Karl Schwarzenberg: "Wir waren nur die Wasserträger"

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1948 musste die Familie Schwarzenberg die Tschechoslowakei verlassen. Bis heute geblieben ist das politische Engagement für die Heimat – personifiziert in Karl Schwarzenberg.

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1948 musste die Familie Schwarzenberg die Tschechoslowakei verlassen. Bis heute geblieben ist das politische Engagement für die Heimat – personifiziert in Karl Schwarzenberg.

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Bis Mai war Fürst Karl Schwarzenberg tschechischer Außenminister und EU-Ratspräsident. Jetzt erholt er sich bei einer Kur am Wörthersee – ohne dabei die internationale Politik aus den Augen zu verlieren. Und die nationale: Im Herbst will er mit neuen Kräften und einer neuen Partei im tschechischen Wahlkampf mitmischen.

Die Furche: Fürst Schwarzenberg, wenn Sie jetzt die Ereignisse im Iran verfolgen, kommen Ihnen da Erinnerungen an die Revolution 1989?

Karl Schwarzenberg: Was 1989 passiert ist, war keine Revolution, sondern eine Implosion des sowjetischen Systems. Und dort, wo es nach Revolution ausgeschaut hat, war es erst recht inszeniert – das war in Rumänien. Die Regime im Ostblock haben damals erkannt, es ist besser, man räumt den Platz.

Die Furche: Zum Ende der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft ist die Welt wieder so in Aufruhr wie zu Beginn im Jänner, als der Gaza-Krieg Ihren Tagesablauf bestimmte.

Schwarzenberg: Es tut mir sehr leid, dass ich da jetzt nicht mehr viel machen kann. Es ist eine immens aufregende Zeit. Das erste Mal, dass das iranische Regime einer ernsten Bedrohung ausgesetzt ist. Zum anderen ist auch Bewegung in den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern gekommen. Nachdem ich Anfang des Jahres ständig zwischen Sharm El Sheik, Kairo und Jerusalem hin- und hergependelt bin, freut mich diese Entwicklung umso mehr.

Die Furche: Auch wenn Sie nicht mehr EU-Ratspräsident sind, wie sollte die EU reagieren? Strengere Sanktionen gegen den Iran?

Schwarzenberg: Sanktionen werden gemeinhin überbewertet. Wirtschaftliche Sanktionen lehne ich überhaupt ab, weil für gewöhnlich die normale Bevölkerung dabei entsetzlich draufzahlt – siehe Irak. Ich will auch nicht zu euphorisch klingen. Es steht uns noch ein langer mühsamer Prozess bevor. Wobei nicht garantiert ist, dass er gelingt. Aber das erste Mal seit vielen Jahren ist wieder Bewegung zu spüren.

Die Furche: Was hat US-Präsident Barack Obama mit seiner Rede an die muslimische Welt in Kairo dazu beigetragen?

Schwarzenberg: Sehr viel, er hat klare Flagge gezeigt. Und aufgrund der Geschichte seiner Familie hat Obama keine Vorurteile gegenüber Muslimen – ein riesiger Vorteil.

Die Furche: Also die richtige Person zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Im Iran stellen sich jetzt viele die Frage, ob der Oppositionsführer Mir Hussein Mussawi diese Person ist. Die Tschechoslowakei hat 1989 mit Václav Havel Glück gehabt …

Schwarzenberg: Richtig! Großes Glück …

Die Furche: … welche Rolle spielen denn Einzelpersonen in Umbruchszeiten?

Schwarzenberg: In der Chemie gibt es den Begriff des Katalysators. Aber es gibt auch in der Geschichte Personen, die der entscheidende Katalysator sind. Da ist überhaupt kein Zweifel. Der Prozess war damals in allen Ländern im Gange, aber die Rolle eines Václav Havel oder eines Lech Walesa darf nie unterschätzt werden. Solche Katalysatoren sind notwendig.

Furche: Was zeichnet diese Personen aus?

Schwarzenberg: Es ist jemand, der die Situation klar sieht, der Vertrauen genießt. Ohne solche Menschen würden Gelegenheiten in der Geschichte ungenützt vorübergehen.

Die Furche: Welche Rolle hat in diesem Sinn Papst Johannes Paul II. 1989 gespielt?

Schwarzenberg: Eine nie zu überschätzende Rolle. Endlich gab es eine Periode in der Geschichte mit einem Papst, der unsere Gegend verstand. Das war das Herrliche an ihm. Karol WojtylDa war ein hochintelligenter Mensch, künstlerisch begabt, voller Visionen … Und nicht zu vergessen: mit großem Humor. Er war wirklich ein Phänomen. Und er hat genau gewusst, was Kommunismus ist. Der ist nicht so manchen vatikanischen Illusionen erlegen.

Die Furche: Trotz dieser herausragenden Persönlichkeiten hätte 1989 auch in einem Blutbad enden können – warum ist es dazu nicht gekommen?

Schwarzenberg: Aus einem sehr einfachen Grund: Weil sich der KGB als einzige wirklich gut informierte Institution in der Sowjetunion bewusst war, dass man den Kampf gegen Amerika verloren hat. Das Land war durch eine falsche Wirtschaftspolitik in eine untragbare Situation gekommen. Daraufhin hat man 1982 versucht, mit dem alten erfahrenen Juri Andropow als Generalsekretär der KPdSU das Ruder noch einmal herumzureißen. Der hat als Botschafter in Ungarn im Kleinen vorgeführt, was dann die Chinesen im Großen gemacht haben: Er hat den wirtschaftlichen Privatinitiativen sehr viel Raum gelassen. Bei striktem Verbot – und das war jedermann bewusst –, sich in die Politik einzumischen. Der KGB hat gedacht, Andropow schafft das auch für die Sowjetunion. Und er war zweifellos ein hochintelligenter Mann. Aber er war nierenkrank und ist sehr schnell gestorben.

Die Furche: Sein Nachfolger wurde 1984 der noch ältere Konstantin Tschernenko …

Schwarzenberg: … dieser unselige Greis, mit dem nichts zu machen war. Und da hat man Gorbatschow aus dem Hut gezogen. Der hat auch zum KGB-Stall gehört und begriffen, dass es daneben geht. Er hat daraufhin einen anderen Weg eingeschlagen und auch die politischen Zügel losgelassen.

Die Furche: Mit Gorbatschow war der friedliche Systemwechsel garantiert?

Schwarzenberg: Es kann immer jemand durchdrehen. Aber Gorbatschow hat bei seinen Besuchen in den Ostblock-Ländern klargemacht: „Wir schützen euch nicht mehr!“ Und der Mehrheit der Staatsführer war klar, dass Gewaltanwendung ohne sowjetische Rückendeckung äußerst übel für sie selbst ausgehen könnte. Die Vernünftigen haben gesehen, ohne Hilfe aus Moskau hängen wir zum Schluss selber an den Laternenmasten.

Die Furche: Welche Art von Unterstützung aus dem Westen hat am meisten zum Umsturz 1989 beigetragen – oder andersrum: Was auch von Ihrer und der Arbeit anderer über den Eisernen Vorhang hinweg hat dem System dort am meisten geschadet?

Schwarzenberg: Wir waren nur die Wasserträger. Das Wesentliche haben die Leute hinter dem Eisernen Vorhang selbst gemacht. Solidarnosc, die Charta 77 oder wer auch immer. Wir haben ihnen teilweise mit Informationen helfen können, teilweise sind wir bei der KSZE für Leute eingestanden und haben sie damit aus dem Kotter rausgebracht. Oder wir haben Kopiermaschinen und ähnlichen Blödsinn rüberschicken können. Das ist aber alles nicht so wesentlich gewesen. Das Wesentliche haben die getan.

Die Furche: Jetzt reden Sie aber Ihre Rolle und die von vielen anderen, die über die tote Grenze hinweg gedacht und geholfen haben, schon sehr klein.

Schwarzenberg: Das Wichtigste von unserer Seite war, dass wir den Menschen drüben das Bewusstsein vermittelten: Ihr steht nicht allein. Wichtig war auch, was der gescheite alte Mitterand bei seinem Prag-Besuch gemacht hat: Er hat Dissidenten in die französische Botschaft eingeladen. Dieses Signal ist in die ganze Welt gegangen.

Die Furche: Und der Helsinki-Prozess? Sie selbst haben sich auf der Grundlage dieser Vereinbarungen für die Menschenrechte einsetzen können.

Schwarzenberg: Ja, damit haben die Sowjets einen Blödsinn gemacht. Sie haben gedacht, der Helsinki-Prozess festigt ihr Imperium und ihre Grenzen. Dabei haben sie übersehen, dass diese Menschenrechtsbedingungen – das unsterbliche Verdienst Jimmy Carters und einiger europäischer Politiker! – letztlich ihr System gesprengt haben.

Die Furche: Das Kleine, nebensächlich Erscheinende hat die größte Wirkung gezeigt.

Schwarzenberg: Es war so, wie die Ägypter die Blöcke für ihre Pyramiden zugeschnitten haben – ohne Motorsteinsägen wie heute. Sie haben Erbsen in Löcher hineingegeben und diese mit Wasser begossen. Und die Quellkraft hat die größten Steine langsam aber sicher gesprengt. Meine ganze Tätigkeit in der Helsinki-Föderation für Menschenrechte war dadurch ermöglicht. Ich konnte mich immer wieder darauf berufen, dass sie die Helsinki-Dokumente unterschrieben haben. Bei allen Behinderungen war das doch eine sehr starke Waffe.

Die Furche: Persönlich haben Sie die Wende in Ihrer Heimat ja nicht miterleben dürfen.

Schwarzenberg: Am 17. November 1989 wurde mir mitgeteilt, dass ich in der Tschechoslowakei eine unwillkommene Person bin. Zehn Tage später war alles ganz anders. Das Leben ist manchmal ganz schön bunt!

Die Furche: So bunt, dass am 29. Dezember Václav Havel als tschechoslowakischer Präsident in die Prager Burg eingezogen ist. Sie haben diesen Tag als den glücklichsten Ihres Lebens bezeichnet …

Schwarzenberg: … weil ich gewusst habe: Jetzt ist der Alptraum mal vorbei. So ein Tag, an dem Land und Volk wieder frei werden, passiert nicht mehrmals im Leben.

Die Furche: Und in den vergangenen 20 Jahren haben Sie keinen noch glücklicheren Tag erlebt?

Schwarzenberg: Nein, nein, ich bleib’ beim 29. Dezember 1989.

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