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Charles de Foucauld: Zeuge unter den islamischen Tuareg

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Vor 100 Jahren wurde Charles de Foucauld - Mystiker, Eremit und Brückenbauer zu den nordafrikanischen Muslimen - getötet.

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Vor 100 Jahren wurde Charles de Foucauld - Mystiker, Eremit und Brückenbauer zu den nordafrikanischen Muslimen - getötet.

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Am 1. Dezember 2016 jährt sich der Todestag Charles de Foucaulds zum hundertsten Mal. Die folgenden Zeilen möchten holzschnittartig einige Aspekte seines Lebens hervorheben, die heute besonders aktuell sind.

Charles Eugène Vicomte de Foucauld, geboren 1858 in Straßburg, wird mit fünf Jahren zum Vollwaisen. Colonel de Morlet, der Großvater mütterlicherseits, erhält das Sorgerecht für ihn und seine jüngere Schwester Marie. Während des Deutsch-Französischen Krieges flieht die Familie 1870 vor den Deutschen über die Schweiz nach Nancy, wo Charles das Gymnasium besucht. Im katholischen Umfeld erzogen, schlittert er als Fünfzehnjähriger in eine Glaubenskrise. Er habe damals den Glauben verloren, wird er selbst bekunden, doch nach anderen Quellen habe er seine Hochachtung der Kirche gegenüber bewahrt. Die Verbindung zu seiner Familie ist herzlich, besonders mit seiner Cousine Marie, auch dann noch, als er kurzzeitig einen Vermögenssachwalter erhält. Der Familientradition folgend, schlägt er die Offizierslaufbahn ein. Als junger Leutnant hält er das Leben in der Garnison nur aus, wenn er mit seinen Kameraden allerhand Streiche verübt und sich Vergnügungen hingibt, die seine Langeweile und seine schmerzliche Leere überdecken sollen.

Ein unsteter Charakter

Ende Oktober 1880 betritt er mit dem 4. Husarenregiment zum ersten Mal Algerien, ein vom Islam geprägtes Land, das seit 50 Jahren zu einer Siedlungskolonie Frankreichs geworden war. Da eine junge Frau, Marie Corbin, mit der er eine Beziehung hatte, ihm vorausfährt, und er sich nicht von ihr distanziert, wird er vom Kriegsministerium in den Zustand der "non-activité par retrait d'emploi" ("Ruhen der Aktivität durch den Entzug der Anstellung") versetzt. Er habe dies bewusst provoziert, erklärt Charles einem Freund. Diese Episode ist nur von kurzer Dauer. Es zieht ihn wieder zu seinen Kameraden, die südlich von Oran in Kämpfe mit Aufständischen verwickelt sind. Mit demselben Dienstgrad wird er wieder in die Armee aufgenommen. Er beginnt die Einheimischen zu schätzen, bewundert ihre Kultur und Religion und lernt Arabisch. Die Wüste fasziniert ihn immer mehr und weckt in ihm den Forschergeist. Im Jänner 1882 nimmt er endgültig Abschied von der Armee. Als jüdischer Rabbi verkleidet und mit einem Rabbi als Führer begibt er sich nun auf eine Forschungsreise ins Innere Marokkos. Mehrmals von Einheimischen aus Todesgefahren gerettet, kehrt er mit einer Fülle wissenschaftlicher Ergebnisse nach Algier und dann nach Paris zurück.

Immer dringender stellt sich ihm nun die Frage nach Gott und dem Sinn seines Lebens. Seine Cousine Marie spürt, dass in ihm etwas vorgeht; sie bedrängt ihn aber nicht und ist in ihrer gütigen Art einfach da. Ab Mitte Oktober 1886 besucht er täglich frühmorgens die Kirche Saint-Augustin. Am Ende des Monats wendet er sich an den Vikar Huvelin und ersucht ihn um eine private religiöse Unterweisung. Stattdessen fordert ihn dieser auf, zu beichten und zu kommunizieren. Der erste Schritt hin zu einem lebendigen Glauben ist getan; eine quasi spirituelle Forschungsreise beginnt. Sie führt ihn sehr bald ins Heilige Land und in das Dorf Nazaret. Es fällt ihm wie Schuppen von den Augen: Hier trat Gott in die Zeit und in die Geschichte der Menschen ein; hier lebte Jesus, der Sohn Gottes, 30 Jahre lang bei den schlichten und armen Leuten, hier, und nicht bei den vornehmen Leuten in Jerusalem. Charles sieht seine spezielle Berufung fortan darin, diesen besonderen Aspekt der Inkarnation zu leben. Seine "Reise" führt ihn zu den Trappisten (1890-97), danach als Hausarbeiter zu den Klarissen in Nazaret (1897-1900) und nach seiner Priesterweihe im Oktober 1901 zurück in die Sahara.

Zurück in die Sahara

Es zieht ihn nach Marokko, doch es gibt immer noch keinen Zugang. So lässt er sich im Einverständnis mit Abbé Huvelin und Monsignore Guérin, dem Apostolischen Administrator der Sahara, nahe der Grenze in Béni Abbès am Rande der Sandwüste nieder. Mit den dort stationierten Soldaten baut er eine Kapelle, drei Zellen und einen Saal, um Gäste zu empfangen, ähnlich den Zâwiyas, die er von Marokko her kannte. Bald wird seine Heimstatt "khaoua", Fraternität, genannt. Er ist für alle da, die Hilfe brauchen. Die Kapelle mit den Altarbildern gestaltet er selbst. In einem Brief an Marie de Bondy vom 9. Jänner 1902 schrieb er: "Schon morgen [...] will ich mit der Anfertigung eines Bildes von der Heimsuchung beginnen " Damit berührt er einen wesentlichen Aspekt des Lebens von Nazaret: wie Maria mit Jesus aufbrechen zur Begegnung mit dem anderen, sich in ihn hineindenken, ihm zuhören und von ihm lernen.

Auf Drängen des Kommandanten Laperrine entschließt sich Charles, an militärischen Erkundungstouren zu den Tuareg in den Süden teilzunehmen. Bei der zweiten Tour dieser Art 1905 wird Charles Zeuge, wie die bei der ersten Tour mit Mussa Ag Amastan, dem Oberhaupt der Ahaggar-Tuareg, auf Augenhöhe getroffene Übereinkunft in eine Unterwerfung umgewandelt wird. Charles fragt sich: Werden die Tuareg zwischen dem Priester und den Soldaten unterscheiden können? Zeitbedingt geht er konform mit der kolonialen Politik, weil sie den Menschen zu Wohlstand und Entfaltung verhelfen soll; doch sieht er viele Missstände und prangert sie schonungslos an. 1905 lässt sich Charles mit der Erlaubnis Mussas in Tamanrasset, einem Weiler mitten im Hoggar, nieder. Er will den Menschen durch seine Güte das Evangelium nahebringen, versucht aber nie, sie an sich zu ziehen, um sie zu bekehren. Er begegnet ihnen mit immenser Hochachtung, auch wenn er über sie in der Sprache und in der Theologie seiner Zeit spricht. Hier wird er sein Nazaret finden, indem er durch die Spracharbeiten an einem Tuareglexikon mit den Menschen in Berührung kommt. Die Tuareg nennen ihn "Marabut" wie ihre Heiligen. Ein Marabut namens Beï hatte einst Mussa zu einem frommen Muslim bekehrt, sodass Charles wenig Einfluss auf ihn hat, auch wenn er manchen Ratschlag für ihn bereithält. Wer er für die Tuareg war, geht vor allem aus den 26 in Tifinagh geschriebenen Briefen hervor, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden. Die Zensur der Kolonialverwaltung konnte sie nicht verstehen, sodass in ihnen die Gedanken der Menschen ungeschminkt zum Ausdruck kommen. In einem davon bittet Mussa, der fromme Muslim, Charles, den Heiden, der nach seinem Glauben der Hölle verfallen ist: "Bete für mich!"

Am 1. Dezember 1916 - mitten im Ersten Weltkrieg - wird Charles von einem der Senussi-Bruderschaft zugehörigen Trupp gefangen genommen. Drei zufällig vorbeikommende Meharisten werden getötet, er selbst wird von seinem jugendlichen Bewacher in der Aufregung erschossen.

Das Weizenkorn fällt in die Erde, wird jedoch seine Früchte tragen: Eine Gebetsgemeinschaft, die Sodalität, gibt es schon zu Charles' Lebzeiten. Als er 2005 seliggesprochen wird, besteht seine spirituelle Familie aus zwanzig Gemeinschaften von Laien, Säkularinstituten, Ordensleuten und Priestern.

Der Autor ist Ordensangehöriger der Kleinen Brüder Jesu, die auf der Spiritualität Charles de Foucaulds fußen.

STUDIENNACHMITTAG

Zum 100. Todestag von Charles de Foucauld

Die "Kleinen Brüder" und die "Kleinen Schwestern Jesu", die als Ordensleute einfachen Berufen nachgehen und mit den Menschen mitleben, sind zwei geistliche Gemeinschaften in der Nachfolge Charles de Foucaulds. Der Kleine Bruder Herbert Hartl erinnert bei den Wiener Theologischen Kursen (in Kooperation mit der FURCHE) an Charles de Foucauld und seine Wirkungsgeschichte. Titel der Veranstaltung: "Zeugenschaft. Ein Leben unter Muslimen"; Zeit: Mittwoch, 30. November, 15 bis 1730 Uhr; Ort: 1010 Wien, Stephansplatz 3 (www.theologischekurse.at).

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