"Wir lieben dieses Land, es ist unser Land"

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Vor dem Krieg hat man in Aleppo kaum Kopftücher gesehen, inzwischen werden es immer mehr. Noch schlimmer ist der Fundamentalismus auf dem Land. Auch christliche Frauen müssen sich verhüllen.

Den Krieg in Aleppo wird Sr. Brygida Maniurka ihr Leben nicht mehr vergessen. "Am Morgen auf dem Weg zur Arbeit war es einfacher. Da habe ich die Granaten von vorne kommen gesehen und konnte ausweichen. Abends am Rückweg musste ich mich ständig umdrehen, um sicher zu sein." - Kaum ein "Westler" kennt Syrien so gut wie Sr. Brygida. Die polnische Franziskanerin lebt seit 35 Jahren im Nahen Osten, 25 davon in Syrien.

Während der Kämpfe um Aleppo habe es eine "Welle der Solidarität" zwischen Christen und Muslimen gegeben, erzählt sie. Jeder habe jedem geholfen. Und wenn wieder irgendwo eine Granate einschlug, dann hätten alle bei der Bergung der Verletzten und Toten geholfen. Inzwischen wird zumindest um Aleppo nicht mehr gekämpft.

Wie es nun aber weitergeht mit dem Verhältnis zwischen den Religionen? Die Signale seien höchst unterschiedlich, sagt Sr. Brygida. Vor dem Krieg habe man im Zentrum von Aleppo kaum Kopftücher gesehen, inzwischen würden es immer mehr. Noch schlimmer sei der Fundamentalismus auf dem Land rund um die Stadt. Auch christliche Frauen müssten sich verhüllen, wenn sie sich überhaupt noch dorthin wagten. Die gut ausgebildeten und aufgeschlossenen Muslime hätten vielfach schon das Land verlassen, zeigt sich die Ordensfrau besorgt.

"Dankbarkeit" gegenüber Assad-Regierung

Die Franziskanerinnen in Aleppo -eine fünfköpfige, umtriebige Schwesterngemeinschaft -sind vielfältig engagiert. Sie organisieren Lebensmittel und medizinische Behandlungen für Bedürftige, sie bieten Workshops für (christliche wie muslimische) Frauen an oder führen ein Zentrum für autistische Kinder. Auch fünf muslimische Flüchtlingsfamilien haben im Kloster Aufnahme gefunden.

Zum Verhältnis der Christen zur Assad-Regierung, im Westen gemeinhin als "Regime" bezeichnet, sagt Sr. Brygida, dass sie nicht von einer "Anbiederung", sondern von einer "Haltung der Dankbarkeit" sprechen wolle. Im Gegensatz zu anderen muslimischen Ländern würden die Christen in Syrien viele Freiheiten genießen. Es sei auch keine Selbstverständlichkeit, dass die Regierung zu den christlichen Feiertagen die Kirchen bewachen lässt. Das Wirken der Christen werde von Seiten der Machthabenden durchaus geschätzt.

Das gilt vermutlich auch für das Jesuitenkloster im Zentrum von Homs. In der Anlage herrscht bei meinem Besuch buntes Treiben. Rund 30 Jugendliche aus Homs absolvieren gerade einen Kurs, wie sie Kriegstraumatisierten helfen können. In einem anderen Raum treffen sich Kriegsversehrte und deren Angehörige zu Workshops und Beratungsgesprächen. Das Angebot wird von Christen und Muslimen genützt. Noch gibt es in und rund um Homs 70.000 Christen. Insgesamt sind es vielleicht nur mehr 300.000 im ganzen Land. Das macht es für die Christen unmöglich, nur für sich zu leben. Eine Zukunft kann es nur mit der muslimischen Mehrheitsbevölkerung geben.

Dass dies möglich ist, zeigt ein Besuch in der berühmten Umayyaden-Moschee in Damaskus, wo auch Christen freundlich begrüßt und eingelassen werden. Drinnen befindet sich unter anderem ein Schrein, in dem das Haupt von Johannes dem Täufer aufbewahrt bzw. verehrt wird. Muslime und Christen würden gleichermaßen hierher kommen, um zu beten; und zwar in Eintracht, erzählt der melkitische Priester Hanna Ghoneim. Nachsatz: "Das ist das wahre Syrien."

Über die syrische Hauptstadt donnerten bis zuletzt russische Kampfflugzeuge über den Himmel, die im Süden der Stadt letzte Rebellenbastionen bombardierten. P. Hanna kommentiert das so: "Die Menschen hier freuen sich, wenn sie die Kampfjets hören." Der Grund: Noch vor wenigen Tagen wurden von den Rebellen gezielt die christlichen Viertel in Damaskus beschossen. Mit vielen Toten und Verletzten als Folge. Freilich war das Ausmaß wesentlich geringer als die Verwüstung, die die syrische Armee bzw. ihre russischen Verbündeten in den Rebellengebieten anrichteten. Für die Betroffenen und ihre Familien ist das aber auch kein Trost.

Ein Bischof sieht rot

Der in Damaskus residierende melkitische Bischof Nicolas Antiba ist eigentlich ein ausgesprochen liebenswerter Mensch. Aber wenn er auf die Syrienpolitik des Westens zu sprechen kommt, dann gehen mit ihm die Emotionen durch. Wenn der Westen mit seiner Politik so weitermacht wie bisher, würde er die christliche Zivilisation im Land völlig zerstören. Deshalb: "Kein Geld und keine Waffen mehr an die Rebellen!" Bei den Rebellen handle es sich zu einem großen Teil um Extremisten aus dem Ausland. Wenn es endlich mit dem ausländischen Einfluss und den ausländischen Terroristen zu Ende ginge, dann würden es sich die Syrer schon richten.

Wie soll sie also aussehen, die Zukunft Syriens? Sr. Brygida würde sich ein "Zurück vor den Krieg" wünschen. Sie habe vor 2011 eine langsame, aber stetige soziale Entwicklung wahrgenommen mit relativ guten interreligiösen Beziehungen. Eine Demokratie nach westlichen Vorstellungen sei ohnehin eine Illusion und würde in Syrien nicht funktionieren. Sr. Brygida: "Eine gewisse straffe Führung ist einfach nötig, auch wenn man das im Westen nicht gerne hört."

Bischof Antiba meint dazu: "Wir haben sicher nicht die beste Regierung der Welt, aber sie schützt die Christen." Und diese würden das auch honorieren. In der syrischen Armee fänden sich viele Christen, auch in höheren Positionen, weil ihnen die Regierung vertraue. "Wir lieben dieses Land. Es ist unser Land", betont der Bischof. Ein nüchterner Blick bestätigt den Geistlichen weitgehend. Christen gibt es (mit Ausnahme der Kurdengebiete) fast ausschließlich in den von der Regierung kontrollierten Gebieten des Landes.

Christliche Schulen begehrt

Präsident Baschar al-Assad kommt bei den Christen gut weg. Manch einer verweist auch darauf, dass Assad selbst eine christliche Schule besuchte. Diese waren und sind begehrt im Land. So auch die von P. George Jamous. Er leitet einen Kindergarten und eine Schule für 650 Kinder in Aleppo. Der Geistliche der Melkitischen Kirche wirkt besorgt, als er erzählt, dass mehr als 30 Prozent seiner Schützlinge Muslime sind. Darunter leide das christliche Profil der Schule, meint Jamous. Allerdings kann sich der Schulleiter seine Schüler nur sehr bedingt aussuchen. Viele werden ihm von den syrischen Behörden zugewiesen.

In der Schule der armenisch-katholischen Kirche in Damaskus sieht man das entspannter. Auch hier gibt es gut 600 Kinder und bei Weitem nicht nur christliche. Schulleiter George Bade erzählt, dass viele drusische und schiitische Eltern wollen, dass ihre Kinder auch christliche Gebete lernen oder am katechetischen Unterricht teilnehmen.

Als ich den Hof der syrisch-katholischen Kirche verlasse, kommt mir auf der Straße eine Schar junger Mädchen plaudernd und lachend entgegen. Ein Mädchen geht mit Krücken. Es hat nur ein Bein. - Es wird Zeit, dass dieser Krieg endlich aufhört.

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