Die muslimische und die nichtmuslimische Welt sind in Mitteleuropa noch weit davon entfernt, Patentrezepte fürs friedliche Zusammenleben gefunden zu haben. Anmerkungen zu einem schwierigen Miteinander.
Ein zweifacher Blick nach Deutschland: 1. In einem Dresdener Gerichtssaal erstach Anfang Juli ein deutscher Rechtsradikaler die kopftuchtragende Frau eines ägyptischen Wissenschafters. 2. Ein Düsseldorfer Senat verhandelt die Anklage gegen die „Sauerland-Gruppe“, deren Protagonisten in den letzten Tagen umfangreiche Geständnisse ablegten, islamistische Terroranschläge geplant zu haben.
Hier angesprochene Vorgänge spannen das Konfliktfeld auf, in dem sich Muslime in (mittel)europäischen Gesellschaften bewegen: Offene Aggression von „Einheimischen“, im gegenständlichen Fall bis hin zum Mord. Und beim anderen Extrem der verschwiegene Versuch, mit Argumenten der Religion gewaltsam gegen die Gesellschaft vorzugehen. Dazwischen liegen alle Schattierungen zwischen Parallelgesellschaften und gelungener Integration in die Mehrheitsgesellschaft. Beide Vorgänge sind auch Symptome dafür, dass die muslimische und die nichtmuslimische Welt in Mitteleuropa noch weit davon entfernt sind, Patentrezepte fürs friedliche Zusammenleben gefunden zu haben.
Keine Insel der Seligen
Was für Deutschland gilt, hat in Österreich seine Entsprechung. Man mag zwar anmerken, dass sich hier – noch – keine Rechten manifestieren, die Muslim(inn)en nach dem Leben trachten. Und auch die bisher offenbar gewordenen islamistischen Gewaltfantasien haben bestenfalls ein „Al Kaiderl“ zutage gefördert. Das heißt aber noch lange nicht, dass sowohl auf dem rechtsextremen als auch auf dem islamistischen Terrain hierzulande nichts im Verborgenen blüht.
Was den Islam betrifft, setzte der Staat in den letzten Jahrzehnten darauf, diesen über die staatlich anerkannte Islamische Glaubensgemeinschaft als Vis-à-vis zu definieren. Man ist für lange Zeit gut damit gefahren – in Deutschland etwa ist es dem Staat bis heute nicht gelungen, einen repräsentativen Gesprächspartner für die Mehrheit der Muslime zu finden. Allerdings ist auch in Österreich das Modell einer „Einheitsgemeinde“ aller Muslime in die Krise geraten, sowohl was die Akzeptanz unter den heimischen Muslimen als auch was das Agieren dieser „Gemeinde“ in der Gesellschaft betrifft. Seit Monaten bemüht sich die Glaubensgemeinschaft – zum Teil auch auf öffentlichen Druck –, sich im Inneren zu reformieren. Es ist zu hoffen und zu fordern, dass eine transparente „Verfassung“, wie seit Längerem angekündigt, tatsächlich zum Tragen kommt.
Österreich ist auch in Bezug aufs Verhältnis zwischen säkularer Gesellschaft, den „alten“ Christen und den „neuen“ Muslimen keine Insel der Seligen. Das heißt aber keineswegs, dass es sich um eine unlösbare Auseinandersetzung handelt. Vielleicht haben ja gerade die Religiösen in dieser Gesellschaft (man kann nicht müde werden zu betonen: nicht nur unter den „Christen“, auch unter den Muslimen gibt es viele „Nichtreligiöse“!) eine besondere Aufgabe. Denn gerade Religiöse wissen um die Bedeutung des Glaubens nicht nur fürs eigene Leben, sondern auch für den sozialen Zusammenhalt.
Die Pflicht der Religiösen
Zusätzlich haben alle Seiten die Pflicht, dialogbereit und dialogfähig zu sein. Man kann da bei manchen muslimischen Vertretern Defizite orten. Selbiges ist aber auch bei denjenigen Christen zu finden, die dem Islam per se unterstellen, er sei mit Demokratie und Menschenrechten inkompatibel. Die Kirchengeschichte zeigt, dass Päpste bis ins 20. Jahrhundert die Vorstellung, Demokratie und christlicher Glaube seien vereinbar, erbittert bekämpft haben.
Vertretern des Islam, die heute eine entsprechende Haltung vertreten, gilt es selbstverständlich entschieden entgegenzutreten. Aber man findet gerade unter Europas Muslimen Gesprächspartner, die glaubwürdig einer Verständigung mit Christen und mit der europäischen Moderne das Wort reden.
Anstatt in blinden Alarmismus zu verfallen, ist es eine wichtige Aufgabe – beispielsweise der Christen im Lande – mitzuhelfen, dass die gesprächsbereiten und gesellschaftsoffenen Muslime ihren Platz in dieser Gesellschaft erhalten und behaupten.
* otto.friedrich@furche.at
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!