Wohlstand sieht anders aus

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Globalisierung in Manila: Japan und die USA bestimmen die philippinische Hauptstadt nach Belieben. Ein Tigerstaat waren die Philippinen auch in Zeiten südostasiatischer Wirtschaftswunder nie. Manila, die Hauptstadtregion des Archipelstaates, wurde von den positiven Entwicklungen der Globalisierung bestenfalls gestreift.

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Globalisierung in Manila: Japan und die USA bestimmen die philippinische Hauptstadt nach Belieben. Ein Tigerstaat waren die Philippinen auch in Zeiten südostasiatischer Wirtschaftswunder nie. Manila, die Hauptstadtregion des Archipelstaates, wurde von den positiven Entwicklungen der Globalisierung bestenfalls gestreift.

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Habe die Philippinen erobert - was machen wir damit?" US-Admiral George Dewey war sich 1898 nicht ganz sicher, was aus der neuen Kolonie werden sollte, die nach einer der kürzesten Seeschlachten der Geschichte kapituliert hatte. Ein Jahrhundert später stellen sich nicht nur US-Strategen ähnliche Fragen: "No guns, please", sagt Securitymann Ildefonso am Eingang zum Statistischen Zentralamt, sein Schnellfeuergewehr beiläufig neben sich.

Manila ist nicht zufällig geworden, wie es ist. Da waren die Spanier, die die Hafenstadt an der Manila Bay von 1571 bis 1898 als Umschlagplatz forcierten, bis die USA die Philippinen auf fünf weitere Jahrzehnte kontrollierten - der Inselstaat im südchinesischen Meer hat die längste koloniale Geschichte der Welt. Auch nach der Unabhängigkeit 1946 kontrollieren einige spanischstämmige Familienclans den Archipel wie immer schon - die neue Freiheit blieb Illusion. Die Hauptstadt wucherte unkontrollierbar, ein Spielball autokratischer Interessen im Dunstkreis von nepotistischer Korruption, die einige US-Konzerne zur Erweiterung ihrer Pfründe zu nutzen verstanden. Nike macht's möglich.

Präsident Marcos (1965-1986) erklärte Manila 1977 zur Hauptstadt und machte Gattin Imelda zum "General Manager" der neu gegründeten Metropolitan Manila Commission (MMC), die die Modernisierung auf Kosten der ansässigen Bevölkerung vorantrieb. Während der Vorbereitungen zur Miss Universum-Schönheitskonkurrenz verloren Zehntausende ihre Häuser, weil diese an der vorgesehenen Paraderoute lagen und daher entfernt werden mussten. Die Bodenpreise verdoppelten sich und informelle Squatter-Settlements schossen aus dem Boden, während die Migrationsströme aus dem ruralen Hinterland in die National Capital Region (NCR) nicht abreißen wollten: eine Folge zunehmender Guerillatätigkeit und ausbleibender Landreformen.

Corazon Aquino (1986-1992) brachte Demokratie, aber nicht mehr: Die Landreformen blieben am Papier, und Naturkatastrophen (Erdbeben Luzon 1990, Vulkanausbruch Pinatubo 1991, zahlreiche Taifune) trieben Hunderttausende in die Hauptstadtregion. So wachsen die Stelzenbauten weiter in den trägen PasigFluss, wo die Minarette von Quiapo in den bleiernen Himmel ragen - die Kartonliegen unter den brüchigen Arkaden verschimmelter Kolonialruinen sind bereits am frühen Abend belegt und die gelben Borussia-Dortmund-Trikots, lokales Statussymbol, baumeln triste unter den morschen Brücken der Kanäle: Globalisierung in Manila, das heißt Aussicht auf die paar halbfertigen Betonklötze am Rizal Park und den Styropormüll vor Burgerking und Pizzahut, den die Straßenkinder nächtens übernehmen. Sorry, no entry for everybody.

Mit Fidel Ramos schien es 1995 besser zu werden, doch die südostasiatische Wirtschaftskrise beendete die kurze Euphorie abrupt - die Schere zwischen Arm und Reich öffnete sich dramatisch, was den Wahlerfolg (1998) von Präsident Joseph "Erap" Estrada, ehemaliger Filmschauspieler und Bürgermeister von Metro Manila (populistisches Motto: Kampf der Armut), begünstigte.

Nächtliche Kochfeuer Seine eigene Armut hat er jedenfalls erfolgreich bekämpft: Nach Korruptionsskandalen sonder Zahl ist Estrada seit Jänner Vergangenheit, auch wenn es einen offiziellen Rücktritt bis dato nicht gegeben hat. Estrada beruft sich auf seine Immunität und bezeichnet seine Nachfolgerin, die frühere Vizepräsidentin Gloria Macapal-Arroyo, lediglich als "geschäftsführende Präsidentin" - trotz deren Angelobung als 14. Präsidentin der Philippinen, nachdem Estrada sowohl die Unterstützung des Kabinetts als auch von Polizei und Militär abhanden gekommen war. Reformen werden wohl warten müssen, auch wenn Crispin Beltram von der linksgerichteten Gewerkschaft KMU Taten fordert. "Ohne sofortige Maßnahmen zur Sicherung besserer Lebensbedingung bleibt Arroyo nur ein Estrada mit anderem Namen. Vergeben und vergessen ist zuwenig."

Die NCR ist heute Heimat von zehn Millionen, bis 2025 wahrscheinlich das Doppelte: Ein Blick von den überfüllten Perrons der Hochbahn auf die Wellblechdächer von Blumentritt und Quiapo erschüttert die statistische Mär des wachsenden Wohlstands. Zugespitzte Waggondächer auf den Vorortezügen, um Trainsurfing zu erschweren. Nächtliche Kochfeuer hinter den Stacheldrahtzäunen von Jollybee, der nationalen Fastfoodkette. Wohlstand sieht anders aus.

Die Infrastruktur der Stadt ist am Stand der frühen siebziger Jahre geblieben. Bis 1992 waren zehnstündige Stromausfälle genauso an der Tagesordnung wie mehrstündige Wartezeiten auf internationale Telefonverbindungen. Warten ist Leben: Es staut in Manila, Tag und Nacht. 40 Prozent (1,10 Millionen) aller landesweit registrierten Fahrzeuge auf nur zwei Prozent (4.820 Kilometer) des philippinischen Straßennetzes, statistisches Durchschnittstempo zwölf Stundenkilometer. Geschätzte 20 Millionen Menschen werden tagtäglich befördert, davon 400.000 auf der städtischen Hochbahn (LRT= light rail transit), die derzeit nur eine zwölf Kilometer kurze Nord-Südverbindung innerhalb der NCR bedient: Bis 21 Uhr, der Sicherheit wegen, die keiner garantieren mag im diffusen Glimmer der Nebengassen. Lediglich die chinesische Nekropole, eine stacheldrahtbewehrte Stadt in der Stadt mit klimatisierten Mausoleen, Blumengärten und Cola-Shops, ist autofrei: "No driving for beginners", heißt es am Eingang und die Gunmen davor meinen es ernst. Die Luft ist dick zwischen den Baracken rundum: 60 Prozent der Schadstoffbelastung gehen auf das Konto des städtischen Straßenverkehrs.

Staudammprojekte an Kaliwa, Kanan und Umiray, drei Flüssen im Norden der Hauptstadtregion scheinen die einzige Möglichkeit, den Wasserbedarf der Metropole zu decken. Etwa 30 Prozent der Bevölkerung verfügt über keinen Wasseranschluss, sondern ist auf mobile Wasserhändler mit Trucks, Jeepneys oder Karren angewiesen. Sieben Schilling für einen Liter Aqua Natural, ein stolzer Preis in den '"Seven Eleven"-Lebensmittelketten: 24-Stunden-Service, diesmal mit zwei martialischen Gunmen davor - zumindest im Sicherheitsbereich ist Arbeitslosigkeit kein Thema.

Amerikanisierung vor Internationalisierung? Die USA und (vermehrt) Japan bestimmen die dümpelnde philippinische Handels- und Investitionslandschaft nach Belieben. Die Auflösung der US-Truppenstützpunkte 1992 in unmittelbarer Nachbarschaft der NCR bewirkte den Verlust von 70.000 Arbeitsplätzen und den Abzug von Zigtausenden (kaufkräftigen) US-Marines - Coke, Elvis und Baseball sind geblieben.

Tangos & Demos Die devote Bitte um nordamerikanischen (Militär)Schutz war bald wieder da, spätestens nach dem Verlust der ökonomischen Seilschaften im ASEAN-Raum nach 1997. Die hastige Ausweisung der Sonderentwicklungszonen Clark (früherer US-Luftwaffenstützpunkt), Subic (frühere US-Marinebasis), Calabarzon und Marilaque greift nur zögernd, dazu ein paar allzu bemüht glitzernde Skyscraper in der Pseudo-Downtown von Makati: Internationales Kapital fließt anderswo. Manilas Rolle als Spielball neokolonialer Interessen scheint jedenfalls verfestigt, die alten Schienen zu etabliert für neue Geleise. Wer will schon investieren in politischer Labilität und wachsender Sezession? Deweys Erben haben die NCR im Griff, was für Estrada und Co schon lange nicht mehr zutrifft. Die rauschenden Tango-Parties der Mächtigen werden immer öfter unliebsam unterbrochen, die Massendemonstrationen im Reich der Vulkane häufen sich. Heiße Tänze liegen in der Luft: Ildefonsos Nächte werden nicht ruhiger werden.

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