6777612-1969_28_11.jpg
Digital In Arbeit

Zölibat nur ein Teilproblem

19451960198020002020

Von einer Krise des Amtes in der Kirche zu reden, ist beinahe schon ein Gemeinplatz. Erstaunlich ist nur, wie oberflächlich und einseitig dieses Kernproblem des kirchlichen Lebens oft erörtert wird. Viele erwarten von einer eventuellen Abschaffung des Zölibatsgesetzes das Heil in dieser Frage, übersehen jedoch, daß das Zölibatsgesetz nur ein Teilproblem ist, das ohne Zweifel in der gegenwärtigen Diskussion einseitig im Vordergrund steht. Vielmehr muß das Amt im Gesamtkomplex des gewandelten Kirchenverständnisses und der ini Wandel begriffenen gesellschaftlichen Situation neu gesehen werden.

19451960198020002020

Von einer Krise des Amtes in der Kirche zu reden, ist beinahe schon ein Gemeinplatz. Erstaunlich ist nur, wie oberflächlich und einseitig dieses Kernproblem des kirchlichen Lebens oft erörtert wird. Viele erwarten von einer eventuellen Abschaffung des Zölibatsgesetzes das Heil in dieser Frage, übersehen jedoch, daß das Zölibatsgesetz nur ein Teilproblem ist, das ohne Zweifel in der gegenwärtigen Diskussion einseitig im Vordergrund steht. Vielmehr muß das Amt im Gesamtkomplex des gewandelten Kirchenverständnisses und der ini Wandel begriffenen gesellschaftlichen Situation neu gesehen werden.

Werbung
Werbung
Werbung

An zwei Tatsachen kann die Amtskrise von jedermann wahrgenommen werden: Zunächst einmal ist die Zahl der Priesterkandidaten in den Priestersetminaren in den meisten Ländern der Welt in den letzten Jahren um die Hälfte, ja bis zu zwei Drittel zurückgegangen, wobei die Zahl der Theologiestudierenden an den Fakultäten zugleich oft gestiegen ist.

Zweitens 'Stieg in den letzten Jahren in besorgniserregendeni Maße die Zahl derjenigen, die das Priesteramt verlassen und einen anderen Beruf wählen. Seit einigen Wochen liegt in diesem Punkt endlich authentisches Zahlenmaterial vor. Das vor kurzem errichtete „Zentralbüro für Statistik am Vatikan“ bat über die aus aller Welt in Rom eingehenden Ansuchen unt Rückversetzung in den Laienstand von Priestern eine umfangreiche Untersuchung abgeschlossen,

die folgendes Ergebnis brachte: Im Zeitraum von 1962 bis 1968 wurden in Rom 7137 solcher Ansuchen registriert, das sind 1,8 Prozent der gesamten Priesterschaft, die auf der ganzen Welt mit etwa 500.000 beziffert wird. Nicht eingeschlossen in diese ZaM ist die „Dunkelziffer“ derjeniger Priester, die das Amt verlassen, ohne ein Ansuchen an die römischen Behörden zu richten. Nun ist die Zahl von 7137 auf 500.000 noch nicht alarmierend, wohl aber der Trend. Diese Zahl verteilt sich auf die Jahre so: 1962/63: 167; 1964: 640; 1965: 1128; 1966: 1418; 1967: 1759; 1968: 2263; in den ersten Monaten von 1969: 675, so daß für das Jahr 1969 eine Zahl von 2600 bis 3000 Ansuchen errechnet wurde. Bedenkt man zu diesen beiden Fakten die starke Überalterung des Klerus, so bahnt sich langsam eine Katastrophe an.

Daß das Zölibatsgesetz nicht der Hauptgrund des Ausscheidens aus dem Priesteramt ist, geht aus einer Untersuchung in Hollland hervor. Im Jahre 1968 haben in Holland 197 Priester den Beruf gewechselt (bei insgesamt etwa 13.500 Priestern). Von, diesen 197 Priestern nannten etwa 100 das Zölibatsgesetz als mitentscheidend für ihren Entschluß und nur 23 Priester als Hauptgrund.

Das Märzheft der internationalen Zeitschrift für Theologie, „Conci-lium“, nimmt sich dieses schwierigen und wichtigen Themas an. Darin schließt Emile Pin, Direktor des Zentrums für Sozialforschung an der Universität Gregoriana in Rom, seinen Artikel über „Die Differenzierung der priesterlichen Funktion“ mit den Worten: „Die Funktion des Priesters steht gegenwärtig an einem Scheideweg. Es scheint, als sei sie verschiedenen Spannungen und Forderungen ausgesetzt, deren man nur Herr werden kann durch eine grundlegende Klärung, eine Aufgliederung der Funktion in mehrere verschiedene Funktionen ... Dabei stellt sich folgende Grundfrage: Ist die Kirche in ihrer Hierarchie wie in den verschiedenen Kategorien ihrer Gläubigen bereit, sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen und die Zeichen der Zeit zu lesen, solange sie noch über hunderttausende Priester für ihren Dienst verfügt; oder erwacht

sie erst dann zum Bewußtsein der Lage, wenn die Krise ihrer priester-lichen Funktion sich dramatisch zugespitzt hat?“

Von der Theologie her ist für dieses drängende Anliegen mehr Freiheit geboten, als man vermuten würde. Karl Rahner kommt im gleichen Heft der Zeitschrift „Conci-lium“ zu dem Schluß: „Man bat bisher zuwenig au! die innere und äußere Wandlungsmöglichkeit des Amtes in der Kirche überhaupt und des Pfiestertuims im besonderen reflektiert. Die heutige Exegese, die Dogmen- und Kirchengeschichte, die Kirchensoziologie und die Bedürfnisse der heutigen Kirche zwingen zu einer radikaleren Reflexion auf das Wandelbare und Unwandelbare im katholischen Priestertum. Wird diese Reflexion mutig durchgeführt, dann zeigt sich, daß... der Kirche dogmatisch ein fast unbegrenzter Spielraum eingeräumt ist, ihr Amt so zu konkretisieren und aufzugliedern, daß es ihrer Sendung und der heutigen Situation wirklich entspricht.“

Der Priester in der Welt

Eine begrüßenswerte Initiative in dieser Richtung ist das Zweite Europäische Bischofssymposion, das vom 7. bis 10. Juli 1969 in Chur/ Schweiz stattfand. Das Treffen, das von Beauftragten der nationalen Bisehofskonferenzen Belgiens, Deutschlands, Englands, Frankreichs, Italiens, der Niederlande, Österreichs, Polens, Portugals, Spaniens und der Schweiz vorbereitet wurde, hat sich das Thema ,JJer Priester in der Welt und in der Kirche von heute“ gestellt. Zu jedem Teilthema der Tagung wurden den teilnehmenden Bischöfen von Msgr. Dellepoort, dem Leiter des Europaseminars in Maastricht, und Don Roman Echar-ren, dem Direktor des Nationalsekretariates für Priesterfragen in Madrid, die Teilergebnisse von Mei-

nungsumfragen vorgelegt, die für die Diskussionen einen Ausgangspunkt und eine Grundlage bieten. In jedem Land wurden etwa 30 Priester nach ihren Meinungen und Forderungen zu diesen Themen befragt. Priester verschiedenen Alters, verschiedener Funktionen und Denkrichtungen.

Für das erste Thema waren dies Fragen übeu verschiedene Formen des priesterlichen Tuns, über Status und Rolle des Priesters, über den Zölibat, über Priester auf Zeit, haupt- und nebenberufliches Priestertum und die Integration der Priester in die menschliche Gesellschaft. Für das zweite Thema: Fragen des Verhältnisses zwischen Bischof und Priester, die Weise der Autoritätsausübung durch die Hierarchie, Fragen der Ernennung, über pastorale und administrative Probleme, die geteilte Verantwortung zwischen Priester und Bischof, Mitentscheidung und Kollegialität in Pastoralen Fragen und die wirtschaftliche Situation des Klerus. Zum dritten Thema: Fragen der theologischen, biblischen und Pastoralen Weiterbildung, Aufgafoen-umschreibung und Leben in der Gruppe, das affektive Leben und Glaubensieben des Priesters sowie die persönliche Annahme seines Amtes.

Da diese Zeilen in Druck gehen, liegt ein Ergebnis der Beratungen von Chur noch nicht vor, ein zweiter Beitrag wird sich deshalb erst endgültig mit den Beschlüssen dieser Versammlung beschäftigen können.

Internationalisierung der Kurie?

Einer der Vorwürfe, die gegen die Kirche immer wieder laut wurden, besteht darin, daß die Kurie fast nur aus Italienern besteht und das Italienische eine Art subsidiäre Amtssprache an der Kurie ist. Tatsächlich besteht die römische Kurie zum allergrößten Teil aus Italienern, und die Zahl der Nichtitaliener ist eine verschwindende Minderheit. Der Wunsch, daß auch Nichtitaliener an der Kurie beschäftigt werden, ist ein durchaus legaler Wunsch, aber er kann nur vorsichtig und langsam erfüllt werden. Die Italiener, die jetzt in der Kurie tätig sind, denken zum überwiegenden Teil gar nicht italienisch, sondern übernational. Die Kurie ist somit wirklich international in ihrem Denken. Und es ist eine Frage, ob eine sogenannte schnelle Internationalisierung, wie sie so manche wünschen, der Kurie das internationale Denken beibehalten lassen würde. Wenn plötzlich amerikanische Prälaten, deutsche Managerpriester, fromme, aber des Verwaltens ungeübte Negergeistliche in den Apparat der Kurie gestopft würden, würde plötzlich ein sehr inhomogener Körper entstehen, der wahrscheinlich zu Störungen in der Verwaltung führen könnte. Eine langsame Internationalisierung

brächte dagegen keine Gefahren. Denn alle Nichtitaliener, die in den Dienst der Kurie kamen, wurden über kurz oder lang typische, Kuriale. Ähnlich wie auch die Diplomaten c1 er' proletarischsten Staaten über kur*-oder lang sich das internationale Protokoll der Diplomaten aneigneten.

Der Ruf nach einer schnellen Internationalisierung der Kurie hat einen

teilweise verdächtigen Hintergrund: Oft Wird somit der Eindruck erweckt, als wollte so mancher Kardinal oder Bischof in die Kurie besondere Vertrauensleute einschleusen, die dann nicht so sehr Beamte des Papstes als sehr gute Vertreter der Meinungen bestimmter Persönlichkeiten in der Kirche oder gewisser Gruppen sein könnten. Es ist ein alter Grundsatz jeder Regierung, daß derjenige, der regiert, sich auch seine Mitarbeiter aussuchen kann. Das gilt für jeden Minister, für jeden Generaldirektor, für jedoh Bischof. Nur dem Papst wird so oft das Recht abgesprochen, die Kurie mit jenen Persönlichkeiten zu be-sezen, mit denen er glaubt, am besten regieren zu können. Ein Bischof würde sich kaum vorschreiben lassen, wen er als Generalvikar einsetzt, und ein Benediktinerabt würde sich kaum dekretieren lassen, wen er als Prior zu bestimmen hat. Nur der Papst soll dieses Recht nicht ausüben dürfen.

Im übrigen möge jeder, der von der Reform der Kurie spricht, vor allen Dingen eins bedenken: Jeder Katholik gehört einer Kurie an, und zwar der Kurie des Stifters der Kirche und sollte Sein Gehilfe bei der Regierung der Christenheit sein. Wer deshalb über die Reform der päpstlichen Kurie spricht, möge zunächst daran denken, daß er die PfliehtfJiattfSn der Re|o^jjijener Ku-*rie.'mitzuwirken, der errselbst an-gebörty nämlich bei ifihrrseibsk Und wenn diese große Kurie des Stifters der Kirche reformiert sein wird, dann wird die kleine Kurie des Papstes an diesem Beispiel nicht vorbeigehen können.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung