Wie sie einander lieben

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Die Art, wie Kardinal Schönborn seinen Generalvikar abberief, entsetzt das Kirchenvolk (siehe auch die Seiten 3, 7 & 10).

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Die Art, wie Kardinal Schönborn seinen Generalvikar abberief, entsetzt das Kirchenvolk (siehe auch die Seiten 3, 7 & 10).

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Fast scheint es, als sei in der katholischen Kirche Österreichs ein Wettstreit im Gange, wie man am besten die Gläubigen verärgern könnte. Die Proteste und Austrittsdrohungen seien aber nach der Abberufung des Wiener Generalvikars Helmut Schüller durch Christoph Kardinal Schönborn geringer als während der Affäre Groer, so hört man - wie beruhigend! - aus der Erzdiözese Wien.

Seit Jahren betonen, mit einiger Berechtigung, kluge Kirchenmitglieder, daß bei Kirche und Glauben ganz anderes viel wesentlicher sei als kirchenpolitische Dispute, daß es doch vor allem auf die Beziehung zu Gott, auf Bekehrung, Gebet, Spiritualität, Leben aus dem Glauben ankomme, nicht auf Strukturen oder Personen. Auf diesem Boden wächst aber auch subtile Machtausübung. Auf gut deutsch: Man möge ruhig den weisen Amtsträgern überlassen, wie die Strukturen der Kirche aussehen und welche Personen die wichtigsten Posten innehaben, und sich lieber einem frommen, der Kirchenleitung gehorsamen Leben widmen. Weniger gut deutsch wird das in der Sprache des kleinen Mannes ebenso respektlos wie treffend mit "Hände falten, Goschen halten" formuliert.

Wie wenig eine säuberliche Trennung zwischen Glaubensleben und Kirchenpolitik funktioniert, zeigt das innerkirchliche Erdbeben nach der Abberufung von Helmut Schüller. Der persönliche Glaube des einzelnen mag von Konflikten dieser Art unberührt sein, der Glaube innerhalb einer Glaubensgemeinschaft sicher nicht. Wenn man an den frühen Christen bewundert hat, "wie sie einander lieben", und daher auch ihren Glauben attraktiv fand, so ist auch heute der Umgang von Christen, vor allem von hohen geistlichen Würdenträgern, miteinander nicht unwesentlich dafür, was Menschen von dieser Kirche halten.

Insofern war der bei Nacht dem Generalvikar vor die Tür gelegte Kündigungsbrief des Wiener Erzbischofs ein verheerendes Signal, das man gerade von einem gebildeten Aristokraten nicht erwartet hat. Daß Kardinal Schönborn sich für die Vorgangsweise entschuldigt hat, sei dankend vermerkt. Ganz unzutreffend ist der ihm verliehene Titel "Meister im Entschuldigen für seine Fehler und Fehler anderer" (Copyright Ingrid Thurner vom Kirchenvolks-Begehren) aber leider nicht, und Schönborn sollte sich Mühe geben, ihn bald wieder loszuwerden.

Daß er als Bischof das Recht hat, seine Mitarbeiter auszutauschen, ist völlig unbestritten. Nur gerät der Eindruck von Führungskompetenz, der damit vermittelt werden soll, ins Wanken, wenn er erstens diesen Schritt nicht ausreichend begründet, zweitens nicht gleichzeitig einen Nachfolger präsentiert, drittens dem Abberufenen nicht sofort eine seinen Fähigkeiten entsprechende neue Aufgabe offeriert, viertens damit Schüller in seinem - ja offenkundig in Absprache mit Schönborn ausgetragenen - Konflikt mit Bischof Krenn in den Rücken fällt und fünftens offenbar die Reaktion der Öffentlichkeit völlig unterschätzt.

All das zusammen macht den Eindruck einer Panikhandlung. Liegt ihr ein fürchterliches Zerwürfnis zwischen Schönborn und Schüller aus noch unbekannten Ursachen zugrunde? Oder spielt doch die große Kirchenpolitik - nicht unbedingt expliziter Druck aus Rom, aber vielleicht vorauseilender Gehorsam Schönborns angesichts von Andeutungen aus der Kirchenzentrale - mit?

Gerade weil Schüller sich nicht nur Freunde gemacht, sicher auch Fehler begangen hat, ist sehr ernstzunehmen, daß nun auch fast alle seiner Kritiker voll hinter ihm stehen. Kaum einer versteht, wieso einer der besten Köpfe der Kirche auf solche Art abgehalftert wird. Doch hoffentlich nicht, um sich das Wohlwollen eines Kleinformats, das Schüller als "linken Ausländerfreund" heruntermacht, zu sichern? Oder den Beifall jenes Bischofs, der dort regelmäßig als "Christianus" agiert?

Die Kirche hat keine so riesige Reserve an echten Sympathieträgern in der Öffentlichkeit mehr, daß sie es sich leisten kann, Leute vom Format Schüllers auf eine kleine Pfarre zu beschränken. Auch der seriösen Anwärter auf den bei Redaktionsschluß dieser Furche-Ausgabe noch vakanten Posten eines Wiener Generalvikars gibt es nicht so viele, und nicht jeder Geeignete wird sich derzeit darum reißen. Der Schaden ist groß, die Herde, die all das kritiklos schluckt, ist klein. Wer hat jenen Glauben, der Berge und nicht nur Schüllers versetzen kann? Es stimmt, es gibt Neuaufbrüche, auch bei der Jugend, aber zahlenmäßig ist das eine winzige Minderheit, es reicht nicht, um im dritten Jahrtausend noch "Volkskirche" zu sein.

Was man an Bischof Krenn trotz vieler Meinungsdifferenzen bewundert, ist die Konsequenz, mit der er seine Positionen öffentlich vertritt. Die Diskrepanz zwischen den Äußerungen des Wiener Kardinals, der zum Beispiel einmal das "Kapital" der Salzburger Delegiertenversammlung würdigt, ein anderes Mal aber den ganzen "Dialog für Österreich" vom bösen Zeitgeist geprägt und als negatives 68er-Erbe ansieht, ist dagegen unerfreulich. Vermutlich würden nicht nur ,,Konservative" sich wünschen, daß Schönborn weniger diplomatisch, sondern seiner Überzeugung folgend vorgeht. Er soll ruhig einen möglichst "konservativen" Generalvikar nehmen, er soll ruhig deutlich und offen sagen, daß er vom "Dialog für Österreich" nichts hält. Die Wahrheit macht nach christlicher Überzeugung frei, nicht das Versteckspiel, das Ja und das Nein, aber nicht Lauheit. Dann weiß jeder, woran er ist.

Wenn es weniger auf Management und Organisation ankommt - wobei es kaum etwas straffer Organisiertes gibt als die von Schönborn geschätzten "spirituellen Bewegungen" a la Neokatechumenat, Integrierte Gemeinde, Opus Dei und so weiter -, sondern auf Hinwendung zu Christus, dann sollte endlich mehr Geltung bekommen, was dieser Christus in erster Linie geboten hat: Gottesliebe und Nächstenliebe, und zwar in Taten, nicht nur in Worten. Von Kündigungsschreiben auf Türabstreifern hat er nichts gesagt.

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