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Wie wird der Koran gedeutet?

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Die Überlegenheit des Mannes wird im Koran betont. Aufmüpfige Frauen seien zu schlagen, heißt es darin. Ist dies wörtlich zu nehmen?

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Die Überlegenheit des Mannes wird im Koran betont. Aufmüpfige Frauen seien zu schlagen, heißt es darin. Ist dies wörtlich zu nehmen?

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In der vierzigsten Sure des Korans, Vers acht, heißt es: „ ... und lasse sie eintreten in Eden, das du ihnen versprochen hast, und die Frommen unter ihren Vätern, ihren Gattinnen und ihrer Nachkommenschaft, denn du bist der Mächtige, der Weise!" Wenn man über die Frau im Islam spricht, kommt man am besten mit handfesten Beweisen. Der eingangs zitierte Vers sollte etwa mit der imnier wieder gehörten Meinung aufräumen, die Frau sei im Islam vom Paradies ausgeschlossen. Genauso ist es ein grober Unfug zu behaupten, der Islam spreche der Frau die Seele ab. Es ist schwer festzustellen, wie dieser Nonsens aufgekommen ist, Tatsache ist, daß er sich hartnäckig hält.

Tatsache ist auch, daß der Koran, die islamische Offenbarung, die Frauen in absolut egalitärer Weise behandelt, solange es sich um ihre Bolle als Gläubige handelt (ihre Rolle als Partner des Mannes ist ein anderes Kapitel). Sogar linguistisch drückt sich das aus: Der Koran spricht die Frauen direkt an, sie sind nicht etwa im - männlichen - grammatikalischen Kollektiv enthalten. Zum Beispiel Sure 33, Vers 35: j,Wahrlich die Muslime und die Musliminnen, die gläubigen, gottes-fürchtigen, aufrichtigen geduldigen, demütigen, Almosen spendenden, fastenden, ihre Scham hütenden, Gottes gedenkenden, für sie hat Gott Verzeihung und gewaltigen Lohn bereitet!" Wobei von jedem einzelnen Adjektiv die männliche und die weibliche Form angeführt wird: ... wal-mu'minina wal-mu'minäti wal-qanitina wal-qa-nitäti und so weiter. Selten hat sich eine Beligion so viel Arbeit mit den gläubigen Frauen gemacht, könnte man salopp formulieren.

Genauso aber ist nicht zu bestreiten, daß der Koran als religiöses Dokument auch die ungleiche Behandlung der Frauen festschreibt. An zwei Stellen ist ausdrücklich von der Überlegenheit des Mannes über die Frau die Bede, wobei in einem dieser beiden auch die Anwendung von Gewalt gegen aufmüpfige Frauen sanktioniert wird, allerdings nicht, ohne es vorher im Guten beziehungsweise mit Liebesentzug versucht zu haben. „Wenn ihr jedoch Auflehnung von ihnen befürchtet, so ermahnt sie, meidet sie in ihren Betten und schlagt sie! ..." (Sure 4, Vers 34) Wie dieses Schlagen dann auszuschauen hat, ist Interpretationssache. Manche konservative Wölfe, die - besonders, wenn sie den Islam im Westen präsentieren - Kreide fressen, aber natürlich auch nicht über den Tellerrand des Wortwörtlichen hinausschauen können, gefallen sich sehr mit der Deutung, das Schlagen sei nur symbolisch gemeint, also etwa mit einem Tuch ein paar - selbstverständlich schmerzfreie - Streiche. Nur so zur Demütigung der Frau. Für Feministinnen aller Religionen und Kulturen gleich empörend.

Was aber wirklich tun mit diesen Stellen, mit der ungleichen Behandlung der Frau im Erbrecht (sie bekommt, vereinfacht erklärt, die Hälfte dessen, was ein Mann bekommt), mit der Delegitimierung als Zeugin vor Gericht (die Aussage einer Frau ist nur halb so viel wert wie die eines Mannes). Und natürlich mit der sexuellen Ungleichbehandlung: Er hat Becht auf mehrere Sexualpartnerinnen (wenn auch im Rahmen der ehelichen Legalität), sie - unter Androhung der schärfsten Sanktionen - ist zur Monogamie verpflichtet. Natürlich sind die historischen und sozialen Gründe für all das offensichtlich, wie geht man jedoch heute damit um?

Im wesentlichen gibt es im Islam heute drei Antworten. Zu allererst die der Muslime, die nicht nur an den Buchstaben glauben, sondern sich auch getreu daran halten (eine Untergruppe davon sind die, die auch alle anderen Muslime zu ihrer Sicht der Dinge zwingen wollen, wenn nötig mit Gewalt). Sie haben dogmatisch gewichtige Argumente für sich: Der Koran sei ewig, in der Vergangenheit - er war bis zu seiner Verkündigung auf einer „wohlverwahrten Tafel" im Himmel - und natürlich auch in der Zukunft. Wenn der Koran seit ewig existent ist, hat er natürlich auch keine Geschichte. Ergo ist es völlig unmöglich, daß darin Platz gefunden hat, was man heute als „historisch" -und überholt - weginterpretieren könnte. Punkt und Ende der Debatte.

Die zweite Gruppe sind die Pragmatiker: Die Dinge stehen so im Koran, ja, sie sind Beligion, aber gelebt wird eben doch ein bißchen anders. Zum Beispiel umgeht man das Erbrecht, indem man seinen Töchtern als Schenkung zukommen läßt, was sie laut Koran weniger bekommen würden. Von Polygamie ist nicht einmal die Rede.

Und die dritte Gruppe sind die, die ihre Religion um nichts weniger ernstnehmen, wenn sie ihre ethischen Aussagen in den Vordergrund stellen und die Historizität des Textes in Rechnung stellen. Es ist wie mit dem berühmten Glas mit Wasser: halb voll oder halb leer. Wieso sagen, der Islam habe die Rechte der Frau beschränkt? Er hat sie zum erstenmal in der arabischen Gesellschaft festgeschrieben -die Tötung von weiblichen Säuglingen untersagt, die Polygamie begrenzt, die Scheidung geregelt, der Frau Vermögen zugesprochen. Kann man nicht 1.400 Jahre später, völlig im Geiste des Islam, den Koran dahingehend interpretieren, daß die Zeit für eine völlige Gleichberechtigung gekommen ist?

Die Autorin ist

Journalistin in Wien.

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