"Wir sind keine Sekte"

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In den USA begegnet man ihnen und ihrer Präsenz auf Schritt und Tritt. Es gibt sie aber auch hierzulande: michael weiss über die Evangelikalen in Österreich.

Anders als beispielsweise in den USA bekommen sie kaum Aufmerksamkeit. Sie fristen ein Schattendasein, und doch gibt es sie auch in Österreich: Evangelikale Christen. "Evangelikal", das bedeutet "der Bibel verpflichtet". Ein frommes Leben unter streng konservativen Glaubensregeln ist das Ergebnis, mit allem, was dazugehört: Kreationismus, Keuschheit vor der Ehe, kategorische Ablehnung der Abtreibung et cetera.

Etwa 5000 Menschen gaben bei der Volkszählung 2001 "evangelikal" als ihr Glaubensbekenntnis an. Doch das ist noch nicht alles. Der Begriff "evangelikal" ist nämlich keineswegs eindeutig, was eine Einschätzung ihrer tatsächlichen Größe praktisch unmöglich macht. Je nach Begriffsdefinition und Selbstverständnis der jeweiligen Gruppe gehören nämlich auch Baptisten, Pfingstgemeinden, Brüdergemeinden, Mennoniten und manchmal sogar Siebenten-Tages-Adventisten zu den "Evangelikalen".

Wer ist evangelikal?

Legt man den Begriff so weit aus, so gibt es in Österreich etwa 100 evangelikale Gemeinden, meint Erich Röhrer, Obmann des "Bundes evangelikaler Gemeinden", BeG. Dieser lose und unverbindliche Zusammenschluss umfasst derzeit 37 evangelikale Gemeinden, acht weitere haben Beobachterstatus. Im BeG koordinieren sie ihre wenigen gemeinsamen Aktivitäten. Die Hauptpunkte sind Mission, Gemeindegründung und Gemeindeaufbau. Röhrers Fernziel ist "eine Gemeinde in jedem politischen Bezirk". Allerdings wolle man dabei den anderen Bünden, wie beispielsweise dem Baptistenbund, nicht in die Quere kommen. Eine engere politische Zusammenarbeit, auch zwischen den Bünden, ist unwahrscheinlich, auch wenn sie aus politischer Sicht durchaus Sinn machen würde.

Der BeG ist offiziell eine "eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft", eine Art Übergangsstatus, der im Zuge des "Bekenntnisgemeinschaftengesetzes" 1997 eingeführt wurde. Seither kann eine Gruppe erst den Status der "anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften" erhalten, wenn sie zuvor zehn Jahre lang Bekenntnisgemeinschaft war. Zusätzlich muss eine Mitgliederzahl von zwei Promille der Gesamtbevölkerung nachgewiesen werden, also etwa 16.000 Menschen. Diese Regelung ist insofern problematisch, als einige der bereits anerkannten Kirchen, etwa die Mormonen, die Buddhisten oder auch die Israelitische Kultusgemeinde die Anforderungen nicht erfüllen. Die verschiedenen evangelikalen Bünde treten koordiniert gegen diese Bestimmung auf. Eine Allianz mit den Zeugen Jehovas, die in dieser Sache Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht haben, wird allerdings ausgeschlossen. "Mit Sekten wollen wir nichts zu tun haben", so Röhrer.

Er spricht damit ein heikles Thema für die Evangelikalen an, gelten sie doch selbst in den Augen vieler als Sekte. Ihre konservativen Ansichten und die Gefahr, die von Unbekanntem ausgeht, lassen viele Menschen skeptisch werden. Tatsächlich unterscheiden sich die Evangelikalen in vielem kaum vom konservativsten Flügel der katholischen Kirche. Das birgt zwar, wie die Christenpartei in Niederösterreich zeigt, ernstzunehmende Probleme, zum Beispiel was die Abtreibungs- oder die Islamdebatte angeht (die Furche berichtete). "Sekte" nach der landläufigen, negativen Interpretation des Begriffs sind die Evangelikalen dadurch aber nicht. Das bestätigt auch Johannes Sinabell vom Referat für Weltanschauungsfragen der Erzdiözese Wien: "Evangelikale sind kein kompakter Block mit einer strengen zentralistischen Struktur, das unterscheidet sie von Gruppen wie Scientology oder Jehovas Zeugen."

Über den BeG hinaus findet noch in zwei weiteren Organisationen unverbindliche Zusammenarbeit statt. Einerseits in der Arbeitsgemeinschaft evangelikaler Gemeinden Österreichs, ARGEGÖ, und andererseits in der Evangelischen Allianz, einem Netzwerk von Einzelpersonen, die teilweise auch aus dem Bereich der Evangelischen Kirche kommen. Im Unterschied zum BeG fließt hier allerdings kein Geld, und es gibt daher keine Handlungsfähigkeit. Auch dort sind die finanziellen Angelegenheiten stark auf ein Minimum reduziert, da die einzelnen Gemeinden ihre Autonomie nicht gefährdet wissen wollen. Die wenigen Mittel, die zur Verfügung stehen, werden großteils für die Unterstützung von Missionaren im In- und Ausland und für Gemeindegründungsprojekte aufgewendet. Ein Teil fließt allerdings auch in ein relativ junges Projekt, die Evangelikale Akademie, EVAK. Diese wurde 2004 gegründet und bietet in Wien und Klagenfurt verschiedene theologische Lehrgänge an.

Ausbildung zur Mission

Die möglichen Berufsbilder nach der Ausbildung in der EVAK haben ein großes gemeinsames Ziel: Mission. Die Berufsbilder Gemeindeleiter, Gemeindegründer, Gemeindeentwickler sind darauf ausgerichtet, neue Gemeinden zu gründen und bestehende zu verwalten und zu vergrößern. Eine offizielle Anerkennung von staatlicher Seite wird es für die EVAK nie geben, denn die Voraussetzungen dafür sind etwa festes Lehrpersonal oder die vollkommene Freiheit der Wissenschaft, die sich nicht mit der allgemeinen Gültigkeit der Bibel verträgt. Finanziert wird die EVAK neben Spenden und der Unterstützung des BeG vor allem durch die Studienbeiträge der derzeit 45 Studenten.

Die EVAK soll dafür sorgen, dass in Zukunft die österreichischen Gemeinden von Österreichern geleitet und betreut werden können. Die Schlüsselpositionen sind derzeit noch hauptsächlich von Schweizern und Deutschen besetzt. Das liegt daran, dass die evangelikale Bewegung in Österreich eine recht kurze Geschichte hat. Während sich in den Nachbarländern evangelikale Bewegungen gleichzeitig mit dem Protestantismus entwickelten, wurden diese in Österreich durch die Gegenreformation fast komplett ausgelöscht. Erst vor etwa 50 Jahren kamen wieder erste Missionare nach Österreich, die nach wie vor von ihren Heimatgemeinden finanziell unterstützt werden. Die EVAK soll dafür sorgen, dass künftig auch von Österreich aus verstärkt Mission im Ausland betrieben werden kann.

IM INTERNET: Bund evangelikaler Gemeinden: www.beg.or.at - Arbeitsgemeinschaft evangelikaler Gemeinden Österreichs: www.evangelikale.at - Evangelische Allianz: www.evangelischeallianz.at - Evangelikale Akademie: www.evak.at - Weltanschauungsreferate der katholischen Kirche: www.weltanschauungsfragen.at

Demnächst: Wie Evangelikale beten und feiern - Die Furche besucht einen evangelikalen Gottesdienst.

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