"Zurück soll'n wir uns wenden ..."

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In der Hoffnung auf eine neue "Frankfurter Rede": eine Polemik in sieben Punkten gegen die bereits gehaltene.

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In der Hoffnung auf eine neue "Frankfurter Rede": eine Polemik in sieben Punkten gegen die bereits gehaltene.

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Vielleicht ist es noch etwas zu früh, um das ganze Ausmaß des Schocks zu verstehen, der seit Schüllers Entlassung durch den Wiener Kardinal die katholische Kirchenbasis erfaßt hat. Wenn wir richtig sehen, hat das mit einem Vorgang der Entlarvung zu tun. Plötzlich wurde auch dem innersten Kern der Kirchenchristen klar, woran man in Wahrheit schon immer war: einer Papst- und Bischofskirche, die keine Zukunftsperspektive auf diesem Planeten anzubieten hat, außer der einer steten Verweigerung: Keine Geburtenregelung, keine Kondome gegen Aids, keine Gleichwertigkeit der Frauen, nichts für wiederverheiratete Geschiedene, nichts für verheiratete Priester, dafür Aufgabe der Sonntagsmesse in kleineren Gemeinden, keine Revision der Sexualmoral.

Dazu drei typische Aussprüche von Betroffenen: "Wer auf Papst und Bischöfe hört, verabschiedet sich von der Gegenwart ..." - "Ich habe meine kirchliche Heimat verloren!" - "Ich habe meine Energie in den Kirchendiskussionen vertan". Der Stärke der enttäuschten Hoffnung auf den Wiener Erzbischof und seinen Generalvikar Schüller entspricht die tiefe Niedergeschlagenheit nach dessen Entlassung. Hoffte man nicht, daß der Kardinal die Bischofskonferenz aus einer Vatikanischen Engführung und öffentlichen Bloßstellung lösen würde? Weg von Personal-Dossiers, Intrigen und starken Sagern? Wollten nicht mit seinem Rat die Äbte nach Rom fahren?

Aber nichts da! Brav sind sie in Niederösterreich geblieben ... Sagen wir "Es war nichts"? Kardinal Schönborn hat das so nicht gesehen, sonst wäre er schwerlich gleich nach Schüllers Entlassung nach Frankfurt gereist, um eine Rede zu halten. Und was für eine Rede! Es scheint, daß diese Rede aufgrund ihres Gewichtes Widerspruch benötigt - trotz des gebotenen Respektes vor Schönborns Amt und Rang - und zwar in sieben Punkten: Erstens, müßte man dem Kardinal entgegenhalten, ist die Pillenenzyklika Pauls VI. (1967) kein "prophetisches Wort". Propheten sprechen anderes. Diese Enzyklika ist eine einsame Grübelei am Schreibtisch eines Papstes, von überflüssiger Loyalität "zu unsren Vorgängern seligen Angedenkens" geprägt und von der Gesamtkirche nicht angenommen. Die Lebenserfahrung der Christen entschied anders als der Papst.

Statt vieler Worte eine knappe Begebenheit: Ich hatte zu dieser Zeit eine 6. Klasse AHS Mädchen zu unterrichten. Wie alle Seelsorger der Konzilszeit war ich voll Hoffnung und Schwung gewesen, aus dem Problemstau der Vergangenheit herauszukommen und deshalb für Geburtenregelung. Als die Enzyklika veröffentlicht wurde, war es, als ginge in den Klassen das Licht aus. "Da haben Sie jetzt Ihren Papst!", sagten die Schülerinnen. Eine von ihnen trug eben tapfer an einer ungewollten Schwangerschaft. Es war, wie wenn der Papst uns Seelsorgern glattweg in den Rücken gefallen wäre. Der Bruch zwischen Spitze und Basis der Kirche war und blieb seit damals unüberwunden. Persönliche Lebenserfahrung stand gegen Doktrin. Gute Prophetenworte sind niemals doktrinär.

2. Wer die "sexuelle Revolution" der 68er Jahre müde-resignativ mit dem Hinweis auf die "heutige Kommerzialisierung der Sexualität" abwertet, hat niemals das tatsächliche Elend erlebt, das durch die herkömmliche Sexualmoral bewirkt wurde. Dazu abermals ein Vorfall. Zur selben Zeit als in einer Diskussion unter Wiener Pflichtschullehrern ähnliche Wertungen laut wurden, fuhren katholische Jugendliche aus ländlichen Gebieten autobusweise auf den Wiener Praterstern. In den dortigen Kinos war nämlich Oswalt Kolles Aufklärungsfilm "Das Wunder der Liebe" (1-6) zugänglich - im Unterschied zu den konservativ-katholischen Bezirkshauptmannschaften und Dekanaten. Das war eine Abstimmung per Bus und ein Urteil über falsche Theoriebildung! Wenn man nämlich den sozialen Schaden als Maßstab nimmt, der durch die "sexuelle Revolution" angerichtet sein könnte, so reicht er bei weitem nicht an den Schaden heran, den die vulgär-katholische Sexualmoral seit Hunderten Jahren nachweisbar angerichtet hat. Und noch immer bis heute anrichtet. (Nachzulesen in meinem Buch: Krank durch die Kirche. Böhlau Wien 1998). Es ist geradezu ein Privileg, nach 1968 als Kind oder Jugendlicher leben zu dürfen.

3. Die "Antiautoritäre Erziehung" in ihren Auswüchsen zu betrachten, ist nicht erfreulich. Aber die autoritäre, angstpädagogisch geprägte in ihren Folgen sich klar zu machen, ist noch viel mehr erschreckend. Es gibt fast keine Lebensgeschichte, die nicht an den Bereich der Schul- und Familientraumata stößt. Daß ein demokratisches Selbstbewußtsein der Gesellschaft ungleich christlicher ist als ein aristokratisch-hierarchisches, ist unbestreitbar. Daß Kardinal Schönborns eigener Dominikanerorden sich mit der Einsetzung von zeitbegrenzten Prioren (im Gegensatz zu lebenslänglichen Äbten) eine eminent demokratische, "antiautoritäre" Verfassung gegeben hat, ist bekannt. (Diese ist übrigens der amerikanischen Verfassung Pate gestanden.) Es ist wichtig, diesen Weg weiterzugehen und eine möglichst gewaltlose Institution zu suchen. "Geschwisterlich" nennt das das Kirchenvolks-Begehren.

4. Mit vielen "Wenn-und-Aber-sowohl-Ja-wie-auch-Nein"-Erklärungen den "Dialog" zu zerreden, ist die Zerstörung eines wunderbaren Anfangs. Der Dialog von Salzburg ist jetzt tot. Daß ein Dialog wirklich möglich ist, zeigt der Psychologe Carl Rogers. Er hat wiederholt mit Hunderten Menschen zugleich ein dialogisches Gespräch riskiert. Paul Zulehner tut in Passau ähnliches. Von beiden kann man lernen. Beide riskierten die "Wahrheit des Gespräches". Dieser Wahrheitsform ist auch ein Papst verpflichtet. Und nicht umgekehrt.

5. Die Aufforderung: "Kehren wir zur Tradition zurück" mag für den Theologen Schönborn ein reich gesättigter Satz sein. Er weckt aber schlußendlich bedenkliche konkrete Vorstellungen. Sollen wir beim Gottesdienst wiederum lateinisch reden, sollen wir wieder die läppisch-barocken "Baßgeigen-Meßgewänder" benützen? (Die Domsakristane haben sie schon ausgelegt!) Sollen wir vielleicht wiederum den Volksaltar wegräumen, damit wir umso besser die wunderbaren Stickarbeiten am Rücken des zelebrierenden Klerus bestaunen können? Sollten wir uns wiederum mit Ehrwürden, Wohlerwürden, Hochwürden, Exzellenz und Eminenz anreden? Den Würdenträgern mit Kniefall "die Hand bussen", wie das die Eisenbahnerkinder von Leibnitz dem Fürstbischof bei jeder Durchreise nach Seggauberg tun mußten? Sollten wir wirklich wiederum ästhetisch-gebildet in den Bibliotheken sitzen und neuscholastische Texte kommentieren? Oder solche gegen den "Modernismus" verfassen? Oder gar in korrekten Pfarrkanzleien hauptsächlich ordentliche Taufscheine produzieren? Wie zu Kaiser Josephs Zeiten selig? Sollten wir wirklich die Bemühungen der Seelsorge zurückdrehen? Die der Pfarrseelsorge mit ihrem flächendeckenden Netz mißachten und uns um das Anstreifen an das "gewöhnliche Kirchenvolk" drücken? Sollten wir fortfahren, uns lieber in "Gemeinschaften" zurückziehen, statt uns in die Mühe und den Wirbel des Religionsunterrichtes und der normalen Seelsorge zu wagen? Dorthin, wo die Menschen sind? Wo jede verlorene Situation auf eine Begegnung wartet?

Sollten wir - wenn schon von "katholisch" und "Vertiefung" die Rede ist - nicht aufhören, das stete "Geringerwerden" der Kirche zu beschwören? So als ob die kleine Zahl ein Qualitätsmerkmal wäre? Und als ob in der Masse niemand gläubig sein könnte? Ein verhängnisvoller klerikaler Irrtum!

Könnten, ja müßten nicht Bischofskonferenzen endlich auf die Kupplung steigen, den Vatikanischen Retourgang heraus- und wenigstens den ersten Vorwärtsgang einlegen? Noch besser: gleich den zweiten? Man sagt doch, daß diejenigen, die zu spät kommen, vom Leben bestraft werden.

Könnten traditionsliebende Bischöfe nicht aufhören, alles Heutige als negativen Zeitgeist zu klassifizieren, was in Wahrheit mit "gutem Geist" vermischt ist?

6. Sollten wir nicht - von einem Kardinal ermutigt - gründlich mit einem ganzen Ja die Zugehörigkeit zur Schicksalsgemeinschaft der gegenwärtigen Menschheit aussprechen, statt von kuscheligen Movimenti-"Sekten" zu träumen, die unter dem päpstlichen Reisemantel ins Mittelalter zurückwollen? Und das, obwohl die Weltlage in eine entscheidende Situation geraten ist und unsere volle erwachsene Verantwortlichkeit benötigt wird, ja, wir gerade deswegen alle unsere Personalreserven der Welt zur Verfügung stellen sollten... Damit unser spiritueller Reichtum frei werden kann!

7. Und könnte ein Kardinal nicht mit den Kirchenvolks-Begehrern zusammen über folgenden Lebenssatz meditieren: "Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern das stete Entfachen des Feuers!"

Sowenig Israel mitten im Roten Meer umkehren konnte, sowenig können wir nur einen Meter hinter das Konzil zurück, wenn wir nicht die Tradition samt dem Erbe, das Generationen von Seelsorgern mit einem Netzwerk von Gemeinden uns übergeben haben, verspielen wollen. In diesem Sinne darf man auf eine neue "Frankfurter Rede" hoffen.

Der Autor ist Psychotherapeut in Wien.

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