Wie klingt Gott?
FOKUSZum 200. Geburtstag Anton Bruckners: Vermesser des Göttlichen
Eine Würdigung des lange missverstandenen Meisters der Sakralmusik, anlässlich des Bruckner-Jahrs.
Eine Würdigung des lange missverstandenen Meisters der Sakralmusik, anlässlich des Bruckner-Jahrs.
Es ist eine Fügung, die passender nicht hätte ausfallen können, dass das Festjahr anlässlich Anton Bruckners 200. Geburtstag zugleich auch mit dem 100-Jahre-Jubiläum der Weihe des Linzer Mariendoms zusammenfällt. So gilt der Typus der Domkirche als architektonisches Pendant zu Bruckners Musik. Der Anblick einer mächtigen Domkirche vereint Monumentalität mit religiösem Ausdruck, ebenso wie viele Werke des Künstlers, der oft simplifizierend als „Musikant Gottes“ bezeichnet wird. Der Komponist ist zudem eng mit dem Linzer Dom verbunden. Seine bekannte Motette Locus iste schrieb Bruckner anlässlich der Weihe der Votivkapelle im Mariendom im Jahre 1869. Zwischen 1855 bis 1868 war er Organist im alten Dom in Linz, bevor er nach Wien zog.
Die Assoziation eines Sakralbaus ist dabei keine Fremdzuschreibung findiger Biographen, sondern wurde von Bruckner selbst ganz bewusst verwendet: „So wie jeder wissenschaftliche Zweig es sich zur Aufgabe macht, seine Materiale durch das Aufstellen von Gesetzen und Regeln zu ordnen und zu sichten, so hat auch die musikalische Wissenschaft ihren ganzen Kunstbau bis in die Atome seziert, die Elemente nach gewissen Gesetzen zusammengruppiert und somit eine Lehre geschaffen, welche auch mit anderen Worten die musikalische Architektur genannt werden kann“, sagte Bruckner laut Manuskript bei seiner Antrittsvorlesung als Harmonielehre-Lektor an der Universität Wien im November 1875.
Als verbindendes Element zwischen der technischen Wissenschaft und der Musik verstand Bruckner immer die Zahl. Dabei ging seine Liebe zur Arithmetik und den Proportionen so weit, dass er sich im Jahr 1867 wegen einer Zwangsstörung in eine dreimonatige Behandlung begab. Offiziell wegen künstlerischer und psychischer Überlastung eingewiesen, sollte den Komponisten die Zahlenmanie sein ganzes Leben begleiten und sein künstlerisches Wirken kennzeichnen. So nummerierte er etwa über seine ganze Schaffensperiode die Takte in seinen Werken nicht wie üblich fortlaufend, sondern bündelte diese in meist vier- oder achttaktige Einheiten. Dabei ist die Verwendung von Zahlensymbolik in den bildenden Künsten wie auch der Musik keinesfalls etwas Neues. Erwähnt sei beispielsweise Johann Sebastian Bach, der die Einbettung von Zahlenverhältnissen etwa in seinen Orgelwerken bereits 150 Jahren vor Bruckner zur Meisterschaft brachte.
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