7105517-1995_29_07.jpg
Digital In Arbeit

Zeichen und Wunder — oder schlicht Illusion oder Betrug?

19451960198020002020

Blut weinende Madonnen, Visionen, dämonische Besessenheit: Wie weit sind mystische Vorgänge durch wissenschaftliche Untersuchungen zu bestätigen oder zu entzaubern?

19451960198020002020

Blut weinende Madonnen, Visionen, dämonische Besessenheit: Wie weit sind mystische Vorgänge durch wissenschaftliche Untersuchungen zu bestätigen oder zu entzaubern?

Werbung
Werbung
Werbung

Mit Vornehmheit wurde hier über heikle religiöse Ausdrucksformen gesprochen”, lobte der Veranstalter Andreas Resch, Redemptoristeripater und Grenzwissenschafter in Innsbruck, seine internationale Referentenrunde. „Bis zum 15. Kongreß mußte ich zuwarten, weil sich einfach zuwenige Wissenschafter für diesen Problembereich interessierten.”

Beim 15. Imago-Mundi-Kongreß wurden unter dem Titel „Paranormologie und Religion” wissenschaftliche Untersuchungen vorgestellt, die sich mit Ekstase und Vision, Besessenheit und Stigmatisierung beschäftigten.

Dieser mystische Erlebnisbereich war in der abendländischen Geschichte in die Grauzone abgerutscht und wurde fortan für ein Spektakel gehalten. Von dieser Annahme gingen der Bonner Medizinhistoriker Heinz Schott und der Salzburger Profanhistoriker Peter Dinzelbacher aus. Für Schott fand nach dem Siegeszug der wissenschaftlichen Medizin und Psychotherapie eine allzuschwache Auseinandersetzung mit der Geistheilung statt. „Wenn heute Geistheilung wieder offen praktiziert wird, komme das dem Betrachter ,para-normal' vor, was in der Vergangenheit jedoch alltägliche Normalität ausmachte.”

Der Mittelalterexperte Dinzelbacher berichtete über die kirchliche Mystikerinnen-Bewegung im 14. Jahrhundert, die durch den „ Hexenwahn” in Verruf kam. Zur Ausforschung einer Heiligen oder einer Hexe entwickelte sich die „Unterscheidung der Geister”. Dieses Instrument wurde aber auch dazu benützt, „ein Modell speziell weiblicher Heiligkeit zurückzudrängen, und paranormales Verhalten wurde nun eher als dämonisch oder natürlich degeneriert erklärt denn als göttliche Begnadung”.

Beide Referenten legten die Entstehung von Vorurteilen offen, die die Beziehung zwischen „Wissenschaft und Religion” stören. Ihr Plädoyer für heute: die eingebürgerte Abwehrhaltung gegenüber mystischen Verhaltensweisen aufzuarbeiten.

Wie sieht nun das moderne Verhältnis zwischen den Fächern Parap-sychologie und Theologie aus?

Der Parapsychologe Johannes Mischo aus Freiburg fand die weltanschauliche Frage, ob „Gott oder Dämon” ein religiöses Grenzphänomen bewirke, für nicht wichtig. Er hält den Menschen für einen Mit-Verursacher. Treten Grenzphänomene bei einer Person auf, so müssen die Überprüfungen des Gesundheitszustandes der Person, des Wahrheitswertes der Vision und der Echtheit der psychischen Erfahrung verglichen werden. Dies führe zu einer wissenschaftlich vertretbaren Unterscheidung in Richtung „erklärbar” und „nicht erklärbar”. Von vorschnellen Wunderberichten sei ohne parapsychologische Prüfung nicht viel zu halten.

Die Religion steht somit außerhalb der Skepsis des Grenzwissenschafters, obwohl dieser religiöse Phänomene untersucht. Paranormologie und Religion sind aus dieser Sicht zwei Paar Schuhe.

Der Jesuit und Dogmatiker Raymund Schwager (Innsbruck) ging von der Wirkung der Kraft Gottes auf Jesus aus. Diese göttliche Kraft befähigte Jesus nicht nur zu einer „siegreichen Liebe”, die den innerweltlichen Kreislauf des Bösen überwinden konnte. Diese Kraft Gottes gehörte auch zu Jesu, der damit besondere Zeichen „mitwirken” konnte. „Bei der Verursachung von Zeichen und Wundern ist Anfang oder Ende göttlichen Zutuns schwer zu belegen.” Der Theologe sieht in der Unerklärbarkeit von Paranormalem kein Problem. Nicht alles wissen zu können sei menschlich. Dem wissenschaftlichen Erwartungsdruck scheint sich die Religion zu entziehen.

Den rund 200 Kongreßbesuchern wurde in den Grundsatzreferaten Offenheit und Kritikfähigkeit vorgeführt, in den präsentierten Fallstudien verlor sich dieses Engagement oft in Statistikbögen oder suggerierter Übernatürlichkeit.

Die praktische Seite der wissenschaftlichen Forschungen findet kaum mehr im Studio oder Labor statt. Die zunehmenden Spontanphänomene machten es notwendig, den Erscheinungsort zum Forschungsfeld zu machen. Eine vollständige Kontrolle ist dabei nicht mehr möglich. Zur größten Herausforderung der Grenzwissenschafter wird somit der Ausschluß von Betrug, Täuschung oder Selbsttäuschung. Mystische Phänomene bilden das Zentrum des italienischen Forscherteams um Giorgio Gagliardi und Marco Margnelli. Beim Bericht über Ekstase, Stigmatisation und Besessenheit wurden die biographischen Lebensumstände und die meßbaren Daten bezüglich körperlicher Zustande der betreffenden Personen erklärt. Diese Untersuchungen sollen zu einer genaueren Symptombeschreibung beitragen, um religiöse Grenzphänomene besser von pathologischen Erscheinungen abgrenzen zu können.

In diesem Zusammenhang einen Exorzisten zu Wort kommen zu lassen, schien die Toleranz der Zuhörer zu überfordern. - Aber es kam anders. Don Guiseppe Capra, der Salesianer Don Boscos aus Turin, hatte eine nicht weniger überlegte Vorgangsweise als die der Mediziner vor ihm. Exorzismus geschehe nicht durch Laien, sondern durch den Priester. „Es geht um Bekehrung und Rückkehr zur Kirche mit der katholischen Lehre klar vor Augen. Der Exorzist bindet die gesamte Familie und Freunde des Betreffenden in den Ablauf ein. In mehreren Gebetsabenden bereite sich die belastete Person auf den entscheidenden Augenblick der Tauferneuerung vor. Monatlich könne ein Arzt konsultiert werden. Der Exorzist verlasse sich auch auf seine Gebetsgruppen. Mit sozialem Engagement wir hier Befreiung von erdrückenden Lebensumständen angestrebt.

Durch Filmdokumente wurde die weltweite Streuung religiöser Grenzphänomene aufgezeigt. Abschließend sei noch der exotische Reisebericht von Christian Ratsch erwähnt. Der Hamburger Ethnopharmakologe referierte über schamanistische Be-wußtseinszustände. Mittels psychoak-tiver Pflanzen (Pilze, Tabak oder Hanf), der Trommel, bestimmter Atemrhythmen und Körperhaltungen oder der Kristallschau begebe sich der Schamane stellvertretend für einen Kranken auf die Trance-Reise. Zuerst treten visuelle Phänomene auf, wie geometrische Figuren, Regenbogenfarben, dann Tunneleffekte und schließlich sieht sich der Schamane in einem Kampf, den er siegreich beenden wird und so dem Kranken die Genesung zurückbringt.

Ratsch: „Der Schamane unterscheidet sich von normalen Menschen dadurch, daß er diesen anderen Bewußt-seinszuständen nicht hilflos ausgeliefert ist, sondern sich darin meisterhaft nach dem eigenen Willen bewegen kann.” Der Stammesmythos bildet die „Wanderkarte”. Unabhängig von solchen kollektiv prägenden Mythen sieht der Forscher esoterische Schamanen-Seminare für unredlich an.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung