Die Furche Herausgeber
Da saß der scheidende Staatsoperndirektor Ioan Holender vor dem Altar – und erzählte aus seinem Leben: vom rumänischen Emigranten im Lager Traiskirchen bis an die Spitze der europäischen Kultur.
Da brauste zeitgleich der erste Soloposaunist der Wiener Philharmoniker, Dietmar Küblböck, noch spätabends, nach einem Konzert im Musikverein, in das Wiener Umland, um für „Gottes Lohn“ in einer Kirche zu musizieren.
Und da waren die unzähligen anderen, die von dieser „Langen Nacht der Kirchen“ angezogen wurden: um selbst Programm zu machen; um Programm zu erleben – oder um einfach still zu sein. 350.000 waren es nach ersten Zählungen.
Kontrast zu Horrorzahlen
Welch seltsamer – und spannender – Kontrast zu all den Furchtbarkeiten, in die Österreichs Kirche zuletzt hineingeraten ist. Zu all den Horrorzahlen über Kirchenaustritte. Zu all dem Argwohn, der heute über dem Klerus liegt.
Nein, man sollte jetzt nicht der Verlockung erliegen, in den Rekordzahlen dieser „Langen Nacht der Kirchen“ schon ein Vorzeichen für das nahende Ende jener Dunkelheit zu sehen, in die alles Kirchliche für so viele Menschen getaucht ist. Die – in einem anderen, bitteren Wortsinn – „Lange Nacht der Kirchen“ ist nicht überstanden. Und die Gottesdienste in unserem Land werden auch nach diesem langen Freitag nicht besser besucht sein als vorher.
Da war natürlich auch viel Schaulust und Oberflächlichkeit mit im Spiel, als etwa 50.000 Menschen die Lichtinstallationen im Wiener Stephansdom bestaunten. Da lockte Abenteuerlust, zu Türmerstuben hinauf- und in Katakomben hinabzusteigen.
Und viele – sehr viele – Landsleute werden diese nächtliche Begegnung mit dem Sakralen inzwischen als Blick auf etwas gänzlich Fremdgewordenes empfunden haben.
Trotzdem: Der Erfolg dieser Nacht der großen (auch interkonfessionellen) Öffnung verdient es, genauer untersucht zu werden. Vor allem von den Veranstaltern selbst. Warum gelingt für diesen einen Tag des Jahres ein so erfolgreiches kirchliches Marketing? Warum überschreiten gerade in diesen Stunden so viele Menschen die Schwellen der Kirchentore, die sonst nie in Gotteshäuser zu bringen sind? Warum wird „Kirche“ als Raum und Institution für ein paar Stunden attraktiver und lebensnäher – gerade dort, wo sie sich bewusst der Alltags-Trivialität verweigert?
Nicht nur die „Amtskirche“
Warum trifft das Mystische so viele Herzen und Seelen – und warum nur in dieser Nacht? Was können denn die vielen Stunden der „Langen Nacht“, was die knappe Stunde der Sonntagsmesse nicht kann? Obwohl dort das Mysterium für jene, die noch ein Sensorium dafür haben, weit unmittelbarer erlebbar ist.
Das Nachdenken über die Lehren aus der „Langen Nacht“ müsste aber noch weiter gehen – und jeden Gläubigen in diesem Land miteinschließen. Für die Attraktivität und Überzeugungskraft von Religion und Glaube ist nicht nur die „Amtskirche“ verantwortlich – und auch nicht nur diese eine von 365 Tagen und Nächten im Jahr.
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