Zähmung heiliger Schriften

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Jeder Religion sind ihre Quellen besonders heilig. Wenn diese Quellen schriftlich sind, bezieht sich die jeweilige Religion auf eine heilige Schrift. Im Fall der drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam, den Buchreligionen, sind dies die Tora, die Bibel einschließlich dem Neuen Testament und der Qu'ran. In mehr oder weniger abgestufter Form behaupten alle drei Religionen, dass das, was in ihrer heiligen Schrift steht, von Gott stammt.

Dies wurde am dieswöchigen Montag bei einer Veranstaltung von pro oriente und der Kontaktstelle für Weltreligionen in der Nationalbibliothek deutlich. Tirza Lemberger, Susanne Heine und El Sayed El-Shahed beschrieben die Entstehung und Bedeutung der heiligen Schriften in Judentum, Christentum und Islam.

Alle drei Religionen stehen wegen ihrer Bindung an die Schrift als Fundament des Glaubens in der Gefahr, fundamentalistisch verengt zu werden. Was ist Fundamentalismus, bezogen auf die Schrift? Thomas Meyer hat Kants Definition der Aufklärung verfremdet, um den antiaufklärerischen Charakter des Fundamentalismus deutlich zumachen: "Fundamentalismus ist der selbstverschuldete Ausgang aus den Zumutungen des Selberdenkens, der Eigenverantwortung, der Begründungspflicht, der Unsicherheit und der Offenheit aller Geltungsansprüche, Herrschaftslegitimationen und Lebensformen in die Sicherheit und Geschlossenheit selbsterkorener absoluter Fundamente."

Die Geltung der heiligen Schriften in den Religionen braucht, um der Gefahr des Fundamentalismus zu entgehen, einen aufgeklärten Umgang mit den eigenen Quellen. Kritische Schriftauslegung kann einen wesentlichen Beitrag leisten zu jener "Selbstzähmung" der Religionen, die für ein verständnisvolles Zusammenleben unerlässlich ist.

Der Autor ist Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche A.B.

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