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Über Weihnachten als Gegenerzählung.

Erschöpft sind wir eben wieder in die Jahreszielgerade eingebogen, "Weihnachten" und "Silvester" vor Augen. Geschenke, Besorgungen, Vorbereitungen, Nikolo-und Weihnachtsfeiern - vom Kindergarten bis zum Altersheim, versteht sich. Die Konsum-, Kommerz-und Hektikkritik ist indes längst integrativer Bestandteil dieser Zeit geworden, tut also nicht (mehr) weh. Wohl auch deshalb, weil sie immer schon zu kurz gegriffen hat, zielt sie doch bloß auf Symptome gesellschaftlicher Befindlichkeiten, nicht auf diese selbst. Nicht das Kaufen, Schenken und Feiern ist verwerflich, im Gegenteil - es entspricht dem Menschen. Aber wir haben, so hat es den Anschein, die Fähigkeit verloren, diesen Dingen ihren Sinn zu geben. Die Inhaltsleere lässt unser Tun zur bloßen Geschäftigkeit verkommen.

"Weihnachten", also die Advents-und Weihnachtszeit, unterscheidet sich dabei freilich nicht substanziell von unserem alltäglichen Leben an den übrigen 330 Tagen. "Weihnachten", das ist "der ganz normale Wahnsinn" unter verschärften Bedingungen: eine als Gegenstand von Sehnsuchtsprojektionen und (überzogenen) Erwartungshaltungen emotional hochaufgeladene Zeit. In "Abgehetzte" und "Abgehängte" spaltet sich unsere Gesellschaft zusehends auf, hat Martina Salomon in dieser Zeitung kürzlich zu Recht konstatiert. In diesen Tagen strudeln die einen eben noch ein bisschen (oder sehr viel) mehr, während den anderen ihre marginale Lage vermutlich noch schmerzhafter zu Bewusstsein kommt.

Die Sehnsüchte aber, die sich mit Weihnachten verbinden, sind nicht umzubringen. Sie bündeln sich - noch vor aller religiösen Deutung - in dem Wunsch, das Leben, die Welt könnte auch ganz anders laufen: Frieden, Gelassenheit, familiärer Zusammenhalt mögen Stichworte dazu sein. Solche Wunschvorstellungen hat es wohl immer schon gegeben, aber sie dürften in den letzten Jahren doch wieder an Bedeutung gewonnen haben. Dabei ist es paradox, dass sie sich umso weniger verwirklichen lassen, je mehr sie uns umtreiben.

Gleichzeitig werden enorme Anstrengungen unternommen, den Menschen auch noch die letzten Reste von Sentiment aus dem Hirn zu blasen. "Das war Weihnachten früher", heißt es in einem Werbespot eines Mobilfunkbetreibers sinngemäß: ein Mädchen, das sich auf seiner Blockflöte mit Weihnachtsliedern abmüht; während "Weihnachten heute" natürlich aus dem Musik-Handy klingelt. Man muss nicht die Idylle von strahlenden Kinderaugen und einer fröhlich musizierenden Großfamilie unter dem Christbaum strapazieren, um zu erkennen, welche verheerenden Signale da ausgesandt werden: Wer wird sich schon selbst etwas aneignen, wenn man doch einfach runterladen kann, was man braucht. "Ich bin doch nicht blöd" - wie es in einem anderen Werbespot heißt. Blöd nur, dass man die Dinge, die man wirklich braucht, eben doch nicht runterladen kann. Der Blockflöten-Spot ist freilich kein Einzelfall; gerade in der Telekom-Branche schrammt die Werbung habituell an der Grenze zur Menschenverachtung (und-verblödung) dahin - von "Weg mit dem Speck" bis "Hol das Beste für Dich raus". Menschen werden hier vorgeführt ("Ich bin die Anna" - "Das war ich früher") wie in der Kirche des Mittelalters oder kommunistischen Schauprozessen, zugegeben ohne unmittelbare Konsequenz, aber mit dem selben Zynismus.

Hier liegt die eigentliche Gefahr des real existierenden Kapitalismus: nicht dass er uns den einen oder anderen Selbstbehalt bei Gesundheit oder Bildung abverlangt oder eine längere Lebensarbeitszeit zumutet, ist das Problem; nein, es ist diese reduktionistische Sicht des Menschen als User, Player, Konsument.

Weihnachten ist eine Gegengeschichte dazu, besser: ein Knotenpunkt in einer langen Erzählung, die anderes und mehr vom Menschen weiß. Sie wird nach wie vor tradiert, weil sie für viele noch immer nichts von ihrer Strahlkraft eingebüßt hat. Aber dieser Traditionsstrang ist doch schon recht dünn geworden. Vielleicht aber gewinnen solche Erzählungen in Zukunft wieder an Relevanz - wenn wir draufgekommen sind, dass wir um "0 Cent in alle Netze" uns nichts mehr zu sagen haben.

rudolf.mitloehner@furche.at

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