibeltext durch Interpretation gewonnen werden. Wer z. B. die Schöpfungserzählung in der Genesis wörtlich nimmt, wird darin kein Wort Gottes erkennen können, sondern nur eine überholte Vorstellung davon, wie Gott die Welt erschaffen hat.

Lektüre und Relecture der Bibel

Um den biblischen Text als Wort Gottes für heute zu verstehen, muss der Text zuerst penibel historisch-kritisch ausgelegt werden: Was wollte der Autor seinen Hörern bzw. Lesern damals sagen? In einem zweiten Schritt geht es um die Frage, wie der Text im Glauben und, bezogen auf das heutige Wissen, als Wort Gottes verstanden werden kann. Für die Beantwortung dieser Frage hat das Konzil sachlich begründet festgelegt, dass die Bibel vor allem als Einheit gelesen werden muss und unter Berücksichtigung der Tradition, also der bisherigen Auslegung (vgl. DV 12).

Diese Auslegung im gegenwärtigen Kontext ist bereits in der Bibel selbst zu beobachten. Bestimmte Darstellungen (z. B. Schöpfungserzählung, Exodus usw.) werden in einem zeitlich späteren Stadium auf neue Weise zur Sprache gebracht. Dafür hat sich der Begriff der Relecture eingebürgert. Die altkirchlichen Konzilien, die das Bekenntnis zu Jesus Christus als wahrem Gott und wahrem Menschen formuliert haben, sind nichts anderes als ein neuerliches Lesen, eine Relecture der biblischen Aussagen - jetzt im Umfeld der hellenistischen Geisteswelt. Dabei hat man beide biblischen Aussage-Reihen berücksichtigt - die Aussagen, die Jesus als Menschen zeigen, und die Aussagen, die ihn in seiner Göttlichkeit zeigen. Der Johannes-Prolog hat dabei sicher eine wichtige Rolle gespielt, aber es wurden selbstverständlich auch andere einschlägigen Aussagen des Neuen Testaments berücksichtigt. Alles in allem: Die Sprache der Bibel und die Sprache des Dogmas unterscheiden sich, aber sie bezeugen den gleichen Glauben.

Eine grundlegende Wahrheit

Die Aussagen der Konzilien in den ersten Jahrhunderten zielen auf eine für den christlichen Glauben grundlegende Wahrheit: In Jesus Christus begegnet uns wirklich Gott selbst - in seinem Logos. Oder im Sinn der Auslegung des Johannes-Prologs durch Michael Theobald: Jesus ist Gottes ureigenstes Wort, Gottes authentische Selbstauslegung. Mit einfachen Worten: Wenn ich auf Jesus, sein Leben, Handeln und Lehren blicke, weiß ich, wer und wie Gott ist. Und wenn der Erste Johannes-Brief sagt, dass Gott die Liebe ist (1 Joh 4,16), dann bezieht er sich nicht auf die Behauptung und Botschaft eines Propheten, sondern er fasst zusammen, was im Leben und in der Lebenshingabe Jesu sichtbar und greifbar geworden ist. Daher hat sich in der Theologie die (nicht sehr elegante, aber zutreffende) Rede von der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus seinem Sohn eingebürgert.

Kleines Postskriptum: Es gibt einen Unterschied zwischen den vorsichtigen Formulierungen des Konzils von Chalzedon (Walter Kasper spricht sogar von einer "Christologia negativa"!), also der Art und Weise, wie Jesus als Mensch gewordener Sohn Gottes gedacht wird und der Art und Weise, wie man sich Jesus als wahren Gott und Mensch vorstellt bzw. nicht vorstellen kann. Auch im Glauben kann man, wie in den Wissenschaften, manches denken, was man sich aber nicht vorstellen kann.

Der Autor ist Prof. f. Dogmatik an der Kath.-Theol. Fak. der Uni Graz

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