Die Erhebung der vier Apostolischen Administraturen in Russland zu Diözesen hat das Verhältnis zwischen Rom und der Orthodoxie auf einen Tiefpunkt gebracht (vgl. furche Nr. 8, Seite 8). Dennoch: Der Erzbischof der nunmehrigen katholischen "Erzdiözese der Gottesmutter in Moskau", Tadeusz Kondrusiewicz, demonstriert im Gespräch Gelassenheit.
die furche: Metropolit Kyrill von Smolensk, der Leiter des Außenamtes der russisch-orthodoxen Kirche, sagte neulich: "Es gibt nichts, worüber wir sprechen könnten".
erzbischof tadeusz kondrusiewicz: Ja, das hat er gesagt. Heute aber meinte er, dass die moderne Welt Herausforderungen an beide Kirchen stellt. Er spricht also einerseits von zwei religiösen Kräften, andererseits davon, dass es nichts zu reden gibt. Ich denke, dass wir vieles zu bereden haben und auch bereden können. Das Leben hat uns ganz einfach zum Dialog bestimmt. Früher oder später wird dieser wieder aufgenommen werden.
die furche: Haben Ihre Kontakte zur orthodoxen Kirche durch die zugespitzte Situation Schaden genommen?
kondrusiewicz: Nun, ich habe mich in den zwei Wochen seit diesem Ereignis noch nicht mit Patriarch Aleksij II. oder mit Metropolit Kyrill treffen können. Aber auch 1991, als die Apostolischen Administraturen errichtet wurden, dauerte es Monate, bis ich beide treffen konnte. Daher sehe ich keine Tragödie. Ich habe beiden einen Brief geschrieben. Der Patriarch hat bisher noch nicht geantwortet, vom Büro des Metropoliten erhielt ich die offizielle Erklärung, dass der Besuch von Kardinal Walter Kasper, des Präsidenten des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen, unerwünscht und abgesagt ist. In dem Brief stand aber nicht , dass man sich mit mir nicht treffen will. Ich bedaure zutiefst, dass Kardinal Kaspar nicht kommen durfte, denn er hätte vom theologischen Standpunkt her eine Antwort auf die Anschuldigungen geben sollen. Von manchen Vertretern der Orthodoxie gibt es dennoch ein völlig normales Verhältnis zu uns.
die furche: Können Sie bestätigen, dass sich die orthodoxe und die katholische Kirche im letzten Jahrzehnt kontinuierlich angenähert haben?
kondrusiewicz: Im Großen gesehen, ja, obwohl der Dialog besonders auf oberster Ebene mit wechselndem Erfolg vor sich ging. 1999 wurden etwa Treffen abgesagt - aus angeblichen Zeitgründen wegen des Krieges in Serbien. In den letzten drei Jahren fanden keine großen Treffen statt. Als Präsident Putin vor einem Monat in Polen seine Bereitschaft zur Einladung des Papstes äußerte, hieß es zwei Tage später "Nein". Aber es bestehen genug Kontakte, auch über das 1994 gegründete "Interkonfessionelle Komitee". Im Mai treffen wir uns wieder, wenn nicht, dann eben im Herbst.
die furche: Sie scheinen dem Problem gegenüber sehr gelassen zu sein.
kondrusiewicz: Ja, völlig. Vielleicht liegt das an meinem Naturell. Das Patriarchat hat einiges missverstanden: es würden in Russland absichtlich solche Strukturen eingeführt, die es sonst in der katholischen Welt nicht gäbe - das alles stimmt einfach nicht. Ich habe das in einer Gegenerklärung klargestellt.
die furche: Aber man konnte die Reaktion auf die Umwandlung der vier Apostolischen Administraturen in Diözesen voraussehen. Stand dies zu diesem Zeitpunkt dafür?
kondrusiewicz: Was heißt: stand dafür? Wenn Sie in Moskau arbeiten, wollen Sie ja auch eine ständige und keine temporäre Aufenthaltsgenehmigung haben! Außerdem stößt die orthodoxe Kirche umgekehrt im Westen auf keine diesbezüglichen Widerstände. Irgendwann war der Schritt notwendig. Viele fragen, warum wir so lange gewartet haben.
die furche: Dennoch könnte es auch zu früh sein. Sie müssen in der zugespitzten Atmosphäre hier arbeiten.
kondrusiewicz: Nun, ich treffe die Entscheidungen nicht. Die Nuntiatur hat eine Woche vor der Errichtung der Diözesen eine vertrauliche Mitteilung ans russische Außenministerium und ans orthodoxe Patriarchat geschickt. Dieses hat nicht den Weg der Diskussion gewählt, sondern die Mitteilung regelwidrig veröffentlicht.
die furche: Angeblich hat das Außenministerium Rom von dem Schritt abgeraten.
kondrusiewicz: Ich denke nicht, dass Gespräche stattgefunden haben, sonst hätte es das Ministerium bestätigt. Dieses verhielt sich eher seltsam; anstatt sich rechtzeitig zu rühren, hat es einen Tag nach dem römischen Beschluss eine offizielle Erklärung abgegeben. Überhaupt verletzte das Außenministerium mit seiner Einmischung das Wiener Dokument von 1989, in dem sich die Unterzeichner verpflichten, die Rechte jeder religiösen Organisation zur Errichtung ihrer Strukturen zu sichern.
die furche: Das Zweite Vatikanische Konzil formuliert als Ziel die Einheit der Christen. Hat Rom die Annäherung an dieses Ziel gefährdet?
kondrusiewicz: Das Ziel bleibt. Ökumene muss in Liebe und Wahrheit stattfinden, und nicht irgendwo im Dunkeln. Wenn in Westeuropa jemand orthodox werden will, so ist das seine Sache. Warum sollte ein Russe nicht katholisch werden können, wenn er das will? Gewissensfreiheit basiert laut II. Vatikanischen Konzil auf der Achtung vor der Person. Daran muss erinnert werden. Die orthodoxe Kirche selbst ist immer noch der Ansicht, ein Russe müsse unbedingt orthodox sein. Allerdings ändert sich der Ton allmählich: in den letzten Interviews gab Metropolit Kyrill zu, dass Nichtrussen hier oder in Westeuropa manchmal zur Orthodoxie übertreten. Das Einbekenntnis ist ein positives Resultat des Dialogs. Wir müssen im Willen zur Wahrheit mit offenen Karten spielen.
die furche: Aber was lässt die Orthodoxie zögern?
kondrusiewicz: Das müssen sie dort fragen. Das weiß ich nicht.
die furche: Hängt es mit der Person des Patriarchen Aleksij II. zusammen?
kondrusiewicz: Das weiß ich nicht, und auch dazu will ich nichts sagen. Unsere vielen Treffen gestalteten sich immer gut, außer vielleicht dem ersten im Jahr 1991. Aleksij II. trifft ja die Entscheidungen nicht allein, sondern in Abstimmung mit dem Synod. Ich möchte betonen, dass die gegenwärtigen Ereignisse mein Verhältnis zur Orthodoxie und ihrer Hierarchie sowie meine Achtung vor ihnen in keiner Weise geändert haben und ändern werden. Darum habe ich auch unsere Gläubigen offiziell gebeten.
die furche: Bremst die orthodoxe Kirche Russlands Annäherung an Europa?
kondrusiewicz: Das sagt ihr Journalisten, ich habe das nicht gesagt. In 70 Jahren Verbot der Religionsausübung hatte die Orthodoxie keine Möglichkeit, manches zu entwickeln. Aber es gibt Bewegung: So wurde 2000 eine orthodoxe Sozialdoktrin beschlossen. Ich sehe sehr viele positive Entwicklungen.
die furche: Ist die Errichtung der Diözesen nicht ein ungeschickter Zug, weil er die radikalen Kräfte in der Orthodoxie gestärkt hat?
kondrusiewicz: Ich denke, nein. Natürlich kann sie als Anlass zur Radikalisierung verwendet werden. Am großen Ziel einer Annäherung zwischen den Kirchen und den Ländern wird sie nichts ändern, und Verstimmungen legen sich. Ich bin ein unverbesserlicher Optimist.
die furche: Könnte ein Papstbesuch in Russland auch ohne Einwilligung der Orthodoxie stattfinden?
kondrusiewicz: Es bedarf offiziell nur der Einladung durch die russische Regierung und die Vertretung des Heiligen Stuhls in Moskau. Aber der Papst will einen vollwertigen Besuch und wird daher sicher auf eine Einladung der Orthodoxie warten. Denkbar ist vielleicht aber auch die Variante wie beim Griechenlandbesuch im vergangenen Jahr, wo zwar die Kirche nicht eingeladen, aber nichts gegen den Besuch gemacht hat. Staatlicherseits befürworten viele den Besuch.
die furche: Werden in Russland die Religionsgemeinschaften gleich behandelt?
kondrusiewicz: Laut Verfassung müsste das sein, aber wird nicht so umgesetzt. Benachteiligung gibt es bei TV-Übertragungen, weiters wird die katholische Kirche nicht zum Interreligiösen Rat zugelassen. Der orthodoxe Patriarch trifft sich häufig mit dem Präsidenten, andere Religionsvertreter gelegentlich auch. In meinen elf Jahren hier hat mich noch kein Präsident empfangen. Bei Fragen, die uns betreffen, holt die Regierung immer zuerst die Meinung der Orthodoxie ein, es besteht eine enge Verbindung zwischen Staat und Orthodoxie.
die furche: Sie haben vor einigen Tagen ein Konkordat mit dem Staat gefordert. Wie realistisch ist dieses?
kondrusiewicz: Ich habe wieder auf den Tisch gebracht und die jüngsten Ereignisse haben es ja gezeigt, dass wir ganz einfach ausdefinierte Regelungen mit dem Staat brauchen. In den diplomatischen Beziehungen mit Russland ist bisher vieles nur provisorisch.
Das Gespräch führte Eduard Steiner in Moskau.
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