Ingeborg Bachmann - © Foto: © Heinz Bachmann/Familienarchiv Bachmann

Ingeborg Bachmann als "religiöse" Dichterin

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Ingeborg Bachmann, 1973 in Rom mysteriös und tragisch verstorben, war auch eine große "religiöse" Dichterin.

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Ingeborg Bachmann, 1973 in Rom mysteriös und tragisch verstorben, war auch eine große "religiöse" Dichterin.

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Insbesondere die Dimension der Klage des Menschen", so der Tübinger Theologe und Literaturkenner Karl-Josef Kuschel, sei in den kirchlichen Gebets- uns Liedtexten verloren gegangen. Vielleicht ist die diesbezügliche kirchliche Sprachlosigkeit einer der Gründe dafür, dass Worte von Ingeborg Bachmann immer wieder in einen religiösen Kontext gestellt werden –etwa wie es der steirische Bischof Egon Kapellari in seinem neuen Buch in sieben Miniaturen tut.

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Natürlich kann man durch ein Gedicht nicht die Welt verändern, das ist unmöglich, hat die Bachmann einmal in einem Interview gesagt: Man kann aber doch etwas bewirken, und diese Wirkung ist eben nur mit dem größten Ernst zu erreichen und aus neuen Leid-Erfahrungen. Klage-Poesie war bei Ingeborg Bachmann in vielen Texten präsent. In der Stummheit der Wiederaufbauzeit, in der auch die Kirchen mehr der Sprache der Macher als den Worten der Zweifler vertrauten, blieb es gebrochenen Existenzen wie den –physischen und geistigen – Überlebenden von Auschwitz oder Menschen wie Bachmann vorbehalten, die Trauer der Sehnsucht in Worte zu fassen.

Nichts mehr wird kommen, beginnt ein Bachmann-Gedicht aus 1966/67, das den Titel Enigma trägt. Ein paar Verse später wiederholt sich dieser Satz: Es wird nichts mehr kommen. Aber die Zeilen gehen dann weiter: Du sollst ja nicht weinen, / sagt eine Musik. // Sonst / sagt / niemand / etwas.

Die Klage der Bachmann ist, wie dieses Beispiel zeigt, sprachlich-bildlich der Erfahrung von Menschen nahe –und zwar auch deswegen, weil es dabei nicht um eindimensionales Verneinen der Welt geht: Selbst wenn nichts mehr kommen wird, gibt es eine Musik, die sagt: Du sollst ja nicht weinen. Das ist immerhin etwas –auch wenn sonst niemand etwas sagt.

Ingeborg Bachmann selbst hat dieses Schillern von Dichtung 1959/60 bei ihren Frankfurter Poetik-Vorlesungen beschrieben. Sie nimmt dort auf einen Ausspruch der französischen jüdischen Mystikerin und ungetauften Christin Simone Weil Bezug (Bachmann hatte 1955 einen Radioessay über Weil verfasst): Das Volk braucht Poesie wie das Brot. Und Bachmann entwickelt das Zitat weiter: Poesie wie Brot? Dieses Brot müsste zwischen den Zähnen knirschen und den Hunger wiedererwecken, ehe es ihn stillt. Und diese Poesie wird scharf von Erkenntnis und bitter von Sehnsucht sein müssen, um an den Schlaf der Menschen rühren zu können.

Durch solche Aussagen von Ingeborg Bachmann selbst lässt sich eine ihren Texten innewohnende religiöse Dimension belegen. Es handelt sich dabei mehr um eine Dimension der Transzendenz als um die explizite Anwesenheit eines (christlichen) Gottes. Selten gibt es Gott in Bachmann-Texten, und auch dort, wo er vorkommt, äußert sich die Dichterin distanziert.

Über Gott im Hörspiel Der gute Gott von Manhattan sagt sie, sie wollte dort zeigen, dass es etwas gebe, das die äußeren Schwierigkeiten, die den Untergang einer Liebe herbeiführen können, beiseite räume: Eine Macht, die ich im guten Gott personifiziert habe.

Stille Nacht, heilige Nacht,
wenn von den Tischen
die Kanten fliegen,
wenn es kracht,
wenn der Verrat aufsteht
und durch die Wand
das Gespenst Gott
wie die Spinne auf dich
zukommt [...]:

Auch durch den Ende letzten Jahres erschienenen Band Ich weiß keine bessere Welt (Piper, München 2000), in dem unveröffentlichte Gedichte der Bachmann zusammengestellt wurden, und dessen Publikation, weil es sich dabei vielfach um unfertige Texte handelt, umstritten ist, ziehen sich Klage und religiöse Momente als eine Spur.

Daneben darf, wenn vom Werk Ingeborg Bachmanns die Rede ist –zu den Gedichten, Hörspielen, Übersetzungen, Libretti, Essays folgten in späteren Jahren die Erzählungen und der unvollendete Romanzyklus Todesarten –zumindest die religiöse Dimension der Utopie, eines Hoffens auf eine andere Welt, nicht vergessen werden: [...]

Grenzt hier ein Wort an mich, so laß ich's grenzen.
Liegt Böhmen noch am Meer, glaub ich den Meeren wieder.
Und glaub ich noch ans Meer, so hoffe ich auf Land.
Grenzt hier ein Wort an mich, so laß ich's grenzen.
Liegt Böhmen noch am Meer, glaub ich den Meeren wieder.
Und glaub ich noch ans Meer, so hoffe ich auf Land.
Grenzt hier ein Wort an mich, so laß ich's grenzen.
Liegt Böhmen noch am Meer, glaub ich den Meeren wieder.
Und glaub ich noch ans Meer, so hoffe ich auf Land.

Obige Zeilen aus Böhmen liegt am Meer (1964), einem der bekanntesten Bachmann-Gedichte, zeigen, wie sehr die Dichterin auch einer geradezu eschatologischen Hoffnung das Wort reden konnte. In einer Eigeninterpretation dieses Gedichts hat Bachmann das selber angesprochen: Es ist ... das letzte Gedicht, das ich geschrieben habe ..., weil damit alles gesagt ist ... Und Böhmen heißt nicht für mich, dass es Böhmen sind, sondern wir alle sind Böhmen. Und wir hoffen alle auf dieses Meer und auf dieses Land. Und wer nicht hofft, und wer nicht lebt, und wer nicht liebt, und wer nicht hofft auf dieses Land, ist für mich kein Mensch. Und deswegen habe ich gesagt: "Kommt her, ihr Böhmen alle" ...

Ein anderes Beispiel für solch utopischen Zug bietet Malina, der einzige vollendete Bachmann-Roman (1971), in dem Einsprengsel endzeitlicher Träume ebenfalls Platz gefunden haben: Ein Tag wird kommen, an dem die Menschen rotgoldene Augen und siderische Stimmen haben, an dem ihre Hände begabt sein werden für die Liebe, und die Poesie ihres Geschlechts wird wiedererschaffen sein ...

Auch wenn der Roman mit der Vernichtung des weiblichen Teils einer in zwei Ichs gespaltenen Hauptfigur endet (Der lakonische Schlusssatz von Malina lautet: Es war Mord.), auch wenn das Leben Ingeborg Bachmanns selbst sich tragisch entwickelte: Der letzte Funke Zukunft bleibt weiter zu lesen –nicht nur als Teil des Romans –und ist der Nachwelt nicht zu nehmen: ... und ihre Hände werden begabt sein für die Güte, sie werden nach den höchsten aller Güter mit ihren schuldlosen Händen greifen, denn sie sollen nicht ewig, denn es sollen die Menschen nicht ewig, sie werden nicht ewig warten müssen ...

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