Wortgewaltiger in einer Schweigezeit

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Kaj Munk - evangelischer Pfarrer, Dichter, Hitlergegner, Märtyrer und Galionsfigur des dänischen Widerstandes - wurde vor 100 Jahren geboren.

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Kaj Munk - evangelischer Pfarrer, Dichter, Hitlergegner, Märtyrer und Galionsfigur des dänischen Widerstandes - wurde vor 100 Jahren geboren.

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Nur eins will ich sagen: Wenn man hier im Lande mit der Verfolgung einer gewissen Gruppe unserer Landsleute anfängt, nur um ihrer Abstammung willen, dann ist es christliche Pflicht der Kirche zu rufen: ,Das ist gegen das Grundgesetz im Reiche Christi, die Barmherzigkeit, und das ist verabscheuungswürdig für jedes freie nordische Denken.' Und die Kirche muß weitergehen, ohne sich beirren zu lassen. Geschieht das noch einmal, dann wollen wir mit Gottes Hilfe versuchen, das Volk zum Aufruhr zu bringen. Denn ein christliches Volk, das tatenlos zusieht, wenn seine Ideale mit Füßen getreten werden, gibt dem tödlichen Keim der Verwesung Einlaß in seinen Sinn, und Gottes Zorn wird es treffen."

Diese Sätze entstammen der Predigt, die der dänische lutherische Landpfarrer Kaj Munk am 5. Dezember 1943 im Kopenhagener Dom hielt. Er war zu dieser Zeit in der dänischen Hauptstadt unerwünscht und durfte die Kanzel eigentlich nicht betreten. Aber er hielt seine Predigt auf Wunsch eines Amtsbruders dennoch, und er drohte darin mit Aufruhr wegen der Judenverfolgung durch die Deutschen. Man bedenke: Ein lutherischer Pfarrer droht der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, mit Aufruhr!

Genau einen Monat später fand man die Leiche von Pastor Munk bei H¿rbylunde Banke, kurz vor Silkeborg in Jütland. Am Abend des 4. Januar 1944 hatte ihn ein SS-Kommando in seinem Pfarrhaus in Veders¿ an der Nordsee verhaftet und abtransportiert. Als er seine Frau, die mit fünf kleinen Kindern zurückblieb, zum Abschied umarmte, sprach er ihr Mut zu: "Vertraue auf Gott!" Das Auto der SS fuhr lange durch die Nacht, hielt schließlich unterwegs, und Kaj Munk wurde kaltblütig erschossen. Es war ein von Hitler und Himmler persönlich angeordneter Terrorschlag gegen die dänischen "Freiheitsskämpfer". Pastor Munk war eine Symbolfigur des Widerstands gegen die deutschen Besatzer.

Kaj Munk wurde am 13. Jänner 1898 in Maribo auf Lolland geboren. Sein Vater war Gerbermeister, Besitzer eines eigenen Betriebes, seine Mutter stammte von einem Bauernhof. Beide Eltern starben kurz hintereinander, als Kaj noch sehr jung war. Er wurde von kinderlosen Verwandten, Kleinbauern in Opager bei Maribo, adoptiert. Diese gehörten der Erweckungsbewegung der "Indre Mission" an. Die Freude an Gottes Wort und die standfeste Gläubigkeit seiner neuen Eltern, besonders der durch ein heimtückisches Beinleiden behinderten Mutter Marie, prägten ihn entscheidend.

Sein Lehrer in der Volksschule, Mart Wested, und ein junger Pastor in der Gemeinde, Oscar Geismar, beide Volkspädagogen im Sinne des großen dänischen Erziehers und Theologen Nikolaj Grundtvig, erkannten seine Begabung und förderten sein literarisches Talent. Ihnen verdankt er die Ehrfurcht vor den christlichen Werten, die das dänische Volk bestimmten, und sie weckten in ihm die Freude an Menschheitsgeschichte und Literatur.

Schon als junger Mensch verfaßte Kaj Munk beachtliche Texte: Balladen, Gedichtzyklen, Dramen. Er überlegte sogar, das Theologiestudium zugunsten ausschließlich schriftstellerischer Tätigkeit aufzugeben. Davon hielt aber seine Mutter überhaupt nichts. So studierte er weiter und bestand das Examen für das Pfarramt.

Von 1924 an bis zu seiner Ermordung lebte und arbeitete er hingebungsvoll als Pfarrer in Veders¿ bei Ulfborg, einer kleinen Landgemeinde direkt an der Nordsee. Bis heute erzählt man sich dort Geschichten, die man mit Pastor Munk - dem treuen Seelsorger, dem leidenschaftlichen Jäger, dem fröhlichen Familenvater, dem entschiedenen Gegner des Alkohols - erlebte. Aber er führte auch in der Abgeschiedenheit der kargen Dünenlandschaft seine literarischen Arbeiten weiter. Im Jahre 1928 spielte das Königliche Theater in Kopenhagen erstmals sein Bühnenstück über Herodes den Großen: "Ein Idealist". Dadurch wurde er als Dramatiker bekannt. Mitte der dreißiger Jahre spielte man in Kopenhagen zeitweilig vier Stücke von ihm in verschiedenen Theatern gleichzeitig. Die königliche Regierung ehrte ihn mit einem jährlichen Dichtersold, den er seiner Gemeideschwester und der Armenkasse des Dorfes weitergab.

Zwei Schauspiele besonders begründeten seinen Ruhm in ganz Skandinavien: "Das Wort" heißt das eine. Es spielt unter den Bauern eines jütländischen Dorfes und handelt vom unfaßbaren, frühen Sterben, vom Glauben an das Wunder der Auferweckung, von Vernunft und Wahnsinn. "Das Wort" wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch den großen dänischen Regisseur Carl Theodor Dreyer verfilmt.

Einsatz für die Juden Das andere Theaterstück, "Er sitzt am Schmelztiegel", hat die Verfolgung der deutschen Juden in Hitlerdeutschland zum Thema und rechnet mit dem vergeblichen Versuch einiger Gelehrter an deutschen Universitäten ab, Jesus aus Galiläa zu einem Arier zu machen. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs sahen mehr als 160.000 Zuschauer in fast allen größeren dänischen Städten den "Schmelztiegel" und hörten, was darin ein deutscher Theologe zu einem nationalsozialistischen Minister sagt: "Ein Jude hat meinen deutschen Mund gelehrt, jeden Morgen und jeden Abend zu beten: ,Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.' Geben Sie so, in christlichem Sinn, Lebensrecht für dieses Volk in unserem Volk. Denn die Menschenrechte anderen Menschen wegnehmen heißt, sich selbst zum Verbrecher zu machen."

Kaj Munk wurde in den dreißiger Jahren auch zum viel gelesenen Kolumnisten der großen dänischen Tageszeitungen. In elf Jahren veröffentlichte er mehr als 600 Artikel. So kommentierte er auch die Entwicklung im nationalsozialistischen Nachbarland Deutschland. Am 17. November 1938 - eine Woche nach dem reichsweiten Pogrom in Deutschland - erschien in der "Jyllands-Posten" Munks offener Brief an Mussolini. Darin beschwor er ihn, Hitler von den Judenverfolgungen abzubringen, sie seien eines großen Kulturvolkes unwürdig. Ferner ersuchte er ihn, sich an die Spitze einer weltweiten Bewegung zu stellen, den Juden in Palästina zu einem eigenen Staat zu verhelfen.

Öffentlicher Protest Der eigentliche Adressat des Briefes war natürlich die dänische Öffentlichkeit. Munk artikulierte nicht nur den Abscheu der Mehrzahl der Dänen gegenüber der "Reichskristallnacht", sondern er benannte eine damals oft diskutierte, in der Folge des Holocaust tatsächlich realisierte politische Lösung: Die Juden sollten wieder Heimatrecht in Palästina bekommen. Im Herbst 1943 widersetzten sich die Dänen geschlossen dem deutschen Versuch, das Land "judenrein" zu machen und retteten ihre jüdischen Landsleute fast vollständig nach Schweden hinüber.

Kaj Munks öffentlicher Protest gegen die Besetzung Dänemarks am 9. April 1940 durch die Deutschen war scharf. Die Kollaboration vieler seiner Landsleute lehnte er von Anfang an ab. Nach der Verhängung des Ausnahmezustands am 29. August 1943 wurde sein Ton noch schärfer. Er war davon überzeugt, daß auch die Dänen etwas tun müßten, um die tyrannische Herrschaft abzuschütteln - und das ging nur durch Gewalt. So finden sich in seinen Predigten unmißverständliche verschlüsselt-unverschlüsselte Aufrufe zum Sturz Hitlers. Diese Predigten wurden im vollen Wortlaut in der "Nationaltidende" veröffentlicht und sodann in zwei Predigtbänden, die bis zum Kriegsende in fünf Auflagen mit insgesamt 25.000 Exemplaren verbreitet wurden. Der unerschrockene politische Prediger erreichte auch über das gedruckte Wort einen sehr großen Leserkreis. Es ist keine Frage, daß dadurch das Widerstandspotential besonders unter den Christen in Dänemark verstärkt wurde. Zahlreiche seiner Predigtbände gelangten auch nach Norwegen, sogar bis in die Zellen der politischen Gefangenen im Osloer Gestapo-Gefängnis Grini, und ermutigten die dortigen Christen im Widerstand. Daß er sich durch seine Predigten in Lebensgefahr brachte, war Kaj Munk wohl bewußt. Als ihn sein Küster bat, doch vorsichtiger zu sein, antwortete er, er sei kein feiger Hund, der sich davonschliche, wenn er von einem Stärkeren bedroht würde. Er wolle eher sterben, als die Wahrheit zu verschweigen. Und er stehe in der Verantwortung eines dänischen Pfarrers. Er liebte das Leben und suchte nicht den Märtyrertod, aber er konnte und wollte die Wahrheit auch nicht verschweigen. "Die Kirche ist der Ort, wo das Unrecht in den Bann getan, die Lüge entlarvt, die giftige Bosheit angeprangert werden muß - der Ort, wo Barmherzigkeit geübt werden soll als Quelle des Lebens, als Herzschlag der Menschheit."

Unbekannt geblieben 1948/49 erschien in Kopenhagen eine neunbändige Gedächtnisausgabe der Werke Kaj Munks: über zwanzig Schauspiele, Lyrik, Kirchenlieder, vaterländische Gedichte, Erzählungen, Kommentare und Essays zum Zeitgeschehen, eine Selbstbiographie, Predigten. Einige seiner Dramen - so: "Ein Idealist" - findet man auch heute auf dem Spielplan dänischer Bühnen. "Das Wort" und "Er sitzt am Schmelztiegel" sind bis heute Schullektüre. Seine Lieder stehen im Liederbuch der dänischen Volkshochschulen. Im dänischen Volk ist er als christlicher Märtyrer des politischen Widerstands unvergessen.

Im deutschsprachigen Raum - mit Ausnahme der Schweiz, hier erschienen Bücher von ihm und über ihn! - blieb Kaj Munk weithin unbekannt. Im Jahre 1998 gedenkt man in Dänemark des 100. Geburtstages Kaj Munks in Gottesdiensten, Vorträgen, Theateraufführungen und Seminaren. Auch wir sollten es wahrnehmen: in Kaj Munk begegnen wir einem politisch wachen Christen mit Zivilcourage und einem Dichter mit starkem Engagement für die Bewahrung der Menschlichkeit.

Kaj Munks Schauspiel "Er sitzt am Schmelztiegel" wurde am 9. November 1996 erstmalig in Essen in einer deutschen Inszenierung aufgeführt und seitdem in vielen west- und süddeutschen Städten gespielt, meist in Kirchengemeinden oder evangelischen Akademien.

Der Autor ist evangelischer Pfarrer und Autor von Büchern zur politischen Theologie.Interessenten für weitere Aufführungsmöglichkeiten von "Er sitzt am Schmelztiegel" wenden sich an Isabel K. Sandig, D-44869 Bochum, Gartenstraße 68.

Buchtip ALPHABETE DER NACHFOLGE Märtyrer des politischen Christus. Von Paul Gerhard Schönborn. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1996, 216 Seiten, brosch., öS 169,öS 248,

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