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Zum Teil noch im Mittelalter

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Der ägyptische Jesuit Samir Khalil Samir sieht in der großen Verunsicherung die Ursache des Fundamentalismus.

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Der ägyptische Jesuit Samir Khalil Samir sieht in der großen Verunsicherung die Ursache des Fundamentalismus.

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Samir Khalil Samir SJ ist ein Wandler zwischen den Welten. Von Graz kommend, wo der Islamwissenschafter und Ostkirchen-kundler am Institut für Liturgiewissenschaften eine Woche lang Vorlesungen gehalten hat, findet der geborene Ägypter eine Stunde Zeit für ein Gespräch, bevor er nach Rom weiterfliegt, wo ihn schon seine Studenten erwarten. Die warten auf ihn auch schon in Beirut und Kairo.

Der sanfte und liebenswerte Jesuitenpater nimmt sich kein Blatt vor den Mund, wenn er auf die Lage in seiner Heimat zu sprechen kommt. Ein Gespräch über Ägypten entwickelt heutzutage - leider - seine Eigendynamik, der islamische Fundamentalismus steht immer im Mittelpunkt. Der Schreck über die „dumme, mittelalterliche” - so nennt es Samir Khalil Samir - Sache mit dem Ehepaar Abu Zeid sitzt dem ägyptischen Intellektuellen in den Knochen. Der Linguist und Koranforscher Nasr Abu Zeid wurde von einem Zivilgericht gegen seinen Willen von seiner Ehefrau geschieden, weil diese als Muslimin nicht mit einem vom Glauben Abgefallenen verheiratet sein dürfe. Zum Apostaten haben ihn die religiösen Eiferer erklärt, weil er es wagte, mit modernen sprachwissenschaftlichen Methoden an den Text des Korans heranzugehen.

„Wir leben in Ägypten in einer vorkritischen Zeit”, sagt Samir, wobei natürlich Ägypten im Vergleich mit anderen besser abschneide, denn es sei immerhin „relativ demokratisch”. Und das System ist offensichtlich fortschrittlicher als die Menschen: „In das Bewußtsein der Leute ist die Demokratie noch nicht eingedrungen, sie folgen gern.”

Das gilt auch für die Kopten. Auf die Frage, ob es so etwas wie eine gemeinsame Linie aller ägyptischen Christen gegen etwaige staatliche und private Schikanen gebe, klingt der Pater etwas resigniert: Die Kopten seien ja seit Jahrtausenden gewöhnt zu akzeptieren, was immer da kommt.

Man duckt sich und wartet, bis die Welle über einen hinweggegangen ist.” Diese Mentalität wird offensichtlich sogar von oben gefördert, ist den Worten Samirs zu entnehmen, mit spirituellen Rechtfertigungen fürs Stillhalten wie „Wir sind nur Gast auf Erden” oder „Dieses Land -Ägypten - ist eben nicht mehr unser Land” Ganz im Gegensatz zu den libanesischen Christen, „die beugen sich nicht so leicht”.

Auch Samir Khalil Samir hat keine Angst vor Auseinandersetzungen. Zwar meint er, der Westen müsse die muslimischen Denker, die den Islam allein als friedfertige, tolerante und moderne Religion anpreisen, rückhaltlos unterstützen - sie etwa viel öfter ins Ausland einladen, um sie zusammenzubringen, denn sie seien oft recht isoliert. Aber selbst sieht er- doch auch eine andere, eine aggressive Seite des Islam, die man seriöserweise nicht wegleugnen dürfe. „Wahrer Islam” sei zum Beispiel auch das Leben Muhammads, der sehr wohl Gewalt ausgeübt habe gegen seine persönlichen und politischen Gegner. Und dieses Faktum könne'man - und das tun ja die Islamisten, die mit Terror einen islamischen Staat schaffen möchten -als Legitimation der Gewalt ansehen, während die vielzitierten Kreuzzüge ebenfalls durch nichts in den Evangelien zu rechtfertigen seien.

Der Jesuitenpater hat sich mit der innerislamischen Diskussion genau auseinandergesetzt, die unter anderem über die beiden Verkündigungsperioden des Islam - Mekka und Medina - abläuft. Während die liberalen Muslime sich auf die in Mekka verkündeten Verse berufen, um aus ihnen diie allgemeine, immer gültige Ethik des Islam abzuleiten, beziehen sich die Konservativen auf die Zeit in Medina, als die Offenbarung nicht nur Muhammad, den Propheten, sondern auch Muhammad, den Politiker, erreichte. Für die Liberalen sind die in dieser zweiten Periode verkündeten Rechtsvorschriften nicht ewig gültig, sie akzeptieren eine Zeitgebundenheit der Offenbarung, was den Konservativen ein Dorn im Auge, wenn nicht gar pures Ketzertum ist.

Samir kann der konservativen Argumentation einiges abgewinnen: In der medinensischen Epoche war Muhammad frei, sein eigenes politisches System zu verwirklichen, und „er hat Medina gemacht und nicht Mekka, das heißt, er hat die jüdischen Stämme, die sich nicht bekehren wollten, eben entfernt”. Und das dhimma-Sy-stem geschaffen, das den Nichtmusli-men eine Rolle als Bürger zweiter Klasse verordnet.

Samir Khalil Samir ist keiner, der da ganz bequem im Ausland die islamische Praxis kritisiert, er tut das auch im Orient. Der Jesuitenpater erzählt von einer Vorlesung im Libanon, wo er durch die Aussage, der Islam sei aggressiv, seine muslimischen Zuhörer völlig schockiert habe. Die Diskussion war im Gange, „da fängt der Muezzin nebenan so laut zu schreien an, daß man nicht weiterreden konnte. Sehen Sie, habe ich gesagt, das ist es, was ich meine”. Dem gängigen Argument, das sei eben nicht der Islam, sondern takhalluf, Rückständigkeit, begegnet er mit Ironie: Das schaue ja dann ganz so aus, als ob der Islam etwas mit Rückständigkeit zu tun habe? Nein, nein, sagt er dann, ihren takhalluf machten sich die Muslime schon selber.

Denn obwohl historisch gesehen die Islamisten vielleicht ein bißchen recht hätten, könne man sich sehr wohl auf den friedfertigen und toleranten Islam berufen, denn auch für die Praxis der Gewaltlosigkeit lassen sich Belege in Koran und Sünna (islamischer Tradition) finden. Der Jesuitenpater ist jedoch viel zu sehr Wissenschafter, um die gängige Einseitigkeit in der Islambetrachtung gelten zu lassen. „Wieso muß es immer entweder heißen, ,der Islam hat die Frauen befreit' oder ,der Islam hat die Frauen unterdrückt'. Beides sei richtig und unrichtig zugleich.

Darin, daß Muslime immer den Islam verteidigen müßten, daß Muslime in jeder Diskussion über Islam apologetisch reagieren würden, sieht Samir Khalil Samir die starke Verunsicherung; die in der islamischen Welt allgegenwärtig ist. Und die zugleich der Grund für den islamischen Fundamentalismus ist, der nicht nur soziale Auslöser habe, wie man im AA'e-sten oft glaube. Und solange nicht das ganze Paket an Problemen gelöst werde, werde auch der Terror weitergehen.

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