"Wir vergeben und bitten um Vergebung"

19451960198020002020

Predigt über die "objektive Verantwortung", die Christen aller Zeiten verbindet. Zum Thema. Am 12. März, dem ersten Fastensonntag, sprach der Papst die große Vergebungsbitte für vergangene und gegenwärtige Sünden der Kinder der Kirche. Im folgenden eine Dokumentation der Ausführungen.

19451960198020002020

Predigt über die "objektive Verantwortung", die Christen aller Zeiten verbindet. Zum Thema. Am 12. März, dem ersten Fastensonntag, sprach der Papst die große Vergebungsbitte für vergangene und gegenwärtige Sünden der Kinder der Kirche. Im folgenden eine Dokumentation der Ausführungen.

Werbung
Werbung
Werbung

Vor Christus, der unsere Sünden aus Liebe zu uns auf sich genommen hat, sind wir alle zu einer tiefen Gewissenserforschung eingeladen. Ein charakteristisches Moment des Großen Jubiläumsjahres besteht in der "Reinigung des Gedächtnisses". Als Nachfolger Petri habe ich gebeten, daß sich die Kirche - stark in der Heiligkeit, die sie von Gott empfängt, in diesem Jahr des Erbarmens vor Gott hinkniet und Verzeihung für die vergangenen und gegenwärtigen Sünden ihrer Kinder erfleht. Der heutige erste Fastensonntag schien mir die geeignete Gelegenheit für die Kirche - geistig um den Nachfolger Petri versammelt - die göttliche Vergebung für die Schuld aller Gläubigen zu erflehen. Wir vergeben und bitten um Vergebung!

Dieser Appell hat in der kirchlichen Gemeinschaft eine tiefe Reflexion ausgelöst, die in den vergangenen Tagen zur Veröffentlichung eines Dokuments der internationalen Theologenkommission geführt hat, mit dem Titel "Erinnern und Versöhnen. Die Kirche und die Verfehlungen in ihrer Vergangenheit.".

Ich danke allen, die an der Ausarbeitung dieses Textes mitgewirkt haben. Er ist sehr nützlich für das richtige Verständnis und die Umsetzung der Vergebungsbitte. Diese beruht auf der objektiven Verantwortung, die die Christen verbindet, daß sie Glieder des Mystischen Leibes Christi sind, und die die Gläubigen von heute dazu drängt - im Licht einer genauen historischen und theologischen Kenntnis - zusammen mit der eigenen Schuld auch die der Christen von gestern anzuerkennen.

Auch wenn wir keine persönliche Verantwortung haben, und ohne das Urteil Gottes - der allein die Herzen der Menschen kennt - ersetzen zu wollen, tragen wir doch die Last der Irrungen und der Schuld derer, die uns vorangegangen sind. Die Verfehlungen der Vergangenheit anzuerkennen, trägt auch dazu bei, unsere Gewissen angesichts der Herausforderungen der Gegenwart wieder zu wecken, und jedem den Weg der Versöhnung zu öffnen.

Wir vergeben und bitten um Vergebung! Indem wir Gott loben, der in seiner erbarmenden Liebe in der Kirche eine wunderbare Ernte der Heiligkeit erweckt hat, des missionarischen Eifers, der totalen Hingabe an Christus und den Nächsten, so können wir doch die Untreue gegenüber dem Evangelium nicht leugnen, zu der bestimmte Brüder, insbesondere im zweiten Jahrtausend, sich haben hinreißen lassen.

Wir bitten um Vergebung für die Spaltungen unter den Christen, für die Gewalt, die einige im Dienst der Wahrheit angewandt haben. Wir bitten Vergebung für die Haltung des Mißtrauens und der Feindseligkeit gegenüber den Anhängern anderer Religionen.

Wir bekennen umso mehr unsere Verantwortung als Christen für die Übel von heute. Angesichts von Atheismus, religiöser Gleichgültigkeit, Säkularismus, ethischem Relativismus, angesichts von Verletzungen des Rechts auf Leben und der Gleichgültigkeit gegenüber der Armut in vielen Ländern müssen wir uns fragen, was unsere Verantwortung ist. So weit jeder von uns durch sein Verhalten Ursache für diese Übel ist, bitten wir demütig zum Vergebung, da wir so beigetragen haben, das Antlitz der Kirche zu entstellen.

Gleichzeitig mit unserem Schuldbekenntnis vergeben wir aber auch die Schuld, die andere uns gegenüber begangen haben. Im Lauf der Geschichte mußten Christen unzählige Male Gewalt, Anmaßungen und Verfolgungen aus Glaubensgründen erleiden.

Wie die Opfer solcher Übergriffe verziehen haben, so verzeihen auch wir. Die Kirche heute wie auch die Kirche aller Zeiten fühlt sich verpflichtet, ihre Erinnerung an diese traurigen Ereignisse von allen Gefühlen des Grolls und der Rache zu reinigen. Das Jubiläum wird so für alle eine Chance zur tiefen Umkehr zum Evangelium. Aus der Annahme der göttlichen Vergebung fließt die Bemühung, den Brüdern zu vergeben und sich gegenseitig zu versöhnen.

Wortlaut der zentralen Passage der Predigt Papst Johannes Paul II. bei der Meßfeier zum "Tag der Vergebung" im Petersdom in Rom.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung