2013_Barbara_Frischmuth - © Wikimedia / Franz Johann Morgenbesser

Barbara Frischmuth: Zu den Quellen des Islam

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Seit über 40 Jahren ist Barbara Frischmuth mit der Türkei und ihrer Sprache vertraut. Sie hat den Orient bereist und kennt den Islam, vor allem seine mystischen Traditionen. Ein Gespräch über ihre Literatur, den EU-Beitritt der Türkei, die Enge des Loden-Österreichischen und warum die österreichische Provinz trotzdem faszinierend ist.

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Seit über 40 Jahren ist Barbara Frischmuth mit der Türkei und ihrer Sprache vertraut. Sie hat den Orient bereist und kennt den Islam, vor allem seine mystischen Traditionen. Ein Gespräch über ihre Literatur, den EU-Beitritt der Türkei, die Enge des Loden-Österreichischen und warum die österreichische Provinz trotzdem faszinierend ist.

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Die Furche: Frau Frischmuth, in Ihrem letzten Roman "Annas Verschwinden" kommt die Titelfigur abhanden, die Ali, einen Flüchtling, geheiratet hat. Heißt das, diese multikulturelle Ehe ist gescheitert?

Barbara Frischmuth: In diesem Buch scheitert die Ehe nicht so sehr an der Multikulturalität, sondern an der Ermüdung zweier Menschen aneinander. Es gibt ja noch eine andere Beziehung von Anna, die scheitert genauso - und da spielt Multikulturalität keine Rolle. Beziehungen scheitern sehr häufig in unserer Gesellschaft, weil wir ja so tun, als würde alles frei handelbar sein und als müsste man sich an nichts mehr halten. Natürlich, wenn die gesellschaftlichen Regeln nicht mehr gelten, wird es auch öfter zu Lösungen von Versprechen kommen, die eben nicht mehr für ein ganzes Leben abgeschlossen sind.

Die Furche: Wobei eben, wenn zwei Kulturen zusammen kommen, gerade auch das ein Problem ist, dass diese Regeln unterschiedlich sind.

Frischmuth: Ja, das wird schon angesprochen in dem Buch, dass die Regeln unterschiedlich sind. Schwieriger wird das dann vor allem auch für die Kinder, die irgendwann - vor allem, wenn so eine Beziehung in die Brüche geht - sich wirklich fragen, auf welcher Seite sie sich weiterentwickeln wollen. Viele Kinder haben dann das Gefühl, sie müssten sich entscheiden.

Die Furche: Wie Annas Tochter, die dann bewusst das Kopftuch trägt.

Frischmuth: Ja, dieses Kopftuch ist ein Symbol für alles Mögliche. Ich will gar nicht abstreiten, dass es noch immer Familienverhältnisse gibt, wo der Vater, der Bruder oder der Ehemann das wünschen und durchsetzen. Es gibt aber mittlerweile auch sehr viele Fälle, wo die Frauen das freiwillig tragen - auch aus verschiedenen Gründen. Sehr oft aus einem Deal heraus, dass man sagt: Gut, ich nehme das Kopftuch, ich kleide mich islamisch, ich beobachte die Regeln, aber dafür erlaube ich mir dies und das, nehme ich dieses und jenes Recht für mich in Anspruch: das Recht, mich frei bewegen zu können, mich auch weiterzubilden, einen Beruf zu ergreifen - im Koran steht nirgends, dass die Frau für den Mann kochen muss. Es gibt sehr interessante Studien, die beweisen, dass diese jungen Frauen, indem sie islamistisch werden, sich sehr oft auch von ihrem Gastarbeiter-Elternhaus zu emanzipieren suchen, indem sie sagen: Papa, Mama, ihr kennt nur den traditionellen Islam, der sehr schlampig geworden ist und gar nicht wirklich mehr der Islam ist, aber ich weiß, wie der Islam wirklich ist. Und indem ich mich an die und die Regeln halte, kann ich auch über mich bestimmen. Dann kommen natürlich noch viele andere Gründe dazu. Nicht zuletzt modische. Ich war gerade wieder in Kairo, und es war frappierend zu sehen, wie herausgeputzt diese jungen Mädchen sind, die ja angeblich das Kopftuch tragen, um nicht behelligt zu werden, nicht auffällig zu sein. Es gibt mittlerweile eine ganze Bekleidungsindustrie, auch schon in Europa, die diese islamische Kleidung neu entwirft, es gibt alle paar Monate neue Moden, wie man das Kopftuch schlingt, bindet, ob man zwei nimmt, drei oder eines, mit welchen Nadeln man es fest spänelt, wie die Mäntel dazu getragen werden. Manche sind in todschicken Jeans und kurzen Jäckchen und tragen halt dieses islamische Kopftuch. Also das, was die jungen Frauen aufgegeben haben an so genannter westlicher Mode, kommt über diese Mode sofort wieder herein.

Die Furche: Das islamische Land, das uns aktuell am meisten interessiert, ist die Türkei. Wie ist dort die Situation des Islam?

Frischmuth: Da ist die Situation schon seit langem anders, seit Atatürk spätestens, wo sowohl das Kalifat aufgehoben als auch der Staat zu einem laizistischen gemacht wurde und Religion und Staat wirklich absolut getrennt sind. Ich höre mittlerweile, dass ganze Autobusse voller türkischer Studentinnen, die sich islamisch kleiden möchten, nach Österreich verfrachtet werden - da mietet man für sie ein Haus -, denn hier können sie mit Kopftuch an die Universität gehen, was sie in Ankara und in Istanbul nicht so ohne weiteres können, obwohl auch dort diese Regel immer wieder gebrochen wird. Ich weiß von meinen letzten Lesereisen, dass immer wieder auch in den großen Universitäten Mädel mit Kopftuch unter den Studentinnen waren.

Die Furche: Sollte Ankara das Kopftuch erlauben oder Österreich auch intoleranter werden?

Frischmuth: In meinen Augen ist das wirklich kein Anlass für eine Gesetzgebung, ein Kopftuch zu tragen - und sei es auch aus politischen Gründen. Österreich sollte sich in der Hinsicht in meinen Augen so unaufgeregt wie möglich verhalten - wir brauchen nicht auch noch Kopftuchmärtyrerinnen. Ich glaube, je weniger rigoros man diesen Dingen gegenübersteht, desto weniger Probleme werden sie machen. Natürlich - aber das ist in Kairo genauso: Keine Studentin, die ihr ganzes Gesicht verschleiert, kann zu einer Prüfung zugelassen werden; wenn man sie nicht identifizieren kann, ist die Prüfung ungültig. Das sind ganz pragmatische Dinge, die beachtet werden müssen, auch von den Zuwanderern. Aber nur, weil eine Frau ihr Haar verhüllt, soll man bitte noch kein Theater daraus machen, denn je politischer man es nimmt, umso politischer wird es auch.

Die Furche: Sie kennen die Türkei seit gut 40 Jahren. Laufen unsere Debatten über den EU-Beitritt dieses Landes richtig?

Frischmuth: Ich glaube nicht, denn schließlich war die Türkei zu der Zeit, als man ihr das angeboten hat, politisch viel weniger berechenbar als heute. Es war viel mehr im Argen, und trotzdem hat man ihr diese Hoffnung gemacht. Ich glaube, es ist langsam auch wirklich ein Problem der Glaubwürdigkeit, und das sollte man nicht unterschätzen - aus Gründen der Völkerverständigung und des Sich-aufeinander-verlassen-Könnens überhaupt, aber auch wirtschaftlich. Die Türken registrieren sehr genau, wie sich wer verhält. Es ist schon an der Zeit, dass man in der Hinsicht zu seinem Wort steht. Ich persönlich habe wenig Bedenken gegen einen Beitritt der Türkei zur EU, ich gestehe aber zu, dass es eine Reihe von Gründen gibt, die nicht aus der Luft gegriffen sind. Ich meine noch immer, das die Gründe dafür überwiegen.

Die Furche: Der österreichische Staat hat ja wenig gemacht, dass wir mit fremden Kulturen leben lernen. Ich denke da auch an ihren Roman "Die Schrift des Freundes", wo auch Einwanderungsbescheide im Wortlaut wiedergegeben werden.

Frischmuth: Das ist etwas, was ich selber lange Zeit nicht so wahrnehmen wollte, weil ich immer noch optimistisch bin. Aber Österreich ist kein fremdenfreundliches Land, das muss man einfach sagen. Ich denke, dass wir da noch immer an diesen Jahrzehnten laborieren, in denen der Rassismus in unserem Denken eine so große Rolle gespielt hat; und auch wenn wir den nach außen hin und bewusst abgestreift haben - es sind noch so viele Strukturen da, und daran ändert kein Fremdenverkehr etwas, denn die Unseren fahren mit Vorliebe in die Türkei, und ich hege den Verdacht, zum Teil auch, um sich als die Besseren, Geschickteren, Viferen und Kultivierteren zu fühlen.

Ich glaube, man müsste sich mehr für die Zuwanderer interessieren und das ganze Thema entemotionalisieren. Dann würde man auch sehr rasch die wirklichen Fundis herausfinden und diejenigen unter den Zuwanderern, die das auch nicht wollen, sondern dass es zu einer Integration kommt. Und die bringen ja auch etwas mit, mit denen könnte man auch etwas teilen.

Die Furche: Deren Situation wäre wahrscheinlich leichter, wenn die Türkei in der EU wäre.

Frischmuth: Das weiß ich nicht einmal. Ich höre sehr oft von Zuwanderern, dass sie gar nicht daran interessiert sind. Warum? Weil sie Angst davor haben, dass womöglich andere nachkommen und ihnen dann die Jobs wegnehmen. Man hat ihnen das ja auch lang genug eingeredet. Das ist aber eine alte Geschichte - es waren auch die Österreicher und die Deutschen in Amerika nicht immer glücklich, wenn noch weitere nachkamen - das ist ein Phänomen, das offensichtlich zur Migration gehört. Und es hat auch einen Grund, weil die Integration immer leichter ist, wenn es wenige sind.

Die Furche: Was Sie auch immer am Islam interessiert hat, ist die Mystik und - ich denke an die Äbtissin Wendelgard in Ihrem Roman "Die Entschlüsselung" - quasi unterirdische Verbindungen zwischen Christentum und Islam.

Frischmuth: Es fragen sich ja viele Leute, was an diesem Islam überhaupt dran ist: Wo kommt diese religiöse Kraft her? Und in der Mystik oder auch in der Dichtung geht einem das erst so richtig auf, dass das eine Art von Gottesliebe ist, die für uns schwer nachvollziehbar ist, aber noch immer verursacht, dass die Muslime ein anderes Verhältnis zur Religion haben als die meisten von uns. Wenn man den Islam als das sieht, was von etwa 90 Prozent der Sunniten gelebt wird, ist einem oft vieles nicht nachvollziehbar. Wenn man sich aber ein bisschen mehr in die islamische Spiritualität hineinlebt, fließen die Quellen wesentlich reicher.

Die Furche: Wie steht es mit den traditionellen europäischen spirituellen Ressourcen? Jetzt stehen wir vor dem Weihnachtsfest, dem Fest der Gotteskindschaft. In Ihren Poetikvorlesungen "Literatur des Traums - Traum der Literatur" haben Sie geschrieben: Gotteskindschaft ist in der Form nicht mehr möglich, daher möchten Sie sie weiterentwickeln zu "Einander Kind" sein, wie ja auch eines Ihrer Bücher heißt.

Frischmuth: Das war für mich schon wichtig zu sehen, dass die Menschen auch einander Kind sein wollen, dass es niemand durchhält, immer die Vater- oder die Mutterrolle zu spielen oder der Überlegene, der Fürsorgende zu sein, sondern dass sich das abwechseln sollte, um durchgehalten zu werden - gerade auch in Beziehungen, wo das eben durchaus wechseln kann.

Die Furche: In Ihren Büchern sind es eher Frauen, die diese Balance verwirklichen. Gehört das zur Utopie eines weiblichen Gegenentwurfes?

Frischmuth: Möglicherweise. Ich habe mich früher sehr mit solchen weiblichen Gegenentwürfen beschäftigt. Ich bin aber wieder davon abgekommen, sie als rein weibliche Entwürfe zu sehen, weil ich denke, im Rahmen einer Gesellschaft müssen ohnehin beide Geschlechter sehr viel tragen. Es geht immer um die Balance. Früher habe ich manches Mal gedacht, man müsste nur die richtigen Sätze dafür finden, die richtigen Vorschläge machen, dann würde das schon funktionieren - dem ist nicht so. Ich glaube, dass dieses Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern sehr differenziert, auch individuell sehr verschieden ist, und nachdem wir es ja abgelehnt haben, uns weiterhin zu normen oder mit ganz speziellen Normen zu leben, muss man sehr viel Kraft investieren, um seine eigenen halbwegs zu erstellen, nach denen man selbst überleben will. Die so genannte Freiheit ist viel schwieriger zu leben, weil man auch nicht mehr jemanden anderen für sich verantwortlich machen kann, während früher automatisch die anderen schuld waren, weil sie einen nicht haben aufkommen lassen.

Die Furche: Es gibt ja auch Frauen, die versuchen, das Christentum - ähnlich wie wir das zuerst im Islam besprochen haben - anders zu interpretieren und für sich zu gestalten. Hat das Ihrer Meinung nach einen Sinn oder sitzt im Christentum die Falle schon im Kern: im männlichen Gott, mit dem die Vorstellung von Gotteskindschaft verbunden ist?

Frischmuth: Ich bin schon der Meinung, dass das Christentum sehr viele Gedanken hatte, die man nicht alle verwerfen soll. Da ist schon vieles erstmals geklärt worden. Wie weit das aber zum Beispiel innerhalb der katholischen Kirche einen Sinn ergibt, das kann ich wirklich nicht sagen. Ich bin da eher skeptisch, weil die Hierarchie noch immer so ausgeprägt ist, dass es nicht den Anschein hat, dass sich da in absehbarer Zeit etwas ändern wird; und die Frage ist halt, wie lange sich die Menschen das noch gefallen lassen und da noch mitmachen wollen, wenn sie sowieso den Eindruck haben müssen, die Kirche selber ist gar nicht daran interessiert, dass sie möglichst viele Gläubige hat, sondern es geht nur mehr darum, die eigenen Regeln aufrecht zu erhalten, gehe es, um was immer es wolle. Ich glaube, Kardinal Schönborn hat gesagt: "Dann wird es eben eine kleine Kirche geben." Gut, that's it.

Die Furche: Und welche Kraft messen Sie der Mythen- und Märchentradition bei? Sie zieht sich ja durch Ihr ganzes Werk, von der Sophie Silber-Trilogie bis in die jüngsten Bücher.

Frischmuth: Das ist für mich das Gedächtnis der Menschheit. Und ich glaube, man darf es einfach nicht preisgeben, indem man es einer Ideologie zuordnet. Der Mythos nimmt immer andere Gestalt an. Jede Erzählung des Mythos ist schon wieder etwas anderes. Natürlich können Mythen auch ideologisch interpretiert werden. Nur glaube ich, wenn man das zulässt, dann ist derjenige Mythos eben passé. Aber sehr oft haben Mythen die Kraft, sich wirklich zu erneuern und in etwas anderer Gestalt dieses Gedächtnis fortzuführen. Von daher sind sie mir so wichtig. Vor allem sind gerade die Mythen diejenigen, die die Geschichte des weiblichen Teils der Menschheit am besten konserviert haben. Von daher sind sie für unsereins unverzichtbar.

Die Furche: Wobei Sie am Beginn Ihrer Literatur eher sprach- und ideologiekritisch an die Mythen herangegangen sind, während Sie sie heute auf Ihre spezifische Weise weitererzählen.

Frischmuth: Weil ich draufgekommen bin, dass der Mythos sich immer wieder eine andere Sprache nimmt. Es gibt nichts Elastischeres als den Mythos. Wenn man Bücher wie die von Robert von Ranke Graves liest, kommt man doch darauf, dass jede dieser Götterfiguren in immer wieder neuer Gestalt, in immer wieder neuer Form verehrt, besungen wurde. Ein paar dieser mythischen Erzählungen haben dann die Oberhand gewonnen, vor allem durch die dramatische Interpretation, und viele sind irgendwie in der Vasenmalerei stecken geblieben oder in Bildern. Aber letztlich haben sie ihre Spuren ganz deutlich hinterlassen und vieles mit erhalten; man muss es nur lesen können. Das haben Leute wie Károly Kerényi oder Ranke-Graves versucht, und das halte ich schon für sehr spannend.

Die Furche: Können Mythen heute noch helfen, das Leben zu deuten?

Frischmuth: Ich glaube schon, ja. Freud ist ja noch nicht so lange her, und der hat da voll hineingegriffen, und viele andere auch. Das heißt aber, dass der Fundus sehr groß ist.

Die Furche: Eine entscheidende Veränderung in Ihrem Leben war, von der Metropole Wien wieder in die Kindheitsheimat Altaussee zu übersiedeln, aus der Großstadt in den Garten. War das eine bewusste Entscheidung für ein anderes Leben?

Frischmuth: Nein, das hat sich ergeben wie vieles im Leben. Wenn man es zulässt, ergibt sich viel. Wie haben einfach, mein zweiter Mann und ich, vor 16 Jahren aus dem Erbe meines Mannes heraus dieses Haus gebaut, und ich bin halt immer länger dort geblieben, weil mein Sohn, der in Wien zur Schule ging, immer größer wurde und mich dann nicht mehr unbedingt in Wien gebraucht hat. Und ich bin halt draufgekommen, dass der Tag mehr ausgibt, die Arbeitszeit ist besser zu organisieren. Und was mit dem Garten und mir passiert ist, das ist wie eine Liebesgeschichte, die mir halt wiederfahren ist und es mir immer schwerer gemacht hat, wieder nach Wien zu fahren. Und irgendwann habe ich dann gefunden: Wieso überhaupt? Mein Mann arbeitet in München, ich sitze in Aussee - ist doch wunderbar!

Die Furche: Und die österreichische Provinz ist nicht nur finster?

Frischmuth: Das kommt immer darauf an, wie man sie sieht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Provinz heller ist als die Hauptstadt, nicht immer natürlich, aber dieses Loden-Österreichische beschränkt sich bei Gott nicht auf die Provinz - dort hat es wenigstens wirklich mit der Kleidung zu tun, und da rechnet man auch damit. Aber ich bin immer wieder erstaunt und überrascht, was für differenzierte Menschen ich gerade in der österreichischen Provinz kennen lerne. Das war schon so, wie ich früher noch in Wien gelebt habe, aber viel getingelt bin: Da habe ich oft nach Lesungen - früher war man jünger und hat länger durchgehalten - die erstaunlichsten Menschen kennen gelernt. Ich glaube, man muss da nur hinschauen oder auch offen sein für solche Begegnungen.

Die Furche: Nach so optimistischen Worten: Was ist Ihre wichtigste Hoffnung für Österreich im Jahr 2005?

Frischmuth: Dass der Jubel kein erstickender sein soll. Und dass, wie auch im Jahr 1988, ein paar vernünftige Bücher erscheinen zur Geschichte dieses Landes, dass ein Budget locker gemacht wird für ein paar wirklich wichtige Dinge, die noch ausstehen. Das wäre meine Hoffnung.

Das Gespräch führte Cornelius Hell.

Literarische Orient-Expeditionen

Seit ihrem Debütbuch "Die Klosterschule" (1968) zählt Barbara Frischmuth zu den führenden Schriftstellerinnen Österreichs. 1941 in Altaussee geboren, studierte sie in Graz Türkisch und Ungarisch; 1961 war sie für einen einjährigen Studienaufenthalt in der ostanatolischen Stadt Erzurum, 1963 im ungarischen Szeged, 1964-67 studierte sie Orientalistik in Wien. Schon aus dem Roman "Das Verschwinden des Schattens in der Sonne" (1973) spricht die Bewunderung für die Literatur und Musik der verloren geglaubten Alewiten, einer anatolischen Bewegung, die ein vorislamisches, schamanistisches Erbe hütet. Im Roman "Die Schrift des Freundes" (1998) porträtiert sie die in der Türkei der 1990er Jahre neu erstarkten Alewiten und ihr großes Fest in Wien. Die künstlerische und religiöse Praxis der Kalligrafie ist in diesem Buch ein Gegenentwurf zur seelenlosen Informationsübermittlung des Computers. Im Roman "Die Entschlüsselung" (2002) geht es unter anderem um den fiktiven Briefwechsel zwischen einem anatolischen Derwisch, Dichter und Zahlenmystiker, mit Wendelgard von Leising, der Äbtissin eines nicht mehr existierenden Benediktinerinnenklosters. Im Herbst 2004 veröffentlichte Barbara Frischmuth den Roman "Der Sommer, in dem Anna verschwunden war".

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