Wir Katholiken: lässig & liebeleer

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Furche Nr. 37/13. September 1952

Der Katholikentag 1952 - in dessen Vorfeld das "Mariazeller Manifest" von einer "freien Kirche im freien Staat", die gesellschaftspolitische Ortsbestimmung der Nachkriegskirche, formuliert worden war - war eine machtvolle Manifestation. Die Furche widmete dem Großereignis eine ganze Festnummer, in der auch die "Programmrede" des Katholikentags ("Österreichisches Confiteor und Gloria. Von der Würde und Freiheit des Menschen'") des Jesuitentheologen Hugo Rahner enthalten war.

Wir Katholiken in Österreich sind lässig und liebeleer - nicht alle, ich weiß es, und nicht unbekannt im Lande sind die Selbstlosen, die Tapferen, die Wagemutigen. Aber gestehen wir es in Mut und Demut: wir erheben unsere Stimme zu feige und zu ungeordnet in unserer Polis, die da in der sozialen Vermassung oder der asozialen Eigensucht zu verkommen droht. Wir sind's, die sich so oft um die Verantwortung der Stunde drücken, um dann heimlich auf den Staat zu höhnen und auf die, die den Mut haben, die Front zu halten. Auch wir raffen und auch wir verdrängen die anderen von der irdischen Krippe. [...]

Wenn dieser Katholikentag und sein Mea culpa die Gewissen der Christen in Österreich wieder aufweckt, so daß jeder in der Stille und, ohne seine Verantwortung auf Programme und auf Organisationen abzuschieben, anfängt, ein besserer Christ zu sein, dann (und nur dann) ist die Menschenwürde gesichert.

Dann aber dürfen wir auch das Gloria anstimmen auf die nur im katholischen Glauben gesicherte Würde unserer Menschennatur. [...] Wenn man darum aufs Ganze geht und bis an die Wurzeln der Dinge, dann dürfen wir sagen: nur der wahre Christ ... kann das Gloria der Menschenwürde mitten in den grauenhaften Unwürdigkeiten der entchristlichten Welt singen. Denn die Kirche, und letztlich nur sie, wahrt ihren Kindern Raum der Einsamkeit, ohne den es keine Menschenwürde gibt, verweist sie auf die stille Majestät der Gewissensentscheidung, stellt jeden einzelnen in einer wundersamen Ehrfurcht vor die eigene, unvertretbare Verantwortung für das ewige Heil, und nur darin wird der Irrsinn dieses höllischen Lebenslärms wieder sinnvoll und erträglich. Und in dieser Einsamkeit gibt sie den Menschen allen, ohne jeden geistigen oder sozialen Unterschied, jene unvergleichliche Würde, die auch noch die tiefsten Niederungen der sozialen Not und die Gefängniszellen der Märtyrer von heute verklärt. Und umgekehrt: das ist nicht jene grauenvolle Einsamkeit, in der sich der Mensch in dem fürchterlich verzweckten Termitenbau des Staates und der alles gleichmachenden Diesseitskultur um seine keuscheste Würde betrogen fühlt. In der Kirche ist niemand nur eine Nummer, nur ein Zahlender, ein Registrierter, sondern ein heimlich Geliebter, ein ewig Anerkannter, ein bis ins letzte, geflüsterte Gespräch des Beichtstuhls Umsorgter, ein ohne Unterschied am gleichen heiligen Tisch Genährter, Bruder in einer wahren Gemeinschaft des Herzens.

Nächste Woche: Die furche 1953 über die McCarthy-Ära.

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