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Zur kirdienmusikalisdien Entwicklung

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Die Geschichtsschreiber der Wiener Kirchenmusik werden später einmal der „Furche“ Dank wissen, daß sie von Anfang an alle die Bausteine sammeln half, aus denen das Mosaik unseres künftigen kirchenmusikalischen Lebens gestaltet wird. Wenn sich den bisherigen Stimmen der Wissenschaft — Professor Dr. Nowak — und der Praxis — Chordirektor Krieg — auch noch die der Liturgen und der Seelsorger funda-mentierend hinzufügen, werden wir auf dem Gebiete der Musica sacra bald zu jener vollkommenen Harmonie gelangen, die der Kirche genau so wie der Kunst zum Nutzen ist.

Daß in den bisherigen Darlegungen, insbesondere wieder bei Franz Krieg in der „Furche“ Nr. 32, die Besinnung auf das liturgische Element und die Verbundenheit mit der betenden Gemeinde gefordert wird, beweist eindeutig, daß der rechte Weg bereits gefunden und nunmehr nur tapfer und konsequent weiter zu beschreiten ist. Es geht wirklich nicht in erster Linie um musikästhetische und stilistische Fragen, also konkret ausgedrückt, nicht um eine Alternative:' Gregorianik, Schubert oder Lech-thakr, sondern um das breitere und tiefere Problem: die Wiederbelebung und zeitgemäße Gestaltung des feierlichen Gottesdienstes aus Geist und Haltung der Liturgie, zu deren musikalischem Bestandteil dann sehr wohl einmal der gregorianische Choral, ein andermal die für den kultischen Gebrauch geeigneten Werke der Wiener Großmeister, oder endlich — hoffentlich öfter als bisher

— die Kompositionen unserer Zeitgenossen herangezogen werden können. Immer wird es ja darauf ankommen, wo, wem und durch wen die betreffende Tonschöpfung dargeboten wird, da es sonst nicht nur einem modernen Meister, sondern auch einer Bruckner-Messe oder einer ehrwürdigen Choralweise passieren kann, im konkreten Falle — mit Recht oder Unrecht — abgelehnt zu werden.

Wesentlich — und als erster Schritt zur Revision begrüßenswert — ist die bei Franz Krieg offen ausgesprochene Erkenntnis, daß unsere Kirchenchöre zum Teil Gefahr laufen, mit ihrem überlieferten „Programm“ und der dabei üblichen „Praxis“ den Zusammenhang mit ihrer Gemeinde zu verlieren, also gewissermaßen in einem „leeren Raum“ zu wirken. Auf diese Tatsache, die nicht von gestern datiert, haben bisher immer nur die Liturgen verwiesen. So bedauerten in Wort und Schrift seit Jahrzehnten die führenden Männer der liturgisdien Bewegung in Österreich, vor allem Dr. Pius Parsch und Professor Vinzenz Goller, jene ungute Abseitstellung vieler unserer Kirchenchöre, die sich

— bei besten künstlerischen Leistungen — oben auf der Orgelempore nicht entschließen konnten mit der zeitgemäßen Erneuerung, die das Kirchenschiff längst ergriffe, hatte, auch ihrerseits gleichen Schritt zu halten.

Es ist zweifellos ein gesunder Zug des heutigen kirchlichen Lebens, daß wir hergebrachte Formen keineswegs unüberlegt über Bord werfen, wohl aber mit ihrem ursprünglich tiefen Sinn wieder erfüllen wollen. Für die Kirchenmusik bedeutet das bewußte Akzentverschiebung vom Grundwort Musik zum Bestimmungswort Kirche, für den Kirchenchor die Betonung seiner liturgischen Funktion gegenüber konzertanter Betätigung. Die Kirche begnügt sich nicht mit der wohlgeschulten Stimme des Chorsängers, sie sucht seit jeher den ganzen Menschen. Deshalb sieht sich Pius X. in seinem „Gesetzbuch der Kirchenmusik“ genötigt, vom Chormitgliede ganz bestimmte menschliche und christliche Eigenschaften zu fordern, die künstlerischen setzt er als selbstverständliche voraus- „Als lEhorsänger soll nur derjenige zugelassen werden, dessen Frömmigkeit und tadelloses Leben erwiesen ist; er soll ein bescheidenes, frommes Wesen haben, wie es dem heiligen Dienste entspricht, für den er bestimmt ist.“ (Motu proprio.) Kommt zu dieser religiösen Haltung noch eine regelmäßige liturgische Schulung des Chores durch den Seelsorger in den Singstunden, so werden seine Mitglieder bald von der hohen Bedeutung ihre? kirchlichen Amtes durchdrungen und für ihre eigentlichen, ursprünglichen Aufgaben auch innerlich bereit sein. Einem solchen Chore ist dann auch der Zustrom neuer frischer Kräfte aus den Reihen der Pfarrjugend sicher, die darauf brennen, die volksliturgischen Ideen auch im lateinischen Volks-Hochamt verwirklichen zu helfen. (Vergleiche die katholische Jugendzeitschrift „Der Ruf“, 1. Jahrg., Nr. 8 ff., Otto-Müller-Verlag, Salzburg.)

Um nun nach dem Willen der Kirche auch der ganzen Gemeinde die aktive Teilnahme am feierlichen Gottesdienste zu ermöglichen, müßte ihr der Kirchenchor bloß jene Gesangsteile wieder zurückgeben, die ihr ursprünglich zugehörten. Erst damit wird die Gesamtstruktur der musikalischen Messe aufgelockert, die dramatische Lebendigkeit der liturgischen Feier etwa erreicht. Neu, ja anfangs vielleicht ungewohnt, aber wuchtig und mitreißend werden die brausenden Kyrie-eleison-Rufe (XVI. Messe), das dreimalige Sanctus und Agnus (XVIII. Messe) als Bitt- und Lobgesänge des christlichen Volkes nach den gregorianischen Weisen erklingen, tragen sie doch das Merkmal der Schlichtheit, ja jener geistvollen Nüchternheit an sich, die der römischen Liturgie eigen ist. Wenn die ursprünglichen Klerusgesänge, Gloria (XV.) und Credo vom Singkreis der Pfarrjugend übernommen werden, haben wir ein Volksordinarium, das (zusammen mit den Responsorien) die Gemeinde mit dem Geschehen am Altare innigst verbindet.

Dem Kirchenchore aber fällt, wie in der alten Kirche, die wichtige Aufgabe zu, die wechselnden Festgesänge besonders kunstvoll zu gestalten. Um wieviel plastischer werden diese nun im neuen Rahmen des Volkshochamtes hervortreten und der Tagesfeier ihr besonderes Gepräge geben!

So könnte vom Kirchenchor und von der Gemeinde her die drohende Kluft zwischen Orgelempore und Kirchenschiff überbrückt werden. Das Volkshochamt aber würde bald Ziel und Höhepunkt des liturgischen Gemeindelebens sein.

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