„Wir schlossen mit der Vergangenheit ab“

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Vor 20 Jahren wurde die erste nichtkommunistische Regierung Polens und des Ostblocks seit 1945 gegründet. Tadeusz Mazowiecki war der erste Ministerpräsident. Das Gespräch führte Agnieszka Hreczuk

Ein Victory-Zeichen haben Tadeusz Mazowiecki und andere Solidarno´s´c-Mitglieder am 12. September im Parlament gezeigt. Der Tag war der Höhepunkt des Jahres 1989 in Polen: Die erste nichtkommunistische Regierung Polens seit 1945 wurde angelobt. Ein FURCHE-Interview mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Mazowiecki.

Die Furche: Im Moment Ihrer Vereidigung als Ministerpräsident im September 1989 – fühlten sie da eher Freude oder die Last der Verantwortung?

Tadeusz Mazowiecki: Bei der Vereidigung bin ich zusammengebrochen. Nicht wegen der Emotionen, sondern vor Müdigkeit. Ich hatte sehr lange am Programm gearbeitet. Zu viel Kaffee getrunken, zu viele Zigaretten geraucht. Ich musste um eine Pause bitten. Als ich fortgesetzt habe, erklärte ich, ich habe mich selbst in den Zustand geführt, in dem sich die Wirtschaft Polens befindet, und ich hoffe, sie werde sich so schnell erholen, wie ich mich erholt hatte. Selbstverständlich habe ich eine riesige Verantwortung gespürt, die ich als Ministerpräsident tragen sollte und die auch mein ganzes Kabinett übernehmen sollte. Anderseits war ich sicher, dass wir der Verantwortung gewachsen waren. Wenn ich nur an Schwierigkeiten gedacht hätte, hätte meine Mission, unsere Mission, von Anfang an kein Sinn gehabt.

Die Furche: Dabei wollten Sie gar nicht unbedingt selbst Ministerpräsident werden, oder?

Mazowiecki: Ja, eigentlich dachte ich, Lech WaDlÛesa würde es werden. Es sollte ein Symbol sein. Doch das wollte er nicht. Wie sich später herausstellte, hat er sich eher als Präsident gesehen.

Die Furche: Sie haben eine demokratische Regierung gebildet, doch einige von Ihren Ministern waren auch Vertreter des alten Systems.

Mazowiecki: Ja, es ging darum, dass alle Mitwirkenden des runden Tisches auch bei der Bildung des neuen Polen dabei sind und die Mitverantwortung übernehmen. Das sollte uns auch vor irgendwelchen Provokationen von dieser Seite schützen. Davor hatte ich, ehrlich gesagt, größere Angst als vor einer Intervention von außen.

Die Furche: Damals, im Jahr 1989, war der 12. September für viele Polen ein besonderes Datum. Wichtiger sogar als der 4. Juni, der Tag der halbdemokratischen Wahlen. Heute ist dagegen der Tag Ihrer Vereidigung etwas vergessen.

Mazowiecki: Es macht kein Sinn, eine Rangfolge der wichtigen Daten zu erstellen. Das ganze Jahr 1989 ist für mich etwas Besonderes, nicht allein der 4. Juni oder der 12. September. Denn alle Daten waren Teil eines langen Prozesses. Ohne ein Datum, ein Geschehen, wäre der nächste Schritt nicht möglich. So zeigte am 4. Juni die Gesellschaft ihren Willen und ihre Bestrebungen. Es war ein Tag, der weitere Änderungen erlaubte. Aber die Demokratisierung Polens ist nicht an einem Tag passiert, es war eine langer Prozess in drei Akten: der Runde Tisch, die Juniwahlen und die Gründung meiner Regierung.

Die Furche: Zurück zu Ihrer Regierung. Von Anfang an haben Sie eine große Unterstützung der Bevölkerung genossen, im Laufe der Zeit wurde Ihre Regierung immer besser beurteilt. Nach dem letzten Umfragen gehören Ihr Kabinett zu den meist geschätzten Kabinetten Polens in den letzten 20 Jahren.

Mazowiecki: Wir haben einen gutes Job gemacht, davon bin ich überzeugt. Demokratisierung hieß doch: In allen Bereichen musste es Änderungen geben: Politik, Wirtschaft, Kultur. Ich habe den Eindruck, wir haben es gut gemeistert. Meine Regierung war 16 Monate an der Macht, aber diese 16 Monate waren so intensiv, dass mehr passiert ist in der Zeit als in einigen Jahren danach.

Die Furche: Worauf sind Sie besonders stolz?

Mazowiecki: Auf viele Sachen dürfen wir stolz sein. Auf die Reform der Selbstverwaltung, auf die Freiheit der Medien, auf die grundlegenden wirtschaftlichen Reformen. Alles ist in dieser Zeit umgesetzt, zumindest aber begonnen worden.

Die Furche: Dabei sind einige Ihrer Erfolge nicht immer gut beurteilt worden. Zum Beispiel der Balcerowicz-Plan: eine entscheidende Wirtschaftsreform, die zwar im Ausland geschätzt war, aber in Polen von vielen als zu hart betrachtet wurde. Oder der sogenannte „dicke Strich“ unter die Vergangenheit. Damit war eine Aufarbeitung des kommunistischen Regimes nicht möglich ...

Mazowiecki: Ich habe damals gesagt, wir schließen die Vergangenheit mit einer dicke Linie ab, weil ich und meine Regierung nur für die künftige Arbeit die Verantwortung übernehmen können, also nicht für das Erbe. In der Bevölkerung kam das etwas anders an, meine Worte wurden verdreht. Für mich bedeutete es vor allem einen ganz neuen Anfang für Polen, ich wollte ein Ministerpräsident aller Polen sein und eine Regierung bilden, die alle mitzieht. Das war eine gute Politik für Polen, zumindest in der damaligen Situation. Ich darf das glauben, denn Leute auf der Straße kommen zu mir und bedanken sich. Jene, die andere Meinung sind, sind deutlich in der Minderheit.

Die Furche: Heute heißt es, Solidarno´s´c habe verloren. Mit einer anderen Strategie hätte man mehr erreichen können.

Mazowiecki: Man kann immer sagen, man hätte mehr erreichen müssen. Es gilt eine einfache Regel – diejenigen, die sich an Verhandlungen nicht beteiligt haben, behaupten immer, man hätte sie besser führen können. Meiner Meinung nach haben wir damals sehr viel erreicht. Der Weg zur Machtübernahme wurde vorbereitet. Polen war das erste Land im Ostblock, das dies erreicht hat, und das auch noch auf friedlichem Weg. Ich denke, das hat die weiteren Änderungen in anderen Ländern ermöglicht. Die Vorwürfe finde ich grundlos und ahistorisch, sie berücksichtigen nicht die damalige Realität. Ich denke, dass ich nicht versagt habe.

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