Zuerst den Pfeil herausholen und dann fragen

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die furche: Herr Fenzl, worin besteht das Charakteristische an der Richtung des Buddhismus, wie Sie sie seit über vierzig Jahren praktizieren?

Myoshin-Friedrich Fenzl: Im Shin-Buddhismus geht man nach dem Tod in das reine Land ein, was mit dem Nirwana gleichzusetzen ist. Aus dem Nirwana kehrt man jedoch zurück, um in unserer Samsara-Welt - der Welt des Leidens - an der Erlösung oder Befreiung anderer Wesen aus dem Leidenskreis mitzuhelfen.

die furche: Was hat Sie seit Ihrer Jugend am Shin-Buddhismus fasziniert?

Fenzl: Mein Interesse für japanische Kultur war immer schon sehr groß. Deswegen habe ich mich an zwei Shin-Geistliche gewandt und bin mit ihnen in Korrespondenz getreten. Die Shin-Schule im Speziellen hat mir wegen ihres starken sozial-ethischen Aspekts sehr zugesagt. Hinzu kommt noch meine persönliche Bekanntschaft mit einem Pionier des Shin-Buddhismus in Europa, Harry Pieper, ein Berliner Buddhist aus der Vorkriegszeit. Seine Persönlichkeit, seine Menschlichkeit, seine tiefe Religiosität haben mich stark beeindruckt.

die furche: Sie sprechen von sozial-ethischen Aspekten, von persönlichen Vorbildern, die sie am Buddhismus faszinierten. Würden Sie diesen Ihren Glaubensweg als einen typischen Zugang zum Buddhismus bezeichnen.

Fenzl: Für den Buddhisten ist es das Wichtigste, aus dem Samsara, dem Leidenskreislauf herauszukommen. Alle andere Fragen sind sekundärer Natur, und insofern nimmt der Buddhismus grundsätzlich einen sehr pragmatischen Standpunkt ein. Dazu gibt es auch ein berühmtes Gleichnis von Buddha selbst: Angenommen, ein Mann wird von einem Pfeil getroffen. Und seine Freunde rufen einen geschickten Chirurgen, der den Pfeil entfernen soll. Der Getroffene will zuerst jedoch wissen, wie der Schütze ausgesehen hat, ob er groß oder klein, hell- oder dunkelhäutig war. Und er fragt weiter, wie der Bogen beschaffen war und fragt weiter und weiter. Das Gleichnis endet damit, dass der Mann längst gestorben wäre, hätte man mit der Behandlung gewartet, bis alle Fragen beantwortet sind. Ähnliches gilt nun für den Buddhismus. Die Frage, ob Gott existiert, mag für Theologen, Philosophen, Kosmologen ein hoch interessantes Thema sein. Den Einzelnen aber, der in den Leidenslauf eingebunden ist, bringt diese Frage nicht weiter.

die furche: Führt nicht gerade dieser pragmatische Ansatz dazu, dass dem Buddhismus immer wieder abgesprochen wird, eine Religion zu sein?

Fenzl: Der sogenannte Atheismus des Buddhismus beruht meiner Meinung nach auf einem Missverständnis. Der Buddhismus spricht nur nicht von einem persönlichen Gott, aber Buddha spricht selbst davon, dass es etwas Ungeborenes, Ungewordenes, nicht in Bildern Fassbares, Unvergängliches gibt. Das ist natürlich kein Gottesbegriff im Sinne des Monotheismus, stellt aber auch einen Absolutheitsbegriff dar. Dharmakaya, Dharma-Leib wird die höchste Wirklichkeit im Buddhismus bezeichnet. Durch die dem Menschen nach buddhistischem Glauben anhaftenden Geistesbefleckungen (Hass, Gier, Zorn, Neid, ...) und da alles ständig im Fluss, ständig vergänglich ist, ist der Mensch von sich aus aber nicht imstande das Absolute zu erkennen.

die furche: Aus welchen Motiven, mit welchen Fragen kommen Menschen in buddhistische Gemeinschaften?

Fenzl: Viele sind auf der Suche nach einem neuen religiösen Weg, nach einem spirituellen oder seelischen Halt. Andere suchen - und das ist sehr häufig - Möglichkeiten und Anleitungen zur Meditation. Gelegentlich kommen auch Leute bei denen es mehr oder weniger eine Modeerscheinung ist. Als zum Beispiel der Bertolucci-Film "Little Buddha" lief, gab es mehrere Anfragen, bei denen man rasch merkte, hier geht es weniger um Glaubensdinge als mehr um die Frage, wie man gerade up to date ist. Zum Großteil kommen aber ernsthafte Anfragen. so, dass man sucht. Es kommen ja nur ganz selten Leute, die sich von Anfang an gewiss sind, in welcher buddhistischen Schule sie bleiben wollen. Meisten wird ja zuerst gesucht, was einem besonders zusagt.

die furche: Machen Sie Werbung? Betreibt Ihre buddhistische Gemeinschaft so etwas wie Mission?

Fenzl: Wir stehen im Telefonbuch, und da kommen doch immer wieder Anfragen. Im Jahresschnitt sind es bei mir zwischen 15 und 20 Anrufe. Auch Mundpropaganda spielt eine große Rolle. Dann gibt die Österreichische Buddhistische Religionsgesellschaft (ÖBR) einen Veranstaltungsspiegel heraus. Weiters gibt es die Zeitschrift "Ursache und Wirkung", das Zentralblatt des österreichischen Buddhismus, sowie die Zeitschriften der einzelnen Gemeinschaften.

die furche: Wie sieht der formale Ablauf aus, bis man offiziell Buddhist ist. Gibt es Initiationsriten - wie die Taufe - auch im Buddhismus?

Fenzl: Die meisten, die zu uns kommen, sind auf der Suche. Ganz selten kommen Leute, die sich von Anfang an gewiss sind, in welcher buddhistischen Schule sie bleiben wollen. Dazu gibt es Einführungskurse. Viele kommen, wie gesagt, zur Meditation.

Offiziell als Buddhist gilt, wer der ÖBR als Mitglied beigetreten ist. Nachdem man das Bekenntnis zu den drei Kostbarkeiten: Buddha, Dharma (Lehre), Sangha (Gemeinde) abgelegt hat, bekommt man eine Urkunde, muss einen Unkostenbeitrag entrichten und wird in die Matriken eingetragen. Es gibt aber auch Leute, die Mitglied der ÖBR sind, sich aber an keine buddhistische Richtung binden.

Wenn man hingegen einer bestimmten Richtung angehört, gibt es so etwas wie eine Laienordination oder Konfirmation. Im Jodo-Shin-Buddhismus, findet diese Feier alle zwei Jahre in einem Tempel irgendwo in Europa statt. Da kommt der Patriarch und erteilt die Ordination.

die furche: Was bedeutet der Beitritt zu Ihrer buddhistischen Richtung für die Lebensführung. Ist es beispielsweise Bedingung, vegetarisch zu leben?

Fenzl: Shinran Shonin, der Begründer meiner Richtung, hat seinen Anhängern ausdrücklich gestattet, Fleisch und Fisch zu essen. Das hängt damit zusammen, dass im Japan des 12. und 13. Jahrhunderts Menschen, die Tiere schlachteten sehr diskriminiert wurden. Shinran Shonin wollte den Fleischgenuss enttabuisieren, um die Stellung dieser Menschen aufzuwerten. Diese Nachsicht, die historisch aus sozialen Gründen entstanden ist, wird uns nun teilweise von anderen buddhistischen Richtungen vorgehalten.

die furche: Wie hoch schätzen Sie die Gefahr, dass obskure Gruppen und Sekten unter dem Deckmantel des Buddhismus operieren?

Fenzl: Die Gefahr ist bei uns wie bei anderen Religionen sicher gegeben. Immer wieder werden Versuche gemacht, buddhistische Elemente mit New Age, Esoterik, Astrologie zu vermengen. Darum wird sehr streng geprüft, wenn eine Gemeinschaft die Aufnahme in die ÖBR beantragt.

die furche: Wie bewerten Sie das Verhältnis zwischen Buddhismus und katholischer Kirche?

Fenzl: Mit dem Christentum hat sich das Verhältnis in den letzten 25, 30 Jahren sehr entspannt. Gerade die letzten Jahren brachten hervorragende Kontakte mit der katholischen Kirche. Auf beiden Seiten wird versucht, Anknüpfungspunkte in ethischen und sozialen Bereichen zu finden. In interreligiösen Arbeitskreisen arbeiten wir seit Jahrzehnten zusammen. Jedes Jahr kommt es zu einem gemeinsamen Friedensgebet. Außerdem sind wir so wie andere Religionen und Konfessionen in der Hospizbewegung vertreten, die sich Kranker und Sterbender annimmt. Bei Anfragen machen wir Krankenseelsorge und Sterbebegleitung.

die furche: Welche Bedeutung hat Jesus Christus für Sie als Buddhist?

Fenzl: Christus ist für mich durchaus mit einer Bodhisattva-Gestalt vergleichbar. Der Bodhisattva erstrebt die Erleuchtung nicht nur zu seinem eigenen Heil, sondern um den Wesen als Erleuchteter besser helfen zu können. Das Charakteristikum des Bodhisattva ist der Mitleids-Gedanke, und da sehe ich durchaus Parallelen zur Heilsgestalt Jesus Christus.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Buchtipp Kurz und bündig Bradley K. Hawkins, Professor für Asiatische Religionen in Kalifornien, ist der Autor des Bandes "Buddhismus", das als Taschenbuch bei Herder auf deutsch vorliegt. Hawkins beleuchtet prägnant die Lehren und Strömungen des Buddhismus, auch der moderne und der westliche Buddhismus kommen nicht kurz. Die Lage in den deutschsprachigen Ländern zeigt Alfred Weil in einem eigenen Artikel auf. ofri BUDDHISMUS. Von Bradley K. Hawkins. Aus dem englischen von Angela Krumpen. Mit einem Beitrag von Alfred Weil. Verlag Herder, Freiburg 2000. 192 Seiten, TB, öS 137,-/e 9,96 Zur Person Buddhist im Westen Myoshin-Friedrich Fenzl ist einer der zwei letzten noch Lebenden aus der Gründergeneration des Österreichischen Buddhismus in den fünfziger Jahren. Zum Buddhismus kam Fenzl, nachdem er als 17-Jähriger einen buddhistischen Katechismus aus der Zeit um die Jahrhundertwende entdeckt hatte. Daraufhin wurde er 1955 Mitglied der Buddhistischen Gesellschaft in Wien - damals die einzige buddhistische Gemeinschaft in Österreich. 1960 trat er dem Honganji-Tempel - dem wichtigsten Tempel des Shin-Buddhismus in Japan - bei und bekam, nachdem er zum Repräsentanten dieser Richtung in Österreich wurde, ein Stipendium, das es ihm ermöglichte, 20 Monate lang den Shin-Buddhismus in Kyoto zu studieren. Heute ist Friedrich Fenzl stellvertretender Vorsitzender der Buddhistischen Gemeinde Österreich West in Salzburg. WM

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