Wieviel Provokation darf sein?

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Die Weltwoche versteht die Welt nicht mehr: Das Cover der letztwöchigen Ausgabe des Schweizer Magazins hat grenzüberschreitend für Aufregung und Empörung gesorgt. Das Foto zeigt ein "fremdländisch“ aussehendes Kind, das eine Pistole auf die Leserinnen und Leser richtet, darunter der Titel: "Die Roma kommen: Raubzüge in die Schweiz“; Untertitel: "Familienbetriebe des Verbrechens“. So what, sagt dazu der stellvertretende Chefredakteur Philipp Gut - damit werde einfach der Umstand thematisiert, "dass Roma-Banden ihre Kinder für kriminelle Zwecke missbrauchen.“

Einmal mehr stellt sich die Frage, wieviel Provokation die Aufbereitung von heiklen Themen braucht - und wieviel sie verträgt. Prinzipiell steht ja das Mediengeschäft immer im Zwiespalt zwischen dem Zwang, Aufmerksamkeit zu generieren und der Gefahr der Simplifizierung, die über die fahrlässige Verzerrung im Extremfall bis zur bewussten Verhetzung gehen kann.

Zwischen Zuspitzung und Respekt

Von letzterem wird man im vorliegenden Fall nicht sprechen müssen; und der reflexartige Stürmer-Vergleich, der - wie nicht anders zu erwarten - auch dieses Mal nicht fehlen durfte, hilft in der Sache nicht weiter. Aber die für Qualitätsmedien unerlässliche Balance zwischen Zuspitzung und Respekt wurde von der Weltwoche-Redaktion mit dem Roma-Cover gewiss nicht gewahrt. Dass das Bild "lügt“, also nicht darstellt, was es vorgibt - es wurde im Jahr 2008 auf einer Müllhalde einer kosovarischen Stadt aufgenommen - unterstützt diesen Befund zusätzlich, ändert aber im Kern nichts: Auch wenn es sich um eine aktuelle Aufnahme aus der Schweiz handelte, wäre die Bildsprache verheerend.

Das entscheidende Kriterium für Qualitätsjournalismus ist der aufklärerische Impetus. Das hat nichts mit Beliebigkeit, mit Schönreden von Problemen, mit politischer Korrektheit zu tun. Aufklärung stellt sich der Realität, nimmt die Probleme in den Blick - und versucht die Sachverhalte zu rationalisieren; sie nimmt oder relativiert Angst durch Wissen statt Ressentiments zu schüren.

Gewiss, das klingt so hehr wie realitätsfern. Kein Medium, und sei es in seinen publizistischen Ansprüchen noch so hochstehend, das ohne Emotionen auskäme. Das gilt natürlich in besonderer Weise für das Bild - das Wort ist der Vernunft potenziell näher. Gerade deswegen aber erfordert der Umgang mit Bildern besondere Sorgfalt. Ihre Botschaft dringt zunächst ungefiltert in den Betrachter ein. Das bietet journalistisch gesehen tolle Möglichkeiten, bedeutet aber auch große Verantwortung. Weil der Mensch nicht primär ein Kopf- sondern ein Bauchwesen ist, besteht Zivilisation in hohem Maße in der Stärkung des Kopfes gegenüber dem Bauch. Bildungseinrichtungen aller Art aber eben auch Medien stehen im Dienste dieses Zivilisationsprojekts.

Denkverbote als Popanz?

Damit könnte man es bewenden lassen, stünde dem "So what“ der einen Seite nicht ein "Aber hallo“ der anderen gegenüber. Ach ihr Tabubrecher, jetzt gehabt euch mal nicht so - die Tabus und Denkverbote, gegen die ihr anrennt, existieren höchstens in euren Köpfen, oder besser: werden von euch aufgeblasen, um sie dann mit großer Geste bekämpfen zu können. So äußerte sich etwa sinngemäß die Kolumnistin Sibylle Hamann. Das ist zwar intellektuell deutlich redlicher als der genannte Stürmer-Vergleich resp. die vielzitierte NS-Keule. Aber trotzdem nur die halbe Wahrheit.

Denn dass es so etwas wie standardisiert wiederkehrende Meinungsversatzstücke zu fast allen wesentlichen Fragen - von der Wirtschaftskrise über die Integration bis zur Genderthematik - gibt, welche das ausmachen, was als "veröffentlichte Meinung“ bezeichnet wird, steht außer Streit. Ebenso wie die Tatsache, dass zwischen dieser veröffentlichten und der öffentlichen Meinung ein Spalt klafft, den politische und mediale Populisten schamlos ausnützen.

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