Wo Kunst draufsteht, ist auch Kunst drin - oder ...?

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Wann immer man heute anfängt, von Kunst zu sprechen, drängt sich bei den meisten Zuhörern der unwiderstehliche Drang zum Gähnen oder ein wichtiger Grund zum Verlassen des Areals auf. Allein die Erwähnung des Wortes zwingt zu einem schnellen Blick auf die Uhr.

Warum? Irgendwie haben wir es wohl geschafft, die Kunst ins Unterhaltungsabseits zu drängen. Mehr Pflichtprogramm denn Inspiration. Eine fade, uröde Angelegenheit für eine kleine, eingeschworene, elitäre Gemeinschaft von todernsten, kränkelnden, abgehobenen Verrückten mit runden Brillen und grauen Strickjacken.

Ganz anders vor vielen, vielen Jahren, als Kunst und Unterhaltung keine zwei verschiedenen Paar Schuhe waren. Als man sich am Wochenende den neuen Shakespeare reinzog und Johann Strauß so eine Art Ricky Martin war. Als die Kunst den Dienstboteneingang benützte, den heute die triviale Unterhaltung für sich beansprucht. Doch irgendwann kam uns wohl die glorreiche Idee, einen Unterschied zwischen E- und U-Musik zu machen und die Kunst auf die Vordertreppe zu verbannen zu all den anderen langweiligen Gästen, auf deren Besuch man verzichten könnte.

Angesichts dieser Tatsache frage ich mich manchmal, ob nicht die triviale Unterhaltung die eigentliche Nachfolge der Kunst angetreten hat. Schließlich sollte man es nicht als so einfach abtun, ein Theaterstück oder einen Film zu produzieren, den sich auch wirklich jemand ansieht - freiwillig. Wer soll da noch sagen, dass das keine Kunst ist?

Natürlich darf man nicht vergessen, dass auch früher viele Leute der Kunst ablehnend gegenüber standen, was zur Folge hatte, dass die meisten Maler, Musiker, Schriftsteller usw. nicht mal einen Bruchteil des Respekts bekamen, der ihnen zugestanden hätte und gefrustete Künstler wie Van Gogh anfingen, sich die Ohren abzuschneiden ...

Keiner möchte, dass das wieder passiert. Deshalb hat man heute oft das Gefühl, dass die Leute völlig unkritisch wirklich alles als Kunst akzeptieren, was ihnen als Kunst verkauft und unter die Nase gehalten wird, nur um später nicht der Böse zu sein, der den Fauxpas beging, das Genie eines Künstlers zu verkennen.

Kunst soll Flausen ins Hirn setzen, verwirren, zum Nachdenken anregen, Missstände anprangern, inspirieren. Das kann sie aber nur, wenn sich ein Publikum mit ihr beschäftigt. Die schönste Botschaft nützt nichts, wenn sie keiner hört. Und die Kunst hat die Macht gehört zu werden, weil sie das einzige Medium ist, das quasi über die Hintertreppe ins Bewusstsein der Menschen eindringen kann - in der Historie unserer Menschheit waren es selten die Vordertreppenleute, die die Geschichte in neue Bahnen lenkten.

Doch um eben in das Bewusstsein der Leute einzudringen, ist es häufig nötig, Tabus zu brechen und Grenzen zu überschreiten. Das war zu jeder Zeit unserer Geschichte so: Wie sollte man eine Revolution anzetteln, ohne dabei die Armut und das Elend der Leute zu schildern? Wie einen Krieg beenden, ohne von den blutenden Leichen der Soldaten in den Schützengräben zu sprechen? Man braucht nicht davor zurückschrecken, Tabus zu brechen, wenn es der Sache dient, die man rüberbringen will.

Was ich aber zutiefst verurteile, ist eine Kunst, die Grenzen nur um der Attraktion willen überschreitet. Es gibt nach wie vor Tabus, die man nur brechen sollte, wenn es wirklich einem Zweck dient und nicht nur zum Spaß oder einzig und allein, um über eine platte Idee hinwegzutäuschen, die in Wirklichkeit keine ist.

Die Leute haben heute vielleicht für Kunst nicht mehr so viel übrig wie früher, aber dadurch wird es nicht besser. Wenn Tabus gebrochen werden, um die Sensationslust der Menschen anzusprechen, dann ist diese Strategie offensichtlich nicht besonders wirkungsvoll. Ganz ehrlich - wenn etwas nur dem Zweck dient, Aufmerksamkeit zu erregen und sich dahinter nichts weiter als ein inhaltloses, phantasieloses Werk ohne Sinn verbirgt, halte ich es nicht für besonders kunstvoll.

Aber unsere Weltgeschichte scheint sich eben in einer Art Wellenbewegung fortzusetzen und dabei permanent von einem Extrem ins andere zu pendeln. Auf zügellose mutwillige Überschreitung aller Grenzen wird vermutlich eine Phase der totalen Zensur folgen, wieder gefolgt von einer Missachtung aller menschlichen Gesetze und so weiter. Auswüchse gab es schon immer und wird es immer geben. Auch - oder vor allem - in der Kunst.

Es handelt sich hierbei nun mal um eine ziemlich diffizile Angelegenheit. Anders als beispielsweise beim Sport gibt es in der Kunst nichts Messbares - keine Einheit, in der man die Güte oder Qualität eines Kunstwerkes angeben könnte. Man muss sich einzig und allein auf sein Gefühl verlassen. Und das scheint uns schwerer zu fallen denn je.

Dennoch kommen wir wohl nicht drum herum, uns eine eigene Meinung zu bilden. Denn was wirklich Kunst ist, muss letztendlich doch jeder für sich selber entscheiden. Schließlich ist und bleibt Kunst wie so vieles am Ende eine Frage des (guten) Geschmacks.

6. Platz: Ursula Leiter Geboren 1981. Besuch der Volks- und Hauptschule in Jenbach, anschließend der Handelsakademie in Schwaz, derzeit Informatikstudium in München. Immer schon am Schreiben interessiert, beim 1. Tiroler Literaturwettbewerb für Jugendliche mit einem Preis für ein Kurztheaterstück ausgezeichnet. Beim ORF-Wettbewerb Drehbuch 2000 erhielt sie eine lobende Erwähnung für eine Comedy-Serie.

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