Wirklich typisch MUSLIMISCH?

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Vorurteile und Stereotype erleichtern das Denken, sind aber nicht selten schlichtweg falsch. Über das verzerrte Bild von muslimischen Frauen.

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Vorurteile und Stereotype erleichtern das Denken, sind aber nicht selten schlichtweg falsch. Über das verzerrte Bild von muslimischen Frauen.

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Vor einigen Jahren wollten zwei deutsche Sozialpsychologen, Andreas Klink und Ulrich Wagner, es genau wissen. Sie baten eine junge Frau -Teenager-Alter -, in der Fußgängerzone nach dem Weg zum Bahnhof zu fragen. Die meisten gaben bereitwillig Auskunft. Als dieselbe junge Frau dann "orientalisch" gekleidet und mit Kopftuch nach dem Weg fragte, erhielt sie signifikant weniger als die Hälfte der Auskünfte. Kein Zufall, sondern Vorurteil.

Vorurteile und Stereotype sind unvermeidbar. Das liegt an der Konstruktion des menschlichen Gehirns. Dieses unterscheidet sich in Größe, aber vor allem durch seine innere Organisation von den Gehirnen anderer Primaten. Das menschliche Gehirn hat eine Evolutionsgeschichte: Die älteste Schichte, das sogenannte "Reptilienhirn", ist für Bewegung und Überleben zuständig, im sogenannten "Eichhörnchen-Hirn" werden emotionale Prozesse und in der Großhirnrinde die Denkprozesse lokalisiert.

Die intensive Vernetzung dieser Bereiche ermöglicht "Denk-Abkürzungen", sprich Stereotype oder Vorurteile, also Urteile über größere Gruppen von Menschen, ohne auf die konkrete Person oder das einzelne Individuum zu sehen. Das ist manchmal hilfreich -kann aber auch sehr täuschen. Etwa wird Asiaten besondere Höflichkeit zugeschrieben, Punks dagegen gelten als aggressiv. Doch kann sich hinter der höflichen Fassade Brutalität verbergen und der Punk mit den Piercings ein liebenswürdiger Gandhi-Jünger sein. Stereotype können also zu völlig falschen Urteilen führen, wenn keine Abgleichung mit der tatsächlichen Situation stattfindet.

"Kognitive Geizkrägen"

Vorurteile und Stereotype sind hilfreich, aber nicht immer. Sie nehmen Denk-und Problemlösungsarbeit ab und vereinfachen dadurch das soziale Leben. Gäbe es sie nicht, müssten wir ständig den Alltag neu erfinden. Doch sie können das soziale Leben auch zerstören. Denn Menschen sind tendenziell "kognitive Geizkrägen", sagt die Sozialpsychologie. Menschen verwenden gerne so wenig Energie wie möglich aufs Erfassen einer Situation. Doch man muss das Denken "einschalten", um eine Situation angemessen einschätzen zu können. Und man muss das "ganze Bild" kennen. Vor einigen Jahren hat die englische Zeitung The Guardian einen 30-Sekunden-Film ins Netz gestellt. Phase eins: Ein Auto bremst scharf ab und ein Skinhead sprintet in Richtung einer Frau. Phase zwei: Der Bursche sprintet auf einen Mann mit Aktentasche zu, der reißt die Tasche schützend hoch. Phase drei: Der Junge drängt den Alten an die Hausmauer und rettet ihn vor den herabstürzenden Ziegeln. Nur wer die ganze Geschichte kennt, kann die Situation beurteilen.

Wie sieht eine Muslima aus?

Es ist der "kognitive Geizkragen", der Frauen mit Kopftuch als ungebildet, nicht emanzipiert usw. beurteilt. Es ist ein Vorurteil, das hier seine Anwendung findet und sehr häufig falsch ist. Doch Stereotype sind stark, und Medien leben von Stereotypen, die Wiedererkennbarkeit garantieren. Etwa wurde ein Fotograf einer Berliner Zeitung vom Chefredakteur beauftragt, ein Foto von einer emanzipierten Muslima zu machen. Der Fotograf brachte ein Foto von einer jungen, gut angezogenen hübschen Frau, die mit ihrem Handy telefonierte. Der Chefredakteur tobte -er hatte doch das Foto einer Muslima bestellt.

Die Frau im Bild war tatsächlich eine Muslima, doch konnte man dies natürlich nicht erkennen. Es gibt keine Vorgaben, wie eine Muslima auszusehen hat. Dies bestätigte vergangene Woche Iman Bibars, Direktorin von Ashoka Arab World, schon durch ihre elegante Erscheinung bei ihrem Vortrag in der Diplomatischen Akademie in Wien. Sie ist Ägypterin, Muslima und als Vertreterin von Ashoka, dem internationalen Netzwerk von Sozialunternehmern, eine "Changemakerin". Die rigiden Kleidervorschriften, die heute oft als "islamisch" gelten, sind das Ergebnis "extremer patriarchaler Unterdrückung", sagte sie im APA-Interview. Im Islam gibt es keine zentrale Lehrautorität, und daher viele verschiedene Auslegungen des Islam. Viele Muslime -und Nicht-Muslime - wissen dies nicht und verwechseln konservative Auslegungen einiger weniger Prediger mit dem Koran. Heute als "echt islamisch" geltende Auslegungen kommen von Wahhabiten in Saudi-Arabien und unterstützen ein autoritäres, patriarchales System. Zudem herrscht bei vielen Muslimen und Nicht-Muslimen große Unkenntnis in Sachen Koran. Ihre Hoffnung setzt Bibars in die junge Generation, die internetaffin und gebildeter ist und sich selbst ein Urteil bilden kann. Eine Vorschrift zur Gesichtsverschleierung steht nicht im Koran, und ob eine Frau aus Pietät das Haar bedecken will oder nicht, sollte ihr überlassen bleiben, sagt sie, die selbst kein Kopftuch trägt.

Das Problem ist also nicht der Islam, so Bibars, sondern das Problem sind patriarchale Gesellschaften. Patriarchale Stereotype befördern generell physische oder psychische Gewalt gegen Frauen -das ist religionsunabhängig. Familiäre und traditionsbedingte Gewalt ist auch ein Problem der Gesellschaften Europas. Nach einer kürzlich von Amnesty International veröffentlichten Statistik versucht in Deutschland täglich ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin umzubringen; jeden dritten Tag gelingt dies auch. Für Österreich gibt es dazu keine genauen Zahlen.

Negative Emotionen verstärken Vorurteile und Stereotype, Angst aktiviert das "Reptilien-"und das "Eichhörnchenhirn". Wenn Politiker medial zum Beispiel rassistische Stereotype verbreiten, siegt die Angst über klares Denken. Es entsteht Aggression und Intoleranz. Dass etwa das Plakat der Freiheitlichen Arbeitnehmer zu "Unser Geld für unsere Kinder" mit einer dunkelhäutigen Frau mit Kopftuch sachlich Falsches suggerierte -an Kinder außerhalb der EU wird nämlich keine Kinderbeihilfe gezahlt - wurde kaum wahrgenommen.

Stereotype einer "islamischen Kultur"

Einer der Chefideologen, der gekonnt Vorurteile mit Angst und Machtansprüchen kombinierte, war Samuel Huntington in seinem Buch "Kampf der Kulturen". Was wegen falscher Daten als Proseminararbeit auf der Uni ein glattes Nichtgenügend gewesen wäre, diente als Blaupause für die US-Außenpolitik der Bush-Ära und danach. Die darin vertretenen (falschen) Stereotype einer "islamische Kultur" wurden und werden von nationalistischen und rassistischen rechten Parteien aufgegriffen. Die gezielte Verblendung durch die Kombination von Angst und Vorurteil führt zu einer Polarisierung und mittlerweile zu Aufrufen zu einer aktiven Diskriminierung muslimischer Mitbürger. Etwa fordern Vertreter der FPÖ Wien den Ausschluss von Musliminnen und Muslimen vom weiteren Zugang zu Gemeindebauwohnungen. SOS-Mitmensch hat deswegen eine umfangreiche Sachverhaltsdarstellung wegen des Verdachts der Verhetzung und der NS-Wiederbetätigung bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebracht.

Im Kasperltheater wars einfach: Da kam der Kasperl und hat das Krokodil verjagt. Das Großhirn kann die medial erzeugte Panik des "Reptilien-"und "Eichhörnchenhirns" nicht verjagen. Doch kann klares Denken deutliche Bilder geben, dass Politik nicht heißt "Wer ist der Stärkere?", sondern gemeinsame Gestaltung des Miteinanders. Politik ist nicht Zerstörung der Polis. Das ist Diktatur, wussten schon die alten Griechen.

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