Wir müssen unserer Unzufriedenheit eine Stimme verleihen"

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Die malaiische Künstlerin Sharifah Zuriah Aljeffri gehört zu den Gründerinnen der religiösen Frauenrechtsorganisation "Sisters in Islam". Ein Gespräch über Widerstand und Reform innerhalb des Islam.

Die Furche: Der Islam wird oft als Religion wahrgenommen, die die Frauen nicht gut behandelt. Stimmt das?

Sharifah Zuriah Aljeffri: Nein, denn der Koran ist völlig klar: Es heißt darin etwa, dass Gott den Menschen aus einer einzigen Seele erschaffen und ihm eine/n Gefährt/in/en dazugegeben hat - er sagt nicht, ob männlich oder weiblich. In einem anderen Vers heißt es: Wir haben euch in Paaren geschaffen - Mann und Frau. Und der Würdigste unter euch ist der, der Ehrfurcht vor Gott hat. Es heißt auch: Männer und Frauen werden für ihre Sünden in gleicher Weise bestraft. Daran kann man sehen, dass beide gleich behandelt werden, es gibt keine Ungleichheit.

Die Furche: Der Koran behandelt Mann und Frau also als gleichwertig?

Aljeffri: Ja.

Die Furche: Aber die muslimische Gesellschaft tut das nicht.

Aljeffri: Bestimmte Teile der muslimischen Gesellschaft, bestimmte Ulamas, Religionsführer, stehen unter dem Einfluss von Stammeskulturen. Es gibt traditionelle Kulturen, die Frauen wie Leibeigene behandeln. Aber wenn man in den Koran schaut, ist die Gleichwertigkeit da und die Männer sind beauftragt, Frauen mit Respekt zu behandeln, sie nicht zu schlagen oder zu missbrauchen. In vorislamischer Zeit wurden die Frauen schlecht behandelt. Als Gott dem Propheten die Religion offenbarte, hat der Islam die Frauen befreit. Sie bekamen nun das Recht auf Bildung, Besitz zu haben und das Recht auf Scheidung.

Die Furche: Aber in mehrheitlich islamischen Gesellschaften gibt es in vielen Fällen unterschiedliche Gesetze für Frauen und Männer.

Aljeffri: Ja, das hängt von der Koran-Interpretation ab und wie sie diese begriffen haben. Ein Beispiel ist die Polygamie: Im Koran steht nicht, es ist göttliches Gesetz, dass der Mann vier Frauen haben darf. Das ist eine Einschränkung für den Mann: Denn in vorislamischer Zeit konnten ein Mann mehr als 30 Frauen haben. Die entsprechende Koranstelle wurde dem Propheten geoffenbart, als es wegen des Kriegs viele Witwen und Waisen gab. Sie brauchten jemanden, der sich um sie kümmerte. Und sogar da gibt es eine Einschränkung: Die Männer lesen nur: Du kannst zwei, drei oder vier Frauen heiraten. Doch es folgt ein weiterer Satz: Aber wenn du nicht gerecht zu allen Witwen und Waisen sein kannst, dann heirate nur eine! Und ein anderer Koranvers sagt: Sogar wenn es dein fester Wille ist, gerecht zu sein, wirst du nicht gerecht sein. Das zeigt, dass die Monogamie die ideale Stufe im Islam ist. Aber die meisten muslimischen Männer denken, es sei ihr gottgegebenes Recht, vier Frauen zu haben. Das ist völlig falsch.

Die Furche: Viele Islamgelehrte sagen, das im Koran geoffenbarte Wort kann nicht verändert oder in einem neuen Kontext neu interpretiert werden.

Aljeffri: Es gibt zwei Teile im Koran, der eine ist die universale Botschaft des Koran, wo es um Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Würde geht: das waren die Verse, die in Mekka geoffenbart wurden. Der andere Teil, der in Medina geoffenbart wurde, war oft für eine bestimmte Situation gedacht. Da gab es viele Witwen und Waisen. Manchmal muss man die Koranstellen im Kontext, indem sie geoffenbart wurden, lesen.

Die Furche: Viele Ulamas lehnen solche Koran-Sicht aber strikt ab.

Aljeffri: Dann interpretieren sie den Koran um! Denn die Verse sind sehr klar. Etwa bei der Religionsfreiheit: Es gibt in der Religion keinen Zwang. Bestimmte Muslime interpretieren das so: Du sollst niemanden dazu zwingen, Muslim zu werden. Aber sobald jemand ein Muslim ist, kann er oder sie nicht mehr weggehen. Aber das steht da nicht. Es gibt auch die Stelle, wo Gott sagt: Wenn ich euch alle zu einem Glauben bringen wollte, dann hätte ich das auch getan. Der Koran spricht auch über die, die aus der Religion weggehen: Es ist Gottes Sache, diese Personen zu bestrafen, nicht Sache der Menschen.

Die Furche: Sie haben in Malaysia die "Sisters in Islam" mitgegründet".

Aljeffri: Wir haben 1988 begonnen. Es hat mich betroffen gemacht, was muslimischen Frauen widerfährt: Wenn sie vor Gericht gehen, um die Scheidung einzureichen, den Unterhalt oder das Sorgerecht für die Kinder zu erstreiten, stehen sie einer Menge Problemen gegenüber. Das Gesetz ist einigermaßen gerecht: Man kann die Scheidung erhalten. Aber bei Frauen gibt es immer wieder Verzögerungen. Denn der Scharia-Gerichtshof ist nicht geschlechter-sensitiv. So haben wir, eine Gruppe von Frauen, begonnen, den Koran zu studieren. Und wir haben entdeckt: Gott ist nicht ungerecht, sondern Gott ist gerecht gegenüber Mann und Frau.

Die Furche: Das war Ihnen zuvor nicht bewusst?

Aljeffri: Wir haben im Koran so viele schöne Passagen über Gleichheit, über Respekt, Liebe, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Menschenwürde entdeckt. Als wir unsere Gruppe bildeten, waren wir nur acht. Dann haben wir zwei Büchlein veröffentlicht - das erste über die Gleichheit von Mann und Frau, das zweite über häusliche Gewalt. Wir alle haben von zu Hause aus gearbeitet, erst 1993 ließen wir uns registrieren, unser Büro haben wir noch später bekommen. Jetzt haben wir eine Geschäftsführerin und angestellte Mitarbeiterinnen. Wir bemühen uns um Anwaltschaft und Bildungsinitiativen für diese Anliegen, dann auch um Rechtshilfe für Frauen, die das suchen - was zu tun ist im Fall einer Scheidung, um das Sorgerecht zu erhalten. Malaysia ist in dieser Hinsicht einzigartig, denn es gibt ein islamisches Familienrecht, das heißt Eheschließung, Scheidung, Erbrecht, Sorgerecht wird nach der Scharia behandelt. Das ist ein Erbe aus der Kolonialzeit: Als die Briten Malaysia kolonisierten, haben sie dem Sultan alle Rechte genommen - außer der Religion und der Kultur. Und der Sultan ist das religiöse Oberhaupt. Und es ist so schwer, die Herrscher dazu zu bewegen, diese Position aufzugeben!

Die Furche: War Ihr Engagement auch ein Beispiel für muslimische Frauen in anderen Ländern?

Aljeffri: Wir sind in Malaysia die einzige Organisation, die für muslimische Frauen innerhalb des religiösen Rahmens kämpft. Wir artikulieren unsere Argumente innerhalb der Religion. Wir halten Kurse ab, zu denen auch Frauen von außerhalb Malaysias kommen - Kurse für alleinerziehende Mütter, für Frauenrechte. Es kommen da Frauen auch aus Südasien, - Indien, Bangladesch, Pakistan, Afghanistan …

Die Furche: … aus Afghanistan?

Aljeffri: Ja, sie kamen nach Kuala Lumpur zu unseren Kursen. Als nach dem Fall der Taliban eine neue afghanische Verfassung ausgearbeitet wurde, wurde Zainah Anwar, die Geschäftsführerin der Sisters in Islam, eingeladen, an der Arbeitsgruppe, die die neue Verfassung ausarbeitete, teilzunehmen.

Die Furche: Muss der Islam von heute reformiert werden?

Aljeffri: Man muss vor allem richtigstellen, was Jahrhunderte lang falsch ausgelegt worden ist. Und dann auch, was bestimmte Gruppen im Namen des Islam tun - etwa Selbstmordanschläge. Es sind tief greifende Reformen notwendig, vor allem auf dem Gebiete der Frauenrechte und der Unterdrückung von Frauen - die Ehrenmorde in bestimmten Ländern. Das alles hat nichts mit dem Islam zu tun, denn der Islam respektiert das Leben, aber vorislamische Stammeskulturen sind da weitergetragen worden.

Die Furche: Was denken Sie über die Dominanz des saudischen Wahhabismus im sunnitischen Islam?

Aljeffri: Die Saudis haben viel Geld und erzählen dann, dass die Frauen von Männern getrennt werden und den Schleier tragen müssen usw. Diese Anwendung des Islam ist nicht richtig.

Die Furche: Vor kurzem hieß es, dass bei der Wallfahrt nach Mekka Frauen nicht mehr unmittelbar vor die Kaaba gelassen würden.

Aljeffri: Zum ersten Mal haben da die saudischen Frauen protestiert. Wir und sie haben eine Petition dagegen unterschrieben, dass eine Hälfte der Menschheit nicht mehr zur Kaaba darf. Die saudischen Frauen haben Unterstützung von Frauen aus aller Welt bekommen. Deswegen wurde die Maßnahme wieder zurückgenommen.

Die Furche: Ein Erfolg für die muslimische Frauenbewegung?

Aljeffri: Ja! Und das ist von den saudischen Frauen selber ausgegangen! Wenn wir unserer Unzufriedenheit keine Stimme verleihen, werden wir unsere Rechte niemals erlangen! Wenn wir einer Tradition nachgeben, welche die Frauen gering schätzt, dann werden noch unsere Kinder so behandelt werden! Denn genau das ist nach dem Tod des Propheten geschehen!

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

INFOS: www.sistersinislam.org.my

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