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Furche Nr. 24/17. Juni 1988

Der Ende Juni 1988 stattfindende Papstbesuch in Österreich sollte ein Fest und kein "Parteitag" sein, meinte die damalige Polen-Korrespondentin des orf, Barbara Coudenhove-Kalergi:

Der Papst kommt - und niemand freut sich so recht. Ja. ich weiß schon. wir sind ihm böse wegen seiner letzten Bischofsernennungen, wir finden, daß er in Sachen Geburtenkontrolle zu weit geht, und manche nehmen ihm auch übel, daß er keine verheirateten und keine weiblichen Priester haben will. Soweit, so gut. Aber ist das wirklich Grund genug für diese Lustlosigkeit, diese Mischung aus Irritation und Uberdruß, die wir an uns bemerken - als ginge es nicht um ein Fest des Glaubens, sondern um eine etwas mühselige Pflichtübung, die es eben in Gottes Namen zu absolvieren gilt? [...]

Ich denke zurück an Papstbesuche in Polen, besonders an den ersten. [...] "Das ist der Tag, den der Herr uns geschenkt hat", singt der Chor, und alle fallen ein. Es gibt kein gedrucktes Programm und keinen perfekt organisierten ,,Ablauf". Wenn der Papst spricht - vor allem vor jungen Leuten -, schallt ihm gelegentlich eine Antwort entgegen, wird zum Sprechchor, manchmal zu einem Lied, einem Gebet. Ein Zwiegespräch entwickelt sich - ungeprobt, unzensuriert, unorganisiert. Die Kirche, die lebendige Kirche, spricht. Sie spricht mit sich selbst, spricht mit Gott. Und plötzlich weiß man wieder, was das ist: Volk Gottes.

Ja, die Polen, wird jetzt mancher sagen. Erstens sind die doch alle stockkonservativ, und zweitens sind die Papstmessen dort ja vor allem politische Manifestationen. Aber das stimmt, wenn überhaupt, nur sehr bedingt.

Der Hauptgrund für den Unterschied scheint mir woanders zu liegen: Im Funktionärsstaat Österreich haben wir uns angewöhnt, das Leben der Kirche gleichsam mit den Augen von Funktionären zu betrachten und so, als sei sie selber ein Apparat von Funktionären.

Auch wir sogenannten praktizierenden Christen haben uns diesen Blickwinkel zu eigen gemacht, den gleichen, mit dem wir Parteitage oder Gewerkschaftskongresse zu beobachten gewöhnt sind. Wir achten vor allem anderen darauf, was kirchliche Vertreter zu gesellschaftlichen Fragen zu sagen haben (auch wenn es nicht besonders tiefgründig ist); das sogenannte Religiöse nehmen wir als Zwischenstück und Beiwerk gerade noch in Kauf. [...]

Es wäre schön, wenn wir an diesen Tagen unsere Kleinkariertheit ein wenig vergessen könnten. Wenn wir nicht "Veranstaltungen" absolvieren müssten. Fernsehtermine wahrnehmen, eine aufwendige Organisation abschnurren sehen, voller Panik, ob auch das "Medienecho" entsprechend ausfällt - sondern feiern. Es wäre schön, würde dieser Papstbesuch nicht als ,,Parteitag" gesehen, sondern als ein Fest des Volkes Gottes, vom Theologieprofessor bis zum Kerzlweiblein. Und wenn wir nachher alle singen könnten: "Dies ist der Tag, den der Herr uns geschenkt hat."

Nächste Woche: Lutz Rathenow 1989 zum Fall der Berliner Mauer.

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