Zufall kann göttlich sein

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Zum Streit um die Evolution II: Warum Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie einander gerade nicht ausschließen.

Wir Menschen sind Kinder der Evolution. Eine Tatsache, die lückenlos dokumentiert ist, vom Australopithecus und seinen Ahnen bis hin zum Eismann vom Hauslabjoch. Dass wir zugleich Kinder Gottes sind, muss für Christen kein Gegensatz sein - im Gegenteil. Die Evolution ist dem gesamten Schöpfungsgedanken keinesfalls wesensfremd, auch außerhalb der Lebewelt. Vom Urknall über die physikalische Evolution der Ausbildung von Galaxien führte der Weg über die chemische Evolution zum Entstehen einer lebensfreundlichen Erdatmosphäre sowie den molekularen Lebensbausteinen hin zur biologischen Evolution. Im Reich der Tiere etablierte sich neben einer Evolution der Strukturen und Organe und ihrer Funktionalität auch eine Entwicklung von Verhaltensweisen. Mit der kulturellen Dimension schlug die Evolution dann einen Weg ein, der allein der menschlichen Spezies vorbehalten blieb. Eine Abfolge, die in der biblischen Schöpfungsgeschichte der Genesis analog abgebildet ist .

Mutationen, Fortpflanzung

Die treibende Kraft hinter der Entwicklung erster Organismen bis hin zum neuzeitlichen Menschen und anderen modernen Momentaufnahmen der Evolution bestand im Wechselspiel zwischen den (durch sexuelle Durchmischung und Mutationen neu entwickelten) Lebensformen und der Selektion. Mutationen und sexuelle Fortpflanzung bedingen Änderungen in der Erbinformation. Mutationen haben ihre Ursachen einerseits im Zellteilungsprozess selbst, können jedoch auch durch Umweltfaktoren wie elektromagnetische oder radioaktive Strahlung verursacht sein. Es ist die Umgebung, die Mitwelt eines Organismus, die darüber entscheidet, ob es diesem gelingt zu bestehen, also Bestandteil der biologischen Erbinformation zu bleiben, oder ob dieser neue Typus aus dem Gedächtnis der Evolution verschwindet.

Wie sehr der Erfolg oder Misserfolg einer Mutation von der Umwelt abhängt, zeigt folgendes Beispiel: Bewirkt eine Mutation beispielsweise eine pigmentlose Körperbehaarung, so hat dies bei einem Tier, das seinen Lebensraum im ewigen Eis hat, gänzlich andere Konsequenzen als bei einem Tier, welches im Wald lebt.

Das Ineinandergreifen von Mutation und Selektion hinterließ die Erfahrungen aus den Wechselwirkungen zwischen Lebewesen und Umwelt in Form von Bauplänen ebenso wie in der Form von Verhaltensweisen. Die Zufälligkeit der Mutationen erhält durch Rückkopplung mit der Umgebung und insbesondere durch die Konkurrenz der Lebewesen ihre Zielrichtung. Dieser der Evolution inhärente Lernprozess des Lebens bleibt im genetischen Code verwahrt. Das Genom gilt als Geschichtsschreibung des durch Feedback zwischen Lebensformen und Biosphäre induzierten Prozesses evolutiven Informationszuwachses.

Untrennbar mit der organischen Ausstattung gekoppelt ist jene des Verhaltens. Verhaltensweisen bei Tieren sind maßgeblich durch die Einflussgrößen ihrer Umgebung mitbestimmt. Einem Eisbären etwa würde sein an das Weiß des Eises angepasstes Fell bei der Jagd kaum hilfreich sein, würde sein Jagdverhalten nicht genauso auf die Umgebung und das Verhalten seiner Beutetiere abgestimmt sein.

Die Entstehung einer neuen Art, jede Form der Anpassung, jede Änderung in den Merkmalen von Lebewesen sind Resultate von Modifikationen des genetischen Codes. Welche Richtung die Evolution nun aber einschlägt, um Lebewesen für den Überlebenskampf zu rüsten, ist nicht vorhersehbar. Der Berliner Werner Eberling, der über Selbstorganisation und Evolution forscht, schreibt dazu: "Das Ausprobieren und Bewerten neuer Wege ist die Hauptmethode der Evolution. In diesem Sinne gibt es zwar Sackgassen, die nach negativer Bewertung wieder verlassen werden, im Gesamtprozess aber einen Sinn haben. Im Rahmen der Evolution gibt es keine sinnlosen Versuche, denn der Irrtum ist sozusagen eingeplant, das Risiko gehört zur Strategie. Wer Diversität und Suche durch einen ,Königsweg' ersetzen möchte, verkennt die treibende Kraft des chaotischen Elements in der Evolution."

Was ist zufällig?

Zufällig ist, welche neue Genkombination ein Organismus mit auf seinen Weg bekommt und welcher Umwelt er ausgesetzt wird. Der Zufall ist somit ein zwar wichtiger Motor dieses Prozesses, der jedoch klare Spielregeln hat. So hält sich die Neukombination der genetischen Information natürlich an das Alphabet des genetischen Codes und an die Sprache der Gene und Gensequenzen. Auch die Umweltbedingungen, denen ein Organismus ausgesetzt ist, bilden eine Palette von Kombinationsmöglichkeiten, die unbestritten reichhaltig aber doch weit davon entfernt ist, chaotisch zu sein.

Die Portfolios an möglichen genetischen Innovationen, an Umweltbedingungen und auch an Ergebnissen der Evolution sind umfangreich, aber weder in Anzahl und Ausformung beliebig gestaltbar. Mit durchaus vergleichbaren Ansätzen etwa hat sich das Landleben den Lebensraum "Luft" erschlossen. Das "Fliegen" wurde von Reptilien (Flugsaurier), Vögeln, Insekten oder auch Säugetieren (Fledermäuse) gleich mehrfach erfunden. Ebenso sind Vogelfedern und manche Flugorgane von Pflanzensamen, die vom Wind verbreitet werden erstaunlich ähnlich aufgebaut. Unzählig sind auch die Beispiele für "Tarnen und Täuschen" als Anpassung auf bestimmte Umweltbedingungen.

Die Natur und mit ihr die Evolution beschreiten Wege, sie irrlichtern nicht. Sie instrumentalisieren den Zufall - machen ihn zum Croupier, der die Kugel einwirft oder die Karten mischt.

Gottgewollt erklärbar

Damit steht aber auch der christliche Glaube an die Schöpfung zu einer derartigen Rolle des Zufalls nicht im Widerspruch, da ihm ja nicht die Rolle des Gestaltenden zukommt. Zufälligkeit und Göttlichkeit sind keine Gegensätze innerhalb der Evolution. Ebenso wie eine Vertiefung des Wissens um die Abläufe der Genetik, um die Wechselwirkungen zwischen den Organismen selbst und ihrer Umwelt und um andere Aspekte der Evolution nicht den Raum für das Göttliche einengen können. Darf Gott nur dort sein, wo die Naturwissenschaft noch nicht war? Dann dürfte es keine christlichen Naturwissenschafter(innen) geben, da sie mit ihrem Tun, mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, Schritt für Schritt die Existenz des Göttlichen aus der Schöpfung verringern würden.

Eine derartige Sicht würde das Göttliche auf Reliktareale der Erkenntnis verbannen, etwa auf noch Unerklärbares oder auf Grenzgebiete zur Mystik wie den Begriff des "Lebens" an sich oder auf die Frage nach einem möglichen Endpunkt der Evolution. Über Glaubenselementen, die grundsätzlich auch wissenschaftlich erklärt werden könnten, würde das Damoklesschwert der Erkenntnis schweben. Werden denn Elemente der Natur, sobald wir sie wissenschaftlich beschreiben und verstehen, aus dem Paradies der Schöpfung vertrieben? Ist die wissenschaftliche Evidenz also die Frucht vom Baum der Erkenntnis? Auch Erklärbares muss gottgewollt sein dürfen.

Der Autor, Biologe, ist Leiter der Abteilung für Chemiepolitik im Umweltministerium in Wien

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