Zertrampeltes Heiligtum

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Machu Picchu, Perus Inka-Heiligtum und Weltkulturerbe, wird total kommerzialisiert. Es droht ein Disneyland in den Anden.

Machu Picchu ist längst Fixpunkt jeder Reise nach Peru. Die heutigen westlichen Eroberer kommen in Scharen: Fast 400.000 Besucher jährlich, per Helikopter, Bahn oder auch zu Fuß. "Der Magie des Ortes kann sich keiner entziehen, weder Naturliebhaber noch historisch oder esoterisch Interessierte", sagt Carolyn Bointon, frühere Leiterin des altehrwürdigen South American Explorers Club in Cuzco.

Als Hiram Bingham, amerikanischer Universitätsprofessor zu Yale, 1911 hinauf zu den überwachsenen Ruinen auf 2.443 Meter kletterte, war seine Entdeckung mehr Zufall denn Absicht. Bis vor knapp 30 Jahren blieben die 550 Jahre alten Inka-Stätten ein mythischer Ort der Stille. 1983 wurden sie von der unesco zum Weltkultur- und -naturerbe erklärt.

Heute aber ist Machu Picchu vor allem Tourismus, und Tourismus ist Geld. Peru hat kein Geld. Was lag da näher, als die Hauptattraktion des notorisch verschuldeten Landes zu privatisieren und die Nutzungsrechte für 30 Jahre einem internationalen Konsortium zu übertragen. Die Peru Hotels sa ist eine Tochtergesellschaft von Orient Express, die internationale Hotels, Eisenbahnlinien, Restaurants und Kreuzfahrten steuert. Der Konzern betreibt nicht nur die Machu Picchu Sanctuary Lodge oben am Berg, am Eingang zu den Ruinen, sondern auch den Touristenzug von Cuzco - und hatte sogar zeitweilig die Konzession für eine umstrittene Seilbahn direkt zu den Ruinen.

Tourismus-Apartheid

Zum Bau ist es bisher nicht gekommen, wohl aber zu Protesten aller Art: Massendemonstrationen in Cuzco, Protestmärsche entlang der 70-Kilometer-Eisenbahnstrecke nach Aguas Calientes - eine schäbige Stadt am Fuß der Ruinen - und Sabotageakte am Gleiskörper häufen sich. Die Unterscheidungs- und Trennungs-Politik der neuen Zugbetreiber stößt nicht nur Individualreisenden sauer auf: Nur mehr ein Zug täglich für Einheimische mit Fahrverbot für Ausländer (!), alle anderen Züge zu horrenden Dollarpreisen ausschließlich für Touristen. Bis zu 70 us-Dollar (70 Kilometer oder vier Stunden Zugreise ab/nach Cuzco), 18 us-Dollar (neun Kilometer Serpentinen-Busreise, Bahnhof Aguas Calientes bis zum Ruinengelände und retour) sowie 20 us-Dollar Eintritt machen den Besuch von Machu Picchu für die meisten Peruaner unerschwinglich.

Ankerplatz der Sonne kaputt

Der Rummel hinterlässt aber auch noch andere Schäden: Während der Dreharbeiten zu einem Werbespot für eine Brauerei vor fünf Jahren wurde der heilige Stein von Intiwanata durch einen umstürzenden Kran beschädigt. Die Denkmalschützer waren erbost und in der peruanischen Presse erschienen wütende Kommentare. Der "Ankerplatz der Sonne" gilt als der einzige Sonnenstein der Inkas, der nicht von den Spaniern zerstört worden ist.

Die ökologischen Warnrufe werden lauter: Geologen der Kyoto University erwarten weitere massive Erdrutsche nach den ersten Lockerungen von 1995, die die Straße zur Anlage - immerhin 700 Höhenmeter - teilweise verschüttet haben. Wasser auf den Mühlen der Seilbahnlobby, die die Dieselbusse ersetzen und weitere 100.000 Besucher mehr zu den alten Kultstätten schaffen will. unesco-Berechnungen hingegen haben ergeben, dass sich lediglich 300 Personen gleichzeitig in der altehrwürdigen Anlage aufhalten sollten, um keine dauerhaften Schäden zu verursachen. Doch nicht nur Menschen und Technik schaden Machu Picchu. Die heilige Stätte ist auch durch starke Regenfälle gefährdet. Weil es kein Entwässerungssystem gibt, kann der Niederschlag nicht abfließen.

Seit den Kampagnen der Jahre 1999 und 2002 habe sich der Zustand der Stätte nicht wesentlich verbessert, mahnt die un-Kulturorganisation nun schon zum wiederholten Male. Der Direktor der Anlage, Fernando Astete, gestand daraufhin vor kurzem ein, dass das Stauwasser in den Ruinen ein Problem darstelle. Astete beharrt bislang aber darauf, dass Machu Picchu 2500 Besucher täglich verkraften kann. Sollte eine Studie allerdings das Gegenteil beweisen, würde der Zugang zu der Anlage sicherlich anders geregelt, gibt er sich kompromissbereit.

Anfang 2001 wurde das Seilbahn-Projekt nach der bereits angesprochenen Kampagne von unesco und des International Counsel of Scientific Associations vom peruanischen Ministerium für Industrie, Tourismus und Internationalen Handel auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Doch hochrangige Politiker sprachen bereits kurz darauf wieder offen über das Tabu-Thema, das damit nicht vom Tisch zu sein scheint. Die neue Routenführung ist dabei noch umstrittener als die alte: Die Talstation liegt in extrem murengefährdetem Territorium am Urubamba-Fluss, der für Kraftwerksprojekte demnächst aufgestaut werden soll; die Bergstation befindet sich sogar inmitten des Ruinengeländes.

Seilbahn in die Ruine?

Das Nationale Kulturinstitut in Peru hat im Sommer einen Zehnjahresplan zur Bewahrung der Ruinen von Machu Picchu vorgestellt. Unter anderem soll das Eintrittsgeld zum Besuch der Inka-Festung für Ausländer noch weiter erhöht und die Höchstzahl der Touristen strikt auf täglich 2.500 beschränkt werden. Außerdem sollen weitere Maßnahmen zum Schutz von Ruinen, Flora und Fauna entlang des so genannten Inka-Pfads ergriffen werden.

Inka-Trail mit Führer & Koch

Doch der Lokalaugenschein zeigt ein anderes Bild: Der klassische Fußmarsch zu den Ruinen ist längst kommerzialisiert. Der legendäre Inka-Trail ist seit vier Jahren nicht mehr frei zugänglich. Machten sich 1984 noch 6000 Pilger auf den steinigen Weg über einige Bergpässe von vier Kilometern, so waren es 1998 schon 66.000. Die letzten 48 Kilometer bis Machu Picchu sind Sperrgebiet für Wanderer, die nicht bereit sind, 170 bis 320 us-Dollar für Viertagestouren an Gebühren zu entrichten - offiziell für Wegbenutzung, zur Müllentsorgung, zum Schutz vor Banditen, für Träger, Koch und Wanderführer (die alle mitsammen nicht unbedingt erforderlich sind).

"Muchos dineros", viel Geld, wie auch die Trekking Agenturen in Cuzco eingestehen. "Das Geld geht nach Lima, wir haben das Wenigste davon", sagt Pedro Alvarez, Manager einer der 40 Tourveranstalter in Cuzco. Der Weg ist nicht sauberer geworden, trotz der offiziellen Beschränkung auf 500 Wanderer pro Tag, die herdengleich die Teepausen einhalten, die die (vorgeschriebenen) zwei Führer vorgeben. Klappsessel und Klapptische zum Esoterik-Picknick sind im Preis inkludiert. Auch gymnastische Stretchübungen vor dem Intihuana, dem magischen Heiligtum der penibel gepflegten Anlage, und Lunchpakete zwischen den Tempelanlagen gehören mittlerweile dazu - Respekt und Kommerz scheinen eben schwer vereinbar zu sein.

Der Autor ist Geograf und Lektor an der Universität Wien.

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