"Wir brauchen den Mut zur VERÄNDERUNG"

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Rainer M. Schießler, Pfarrer in München, ist ein Original. Und ein Bestsellerautor. Annäherungen an einen kantigen Gottesmann, der für seine Kirche begeistern will.

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Rainer M. Schießler, Pfarrer in München, ist ein Original. Und ein Bestsellerautor. Annäherungen an einen kantigen Gottesmann, der für seine Kirche begeistern will.

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Das macht ihm auch der Münchener Kardinal nicht so schnell nach: Sieben Auflagen in drei Monaten! Allenfalls Skandale treiben eine Buchauflage in die Höhe. Aber die gibt es nicht bei Reinhard Marx. Aber was der wohl zu einzelnen Bemerkungen Rainer Schießlers in seinem Buch "Himmel Herrgott Sakrament" sagt? Etwa: Wenn Angehörige eines Ausgetretenen mich bitten, zu helfen, dann "steh i do wie a Brezen" und kein Kardinal, kein Papst der Welt können mich davon abhalten." Oder: Und ich frage mich, wie weit man karrieremäßig nach oben gezogen werden muss in der Kirchenhierarchie, bis einem die Wurzeln ins Kirchenvolk vollständig abgerissen sind. Auch etwas schräg, von einem Kollegen befragt, ob er eine bestimmte Enzyklika gelesen habe: Kein Sportteil, keine Bilder, keine nackten Weiber - das ist kein Text für mich. Den Jugendkatechismus "YouCat" könnte man für ihn schon als Anglizismus auch als Markennamen für Katzenfutter hernehmen". Man lässt Pfarrer Schießler gewähren. Er ist populär. Das nützt er aus. Er hat klerikale Narrenfreiheit - und redet deswegen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Er ist, was man einen "bunten Hund" nennt. Manchen meinen abfälliger: "ein schräger Vogel" - Münchens bekanntester katholischer Pfarrer, ein Tausendsassa mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein.

Taxifahren und Oktoberfest

Jesus Christus wäre heute auch auf dem Oktoberfest, da, wo das Volk ist, so meine Überzeugung: Dass er sieben Jahre lang auf dem größten Volksfest der Welt gekellnert hat, um Geld für wohltätige Zwecke spenden zu können, aufhörte, dann aber im Jahr 2015 wieder einstieg, um beim Bedienen für die Syrienhilfe eines Freundes Spenden zu sammeln, machte ihn deutschlandweit bekannt. Auch seine TV-Gottesdienste trugen dazu bei.

Rainer Schießler, Jahrgang 1960, eckt an mit seinen unkonventionellen Seelsorgemethoden. Er ist direkt. Das kommt bei vielen Menschen an. Andere wieder stößt genau das ab. Schießler polarisiert. Das will er, und tut es ganz bewusst. Aber man kann ihm einfach nicht den Respekt versagen. Denn er erreicht mit seiner Art Menschen, die mit der Kirche sonst nichts mehr am Hut hätten. Ein bourgeoises Christentum rümpft die Nase.

Statt nach oben, in die kirchliche Hierarchie, hat er sich schon sehr früh für eine Karriere nach unten entschieden, für die Gläubigen an der Basis - wo Glaube entsteht und wo Glaube sich im Alltag jeden Morgen wieder beweisen muss. Da kann ich jedem angehenden Seelsorger nur empfehlen: nachts Taxi fahren in einer Großstadt oder aber als Wiesnbedienung arbeiten. Da lernst du alles für das Leben - egal, welchen Beruf du später ausübst.

Wären solche Pfarrer heute nicht die geeigneteren Ausbildner, bei denen angehende Priester, neben dem akademischen Studium, lernen können? Das Taxifahren (ein Crashkurs in Sachen Menschenkenntnis; wie im Improvisationstheater") wurde Schießler nicht nur zur Schule des Lebens. Er würde es auch zum Pflichtfach machen in jedem Priesterseminar (auch so eine Baustelle meiner Kirche, die dringend einer Reform bedarf).

Wenn Schießler am Altar steht, will er keine Sprechpuppe im Talar sein: Ich bin daher ein scharfer Kritiker jener "Schlafwandler" vorne am Altar, die auf "heilig" und "entrückt" machen, tatsächlich aber emotionslos wie auf Autopilot geschaltet Sonntag für Sonntag über die Köpfe der Gläubigen hinweg ihr Predigt-Soll runterspulen - bis das ganze Gemeindeleben selig entschlafen ist. Dass ein Kollege statt der Predigt eine Vorlesung hält oder das Hochgebet herunterrattert, hält er für unerträglich.

Als er 1993 die Pfarrei Sankt Maximilian im Münchner Glockenbachviertel übertragen bekam, im Osten an die Isar grenzend, war das eine Art Krankensalbung für eine am Boden liegende Gemeinde. Mittlerweile ist die völlig anders aufgestellte Pfarrei Heilig Geist am Viktualienmarkt dazugekommen. Dort überrascht und provoziert Schießler mit bemerkenswerten Kunstaktionen und Kunstinstallationen, die massenhaft Leute - und jede Menge Passanten - anziehen.

Ansprechbar und erreichbar

Schießler spricht sich für die Öffnung des Zölibats, nicht für seine Abschaffung, aus: Das Problem am Zölibat ist nicht, dass ich die Turnübungen im Bett nicht ausführen darf. Es besteht darin, dass ich sozial zu vereinsamen drohe. Er selber suchte deswegen eine Art Familienersatz - und fand ihn bei Gunda, einer alleinstehenden Frau mit zwei Kindern, die ihm den Haushalt führt.(K)ein Grund, dumm um die Ecke zu denken. Aber man hört förmlich das mitbrüderliche Getuschel Mit Kollegen zusammenzuziehen, das hat er schon auch überlegt, aber er will kein geriatrischer Betrieb sein.

Des Seelsorgers oberstes Motto lautet: Ich bin 24 Stunden für meine Gemeinde da und 24 Stunden erreichbar. Ein rund um die Uhr geöffneter Kiosk auf der Reichenbachbrücke steht als Vorbild dafür Pate: Das sei Kundentreue - nicht Anrufbeantworter, die Hilfesuchende auf Bürostunden verweisen. Beizustehen - das ist sein Credo als Seelsorger, ganz egal wem und wie. Ansprechbar und erreichbar zu sein -wer wird da widersprechen? Aber pausenlos?

Drei Leitsätze, gelernt bei seinem Lehrmeister Axel Meulemann ( 2014), legendärer Dorfpfarrer mit Berliner Migrationshintergrund, ein gebürtiger Saupreiß, setzt er seit Jahren kompromisslos um: Du musst die Leute mögen! Liturgie darf nicht wehtun! und: Sakramente musst du spüren! Denn: Ohne Leidenschaft ist Verkündigung sinnlos.

Und die vermisst er bei vielen Kollegen, die ihr Programm abspulen, um immer mehr schrumpfende Messgemeinden bei Laune zu halten. Liturgie werde mancherorts gestaltet wie beim Gastwirt, der einem lieblos Essen aus der Tiefkühltheke auf den Tisch wirft. Schießler setzt, bei Ministranten, im Erstkommunion- und Firmunterricht auf das System der Freiwilligkeit. "Firmkontrollheftchen" sind ihm ebenso zuwider wie Kollegen, die von einer Messe zur nächsten (Gottesdienstrallye) eilen (müssen).

Schießler liebt seine Kirche und schert sich wenig um Vorschriften. Jesus grenzt niemanden aus. Aber meine Kirche tut es. Sein Umgang mit Homosexuellen sticht anderen ins Auge. Und Schießler verteidigt dabei auch noch "seine" Kirche: Ich sagte beiden: Habt Geduld mit uns. Habt Geduld mit der Kirche. Wir tragen schwer, aber wir gehen mit. Es dauert nur no a bisserl. Habt Vertrauen! Auch wenn es viel weniger kirchlich geschlossene Ehen gibt: Dafür steige die Qualität enorm.

Wie weit darf man provozieren?

Wenig hilfreich findet er den verkrampften kirchlichen Umgang mit dem Thema Sexualität überhaupt, denn: Lust und Kirche gehören einfach zusammen. Umso aggressiver reagiert er, schon rein sprachlich beim Stichwort Jungfräulichkeit Mariens: Was setzen wir Priester mit solchen Floskeln nur für Bilder?

Wie anstrengend ist so ein Priester? Wie weit darf so ein Pfarrer provozieren? Es gibt keine größere Sünde als das ungelebte Leben, liest man zustimmend. Hat der Mann Freunde? Schätzt er Kollegen? Während der Wiesn habe ich Familie: Und sonst? Immerhin: Man nimmt Schießler ab, was er schreibt. Vieles, was er erzählt und schreibt, wird vielen Priestern, sehr vielen, allzu bekannt vorkommen. Aber die wenigsten Kollegen werden (und können) es zugeben.

Was bewegt ein solchen Pfarrer im Letzten? Ich werde hin und wieder als "Rebell" bezeichnet. Andere nennen mich "Problembär", vielleicht wegen meines Aussehens. ... Und trotzdem kämpfe ich, für meine Kirche. Er unterscheidet klar zwischen Glaubenskrisen und Kirchenkrisen, die eine Krise mit der Amtskirche seien: Und meine Botschaft für diese Menschen ist immer: auftreten statt austreten!

Auf dem Dach des Pfarrheimes hat Schießler Bienenstöcke hingestellt, die er Morgen für Morgen beobachtet: Würden sie in ihrem Bienenstock verharren, würden sie binnen kurzer Zeit sterben. Und genau an diesem Punkt bin ich wieder bei meiner Kirche: Wir dürfen nicht länger darauf hoffen, dass die Gläubigen, die wir schon verloren haben, zu uns zurückkommen - warum sollten sie? Nein: Wir müssen vielmehr ausschwärmen und die Kirche wieder dorthin bringen, wo die Menschen heute sind. Könnte dieser Satz nicht auch von Papst Franziskus sein? Er ist das Programm einer missionarischen Kirche.

Der Autor ist Chefredakteur der "Stimmen Der Zeit"/München

Himmel, Herrgott, Sakrament Auftreten statt austreten.

Von Rainer M. Schießler. Kösel 2016.224 Seiten, geb., € 18,50

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