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Europäische Überlegungen zum Wahlsieg von George W. Bush.

Europa ist maßlos enttäuscht, empört über die Wiederwahl von George W. Bush. Sämtliche antiamerikanischen Klischees scheinen sich bestätigt zu haben, die Waage im Diskurs diesseits des Atlantik hat sich, ohnedies selten ausgeglichen, nun jäh auf die Seite jener seltsamen Allianz von extrem Linken und Rechten geneigt, die es immer schon gewusst haben, wie "die Amis" eben sind. Das Ergebnis des 2. November wirkte wie das Kilo-Gewicht, das jegliches Bemühen um Austarieren obsolet macht.

John Kerry sei der falsche Kandidat gewesen, heißt es nun bei den Enttäuschten. Wenn es stimmt, dass in einer Demokratie die Wählerinnen und Wähler immer Recht haben, dann versteht sich dieser Befund von selbst. Kerry war jedenfalls, zugespitzt formuliert, der Kandidat der Europäer. Nicht nur seiner europäischen Wurzeln wegen, die sich über das Taufbuch der Pfarrkirche Mödling bis zu einer böhmischen Brauerei verfolgen lassen; er war es vor allem, weil er ein - je nach Ansicht - besseres oder weniger übles Amerika repräsentierte. Sein Manko aber war, darin sind sich nun die meisten Beobachter einig, dass er zuwenig Überzeugungskraft besaß, nicht glaubwürdig vermitteln konnte, wofür er stand. "Bei Bush weiß man wenigstens, dass er eine Nuss ist", zitiert der britische Historiker Timothy Garton Ash in einem profil-Essay eine US-Wählerin; und Ash fährt fort: "Trotz allem, obwohl er eine Nuss' ist, hatten die Menschen beim leutseligen Bush das Gefühl, sie wüssten, woran sie wären - was sie bei Flip-Flopper' Kerry nicht wussten."

Dem ist wenig hinzuzufügen - außer, dass sich in der Gegenüberstellung des "Europäers" Kerry und des "Texaners" Bush auch etwas vom Verhältnis Europas zu den USA abbildet: Europa fehlt es an Kontur, an Authentizität. Genau das aber nimmt der europäischen Pose gegenüber den Vereinigten Staaten viel an moralischem Gewicht. Nun kann man mit Recht einwenden, dass diese Unschärfe Europa gerade sympathisch macht, dass - paradox formuliert - die Schwächen des "alten Kontinents" seine eigentlichen Stärken sind: vom System der sozialen Sicherheit bis hin zur Skepsis gegenüber militärischen Lösungen. Das stimmt in vielen Punkten, nur - zu einem überzeugenden Ganzen will es sich (noch?) nicht fügen. Der alte Kalauer vom "global payer", der kein "global player" ist, bringt die Sache auf den Punkt.

Die große Sekundär-Gefahr des Wahlsiegs von Bush besteht darin, dass Europa sich noch stärker als bisher ex negativo, als Nicht-Amerika definiert. Die Gewissheit, anders zu sein, erspart die mühsame eigene Standortbestimmung - und der neue alte US-Präsident wird solcher Haltung vermutlich weiterhin jede Menge Vorschub leisten. So leicht aber sollten wir Europäer es uns nicht machen (lassen): Anstatt uns ständig schulterklopfend die Vorzüge des europäischen Wegs zu bestätigen - am Biertisch ebenso wie in intellektuellen Zirkeln -, stünde es uns nicht schlecht an, ebendiesen europäischen Weg weiterzuentwickeln, kritisch auf seine Tauglichkeit zu befragen, wirkliche Stärken von eingeredeten zu unterscheiden. Vor allem aber muss alles getan werden, dass dieses Modell tatsächlich als ein europäisches auch jenseits des Atlantiks erkennbar wird, nicht bloß als notorisches Wirrwarr der Pflege nationaler Eitelkeiten.

Für Österreich mag all dies nocheinmal in spezifischer Weise gelten. Nicht nur, weil Bush-Kritik aus dem Munde Jörg Haiders, der ja bekanntlich nur mit lupenreinen Demokraten Umgang pflegt und auch sonst wie kaum wer für untadelig liberales Gedankengut steht, besonders seltsam anmutet; sondern deswegen, weil - um noch eine Parallele zu strapazieren - das, was über das Verhältnis von Europa zu Amerika angedeutet wurde, vielfach auch über Österreichs Rolle in Europa gesagt werden kann. Der entscheidende Begriff im hiesigen Kontext lautet "Neutralität", verstanden als Chiffre mentaler Befindlichkeit. Dass dieser Tage die Grünen das von der ÖVP rund um den Nationalfeiertag wiederaufgenommene beschämende Verwirrspiel um die Sicherheitspolitik fortsetzen, passt da nur ins Bild. Auf Augenhöhe mit einem wie immer gearteten Gegenüber kann man freilich so nicht kommunizieren.

rudolf.mitloehner@furche.at

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