Zahlen fürs Reich Gottes

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Vorabend des Papstbesuches in Brasilien: Jeden Tag wird im Land eine neue Kirche gegründet.

Der Stadtteil Campinho - ein Vorort Rio de Janeiros, dieser - wie sie die Brasilianer stolz nennen - "Cidade maravilhosa" - zu deutsch "wunderbaren Stadt". In Campinho gibt es keine Favela - keine Armensiedlungen, aber auch nicht das Flair von Ipanema oder Copacabana, diesen unter den Zuckerhut hingesetzten Prachtsiedlungen der "wunderbaren Stadt".

Campinho - das sind seelenlose Betonblöcke, das ist tropisch-verlotterter "Mittelstandscharme". Hier findet am Sonntag der Gottesdienst von "Cristo Vive" - "Cristus lebt" - statt. "Evangelicos" - Pfingstgemeinden nennen sie sich, sie sind die in Brasilien am stärksten wachsenden Gemeinschaften; statistisch gesehen wird im größten Land Lateinamerikas jeden Tag eine neue Kirche gegründet. Über dem rundlich gebauten Betonbau von "Cristo Vive" - eine Weltkugel, Verheißung einer globalen Ambition. Eine Aufschrift verspricht "große Eroberungen" und "Unbesiegbarkeit". Die Gläubigen kommen meist als Familien oder Paare, alles hat einen spießig-feierlichen Anflug, am Eingang wird den Leuten im Spalier feierlich die Hand geschüttelt. Im Inneren der "Kathedrale", wie das Gebäude genannt wird, kann man trotz tropischer Außentemperaturen seinen Sonntagsanzug ausführen, die Klimaanlage kühlt brutal.

Evangelium des Reichtums

Enthusiastisch-charismatische Lieder - gleich am Beginn: "Dein Wort ist die Hoffnung, sie lässt uns nie allein", singen sie. Für Gehörlose wird der Gottesdienst in die Gebärdensprache übertragen. Dann der Auftritt des "Apostels Miguel Angelo": man spürt - man befindet sich in einer geschlossenen Gesellschaft. Alle scheinen miteinander glücklich zu sein: "Noch 200 Millionen Reales (etwa 75 Millionen Euro) brauchen wir, spendet, denn unsere Kirche braucht ein eigenes Fernsehprogramm - über Satellit - werden wir die Botschaft in alle Kontinente tragen", verkündet Miguel Angelo, dessen Kirche etwa 60.000 Mitglieder zählt.

Im zweiten Teil des Gottesdienstes dann die Kollekte. Alle tragen stolz in Umschläge gehüllt ihre Spende nach vorne, es mutet an wie eine "Kommunion des Geldes". Geld spielt tatsächlich eine bedeutende Rolle, das gibt "Apostel Miguel Angelo" auch im Interview zu - er vertritt die "Theologie des Wohlstands", eine Art "Evangelium des Reichtums". Vor einem Adler sitzend verkündet er den Besuchern aus Österreich sein Credo: "Reichtum und Wohlstand sind uns durch die Bibel versprochen. Wenn Gott Reichtum verspricht, dann ist das eine wunderbare Verheißung. Aber viele Menschen haben Schwierigkeiten zu verstehen, wie sich dieser Wohlstand äußert. Reich wird jemand, wenn er versteht, dass die Erfüllung der Regeln der Bibel - die ja ein unfehlbares Buch ist - auf einem Geheimnis beruht. Es heißt: Wer sät, der erntet! Wenn ich also sehr geliebt werden will, muss ich auch selbst sehr lieben. Wenn ich respektiert werden will, so muss ich anderen Respekt zollen. Wenn ich bewundert werden will, muss ich bewundern. Das gleiche Prinzip gilt auch für Geld und Finanzen! Wissen Sie, es gibt in der Bibel gut 2000 Stellen, die Gott uns auf den Weg gegeben hat und die sich darauf beziehen, wie man Geld machen kann!"

Tatsächlich scheint sich für Apostel Miguel Angelo diese Verheißung schon erfüllt zu haben. Der ehemalige Chef einer paramilitärischen Einheit der Portugiesen in Angola unterstützt Politiker verschiedener Parteien. Den Auftrag, eine Kirche zu gründen, verspürte er nach einer wunderbaren Heilung nach einer schweren Verletzung in Angola vor etwa 30 Jahren. Im Februar wurde sein Bruder Nelson auf der Liste der rechtsliberalen "Partido da República" ins Rathaus von Rio gewählt.

Gott ist Spielzeug geworden

Ein Beobachter der Entwicklung der brasilianischen Pfingstkirchen ist der katholische Theologe Fernando Altemeyer, früher Sprecher von Kardinal Evaristo Arns, eines angesehenen Kirchenmannes. Heute unterrichtet er an der Katholischen Universität von São Paolo. Er meint: "Gott hat sich in eine Art Spielzeug verwandelt. Es gibt in Brasilien einen Witz: Jesus ist der Weg und der Pastor ist der Einheber des Wegzolls. Anders gesagt, wenn du ins Reich Jesu einzutreten willst, musst du zahlen. Nein, im Ernst: Jesus hat so etwas nie gesagt, die Gnade ist vielmehr der Weg Jesu. Das hat sich hier aber in letzter Zeit sehr geändert, es ist so, dass in Gottesdiensten bezahlt werden muss, und glauben Sie mir, das gibt es sogar in einigen katholischen Kirchen."

Tatsache ist, dass sich die katholische Kirche schwer tut gegenüber den antiökumenisch eingestellten neuen Pfingstkirchen. Diese geben sich äußerlich modern, es wird enthusiastisch getanzt und gesungen, ins Internet übertragen, es gibt Rockkonzerte - all das, was die Brasilianer lieben und die römisch-katholische Kirche alt und erstarrt aussehen lässt. Also versucht man es mit ähnlich "modernen Methoden". Ein eigener Sender Canção Nova - das "neue Lied" - überträgt aus der Stadt Cachoeira für durchschnittlich sechs Millionen Brasilianer täglich den katholisch-charismatischen Versuch, die Pfingstkirchen mit ihren eigenen Mitteln zu bekämpfen. Mit knallengen Jeans bekleidet, adrett hergerichtet, verkünden Mädchen, dass "Drogen und Sex" Sünde und vom Teufel seien, Bedrohung für die Brasilianer. Sogar Rapsongs verkünden das, ein eigenartiger Widerspruch zwischen Form und Inhalt - ist doch das Genre dieser Musik von Erfahrungen mit Drogen geprägt.

Warum bedient sich die katholische Kirche dieser Ausdrucksformen? Fernando Altemeyer antwortet nur indirekt, kritisiert seine viel zu intellektuell auftretende Kirche: "Die, Evangelicos' - die Pfingstkirchen - sprechen das Herz der Menschen an, nicht den Verstand! Der Brasilianer denkt aber nicht mit dem Kopf, sondern er gehorcht seinem Gefühl. Die katholische Kirche, spricht immer nur den Verstand der Menschen an. Die Brasilianer haben aber jede Menge Alltagsprobleme, sie wollen einfache Lösungen, keine komplizierten Erklärungen."

Hoffnung für die Armen?

In der 200.000 Einwohner zählenden Favela "Brasilandia" in São Paolo wohnen vor allem Zuwanderer aus dem Nordosten Brasiliens. Sie kamen vor 30 Jahren, sind geblieben, denn hier gibt es Arbeit. Sie sind mit latentem Rassismus konfrontiert, die Polizei achtet auf sie - Vorurteile über sie zirkulieren. An Brasilandia kann man im Kleinen absehen, was sich in Brasilien im Großen tut: Die katholische Kirche ist einfach zu wenig präsent - im Gegensatz die vielen Pfingstkirchen. Als Grund dafür nennt der Bischof von Aparecida, Raymundo Damasceno, den Priestermangel: "Wir wissen, dass die Pastoren der evangelikalen Pfingstkirchen ihre Ausbildung in sehr kurzer Zeit absolvieren. Zwei Monate bis zu einem Jahr. Das gilt vor allem für die vielen neuen Kirchen, die täglich gegründet werden. Das trifft nicht auf die traditionellen Kirchen zu - wie Lutheraner und Anglikaner und unsere römisch-katholische Kirche. Man braucht viel Zeit, um einen Priester auszubilden. Dasselbe gilt auch für die Ausbildung der Laien. Wir benötigen einfach eine gewisse Zeit."

Reformbedarf in seiner eigenen Kirche leitet er daraus allerdings nicht ab. Doch man hat das Gefühl, dass auch er ein gewisses Unbehagen mit der eigenen Situation hat. Der Zulauf zu den Pfingstkirchen hält jedenfalls an, sie verkünden die Befreiung der Seelen, allerdings ist selten bis nie von sozialer Gerechtigkeit die Rede. Einer der Kritiker dieser Theologie ist der ehemaligen Franziskanermönch Leonardo Boff. Er lebt in den Bergen über Rio de Janeiro - in der "Serra de Araras": "Diese Volksreligionen - wie ich sie nenne - oder charismatischen Pfingstkirchen - sie sind das Asyl der Verzweifelten. Derjenigen, die ganz unten leben, die Ärmsten der Armen, die von der Gesellschaft ausgeschlossen sind, deren elementarste Grundbedürfnisse ignoriert werden. Es mangelt ihnen an menschlichem Zuspruch, an Bindungen. Diese Religionen geben ihnen, was sie nicht haben: Selbstwertgefühl und Selbstachtung. Und das Gefühl, wenn auch niemand in der Welt für sie da ist, Gott nimmt sich ihrer an."

Befreiung als Akt der Frömmigkeit, das sei die Art der Pfingstkirchen. Boff allerdings unterstützt weiter die Theologie der Befreiung, die trotz aller Versuche, sie für tot zu erklären (etwa jüngst durch den neuen Erzbischof von São Paolo, Odilo Scherer), weiter lebt. Eine Theologie, die das tägliche Brot auch auf Erden anstrebt, sei unabdingbar, die gesellschaftliches Engagement für die Sache der Landlosen, der Ausgegrenzten mit einbezieht. Ein interner Konflikt in der katholischen Kirche, der wohl auch nach dem Besuch von Papst Benedikt weitergehen wird.

Der Autor ist Religionsjournalist beim ORF-Fernsehen (vgl. Radio-Tipp auf der nächsten Seite!).

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