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Was ist anders in einer Pfingstkirche? Wer als katholischer oder evangelischer Christ, oder auch ohne sich einer Kirche zuzuordnen, einfach aus Neugierde, eine pfingstlich-charismatisch geprägte Gemeinde besucht, erwartet vielleicht ein fröhlich-turbulentes Treiben, wie man es aus dem Fernsehen oder aus tatsächlichen Begegnungen mit "schwarzen" Gemeinden in den USA kennt. Laut und begeistert soll es zugehen. Aber das ist nicht unbedingt die Realität. Sicher, am Gottesdienst werden im Normalfall sehr verschiedene Menschen mitwirken, und "typische" Elemente wie Gesang oder Gebet in "Zungen" (d.h. in unverständlicher, ekstatischer Sprache) mögen vorkommen (obwohl sie in vielen Pfingstkirchen gar nicht so häufig sind). Es wird viel gesungen, und manche Besucher werden bei den Gebeten die Hände heben. Auffällig ist, das nicht alle das gleiche tun: manche werden beim Singen stehen, andere sitzen, manche heben die Hände, andere nicht. Die Predigt wird häufig länger sein als aus traditionellen Kirchen gewohnt, und die Gebete werden meist frei gesprochen. Die Lieder mögen modern sein oder auch nicht; tatsächlich sind manche Pfingstgemeinden äußerlich eher konservativ. Zwischenrufe in Gebetsform, und auch das bekannte bestätigende "Amen!" sind etablierte Formen, Anteilnahme oder Zustimmung auszudrücken. Man kennt sich, und vermutlich wird der Gast bei einer Begrüßung gefragt werden, wer man denn so ist. Christliche Symbole werden eher spärlich verwendet, eventuell nicht einmal ein Kreuz. Der Prediger kann ein Laie sein, oder er hat auf einer Bibelschule studiert (nur selten an einer Universität; das ist in den USA etwas anders).

Und die "Theologie"? Mission ist ein zentrales Anliegen, Erlösung, Glaube, Nachfolge, praktisches Christentum, eine wertekonservative Ethik. Die "Erfahrbarkeit" Gottes zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausdrucksformen pfingstlicher Frömmigkeit. Diese Erfahrbarkeit ist aber nicht mystisch gemeint, und zu ihr gehören Gottesdienst und Gemeinde. Das Bibelverständnis ist der evangelikalen Tradition verpflichtet, aber nicht unbedingt fundamentalistisch. Das alles ist vertraut, wenn man die "fromme Szene" evangelischer Freikirchen kennt, aber es mischen sich andere Themen ein. Man fühlt sich als Teil einer besonderen, von Gott veranstalteten Erneuerung des Christentums, eines netzwerkartigen Aufbruchs, der als Wirkung des Heiligen Geistes gedeutet wird. Erfüllung mit dem Heiligen Geist, "Geisttaufe", Wirkungen des Geistes sind Stichworte, die einen besonderen Stellen wert einnehmen, in den letzten Jahren daneben seelisch-körperliche Heilung (ein Modethema, das man mit der Esoterikszene teilt - was Pfingstler eher ungerne hören).

"Voll des Heiligen Geistes"

Wie die meisten religiösen Erneuerungsbewegungen will man eigentlich nichts "Neues" sein, sondern einen "idealen Urzustand" wiederherstellen. In den traditionellen Kirchen sei Wesentliches aus der Erfahrung der frühen Christen verloren gegangen. Als Geburtsstunde gilt oft der 1. Jänner 1901. An diesem Tag kam es in der von dem Methodisten Charles F. Parham (1873-1929) geleiteten Bethel Bible School in Topeka, Kansas zu einer Initialerfahrung. Man suchte eine tiefere geistliche "Ausrüstung": es war ein Gefühl des Ungenügens eingetreten. Christentum sollte eine Sache der Kraft und Freude sein, "voll des Heiligen Geistes", wie man es aus der biblischen Apostelgeschichte vor Augen hatte. Wie könnte dieses "fehlende Element" wiedergewonnen werden? Nach nächtlichem Gebet durchlebt am Morgen eine gewisse Agnes Oznam als erste eine Erfahrung, die als Erfüllung mit dem Heiligen Geist gedeutet wird. Äußere Zeichen dieser "Geisttaufe" sind eine Form ekstatischer Rede, die man als "Sprechen in fremden Sprachen" verstand, und andere "Charismen" (Wirkungen des Heiligen Geistes). Ab 1901 entstanden in rascher Folge "Pentecostal Churches": Church of God in Christ, 1907; Church of God (Cleveland), 1907; International Pentecostal Holiness Church, 1911; Assemblies of God, 1914 (heute die weltweit größte Pfingstkirche mit über 60 Millionen Anhängern); International Church of the Four Square Gospel, 1927, u. a. Als der erste schwarze Prediger William J. Seymour sich 1905 der Pfingstbewegung anschloss, musste er dem Bibelunterricht wegen der Rassentrennung noch vom Fenster aus zuhören. Heute sind etwa 20 Prozent aller US-Amerikaner pfingstlichcharismatisch im weitesten Sinn geprägt, seit den 1960er-Jahren auch in den Mainstream-Kirchen. Aus europäischer Sicht hat man pfingstliche Frömmigkeit als Ausdruck "schwarzer", emotionaler Religiosität gedeutet, aber das ist nur ein kulturelles Klischee. Auch außerhalb der USA entstehen Pfingstkirchen rasch: in Indien, Kanada, Großbritannien, Mexiko, den skandinavischen u. v. a. Ländern. In Lateinamerika (Assembléias de Deus no Brasil, mit heute etwa 17 Millionen Mitgliedern) wurden die Pfingstkirchen durch energische Mission und Offenheit für die Belange der Armen zur stärksten protestantischen Kraft. Die pfingstliche Bewegung besitzt keine eigentliche Gründerpersönlichkeit und ist parallel in verschiedenen Kontexten entstanden: Pfingstler verstehen das als Zeichen ihrer Geistgewirktheit.

Im deutschen Sprachraum wächst die Pfingstbewegung unter dem Eindruck der Erweckungen in Wales und den USA ab 1906 rasch. Doch kommt es 1909 mit der "Berliner Erklärung" von 56 Theologen aus der Gemeinschaftsbewegung zum Bruch mit den Evangelikalen. Die Bewegung sei "nicht von oben, sondern von unten" und dem Spiritismus verwandt. Erst 1996 haben sich der Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz und das Präsidium des Bundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden wieder über die Zusammenarbeit verständigt, nachdem der aggressive Gegensatz seit den 1970er-Jahren an Bedeutung verloren hat.

Globale Präsenz

Und die Ökumene? Manche Pfingstgemeinden sind abwartend-skeptisch, andere bringen sich in den Dialog ein; mit der Katholischen Kirche gibt es seit den 1970er-Jahren intensive Gespräche und Kontakte. In der Evangelischen Allianz und ähnlichen Vereinigungen macht man gerne mit, aber im Ökumenischen Rat der Kirchen sind nur wenige Pfingstkirchen Mitglied. Christen traditioneller Kirchen fragen gerne: "Sind das keine Sekten"? Der Begriff der Sekte ist allerdings in der Religionswissenschaft diskreditiert, da er oft nur Klischees evoziert, und viel zu pauschal ist. Herkömmliche Verdächtigungen (als gefühlsbetonte "Schwärmerei" mit starkem Gruppendruck) gehen oft weit an der Lebenswirklichkeit charismatisch-pfingstlerischer Gruppen vorbei. Heute sind pfingstlich-charismatische Gemeinschaften mit etwa 500 Millionen Mitgliedern in fast allen Ländern der Welt präsent, und prägen mancherorts das Bild des Protestantismus. Frauen hatten vielfach von Anfang an Führungspositionen inne, was nicht unwesentlich zum Erfolg beigetragen hat, wie ebenso das gerade in Lateinamerika enorm hohe sozialdiakonische Engagement.

Der Autor ist Professor für evangelische Theologie (Neues Testament) an der Universität Leipzig und Experte für Neue Religiöse Bewegungen

Vom Geist erweckt

Pfingsten ist für alle Christen wichtig, für eine Strömung aber darüber hinaus Namensgeber und spiritueller Ankerpunkt. Die Pfingstbewegung ist kaum mehr als 100 Jahre alt und gewinnt dennoch stetig an Bedeutung. Doch was sind Pfingstkirchen eigentlich? Wie leben und glauben sie? Und wie groß sind sie wirklich?

Redaktion: Otto Friedrich, Michael Weiß

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