Zustimmung zum Leben

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Feste zu feiern, bedeutet auch eine Art Selbstvergewisserung, ein Ja zur eigenen Identität. Dabei besteht ein wesentlicher Zusammenhang zwischen Erinnerung und Dank.

Was heißt feiern? Es ist ein Kennzeichen jeglicher menschlichen Kultur, dass gefeiert wird. Und es ist nicht schwer zu erkennen, dass gewisse Merkmale des Feierns bei aller kulturellen Vielfalt und Verschiedenheit überall dieselben sind: Gemeinschaft, besondere Kleidung, bestimmte Rituale, hervorgehobene Tage (Zeiten) und Orte, verbale Proklamation und miteinander Essen und Trinken.

"Feiern“ (verbal und substantivisch verstanden) umfasst immer zwei konstitutive Komponenten, die zwar zu unterscheiden, nicht aber zu trennen sind. Feiern heißt zunächst einmal nicht arbeiten - das kommt im Wort "Ferien“ zum Ausdruck -, es heißt aber auch etwas feiern, wofür man auch zelebrieren sagen kann. Jede Feier hat ihre Begründung, ihren besonderen Anlass, und diese Begründung wird als so wichtig angesehen, dass dafür jegliches Arbeiten - es sei denn es geht um die Bewahrung von Leben - preisgegeben wird. Darin zeigt sich, dass es etwas geben muss, das größer und wichtiger ist als alles, was wir durch Arbeit erreichen können: Lebensunterhalt, Nutzen, Erfolg, Gewinn und Macht. In der Regel hat das mit "Sinn“ zu tun, was immer das auch heißen mag. Festfeiern haben einen Sinn und stiften Sinn.

Wochentags- und Sonntagskleider

Dieser Feststellung entspricht auch die Unterscheidung von Werktagen und Feiertagen in allen Kalendern. Und ich erinnere mich aus Kindertagen, dass auch in unserem Kleiderkasten "Wochentagskleider“ und "Sonntagskleider“ getrennt aufgehoben waren. Die traditionelle Unterscheidung zwischen Arbeits-Kleidung und Fest-Kleidung ist allerdings allmählich abgelöst worden durch die Alternative Arbeits-Kleidung und Freizeit-Kleidung. Und damit sind wir schon mitten in unserem Thema "Feiertags-Kultur“. Wenn Feste nur noch als Freizeit erlebt werden, wundert es nicht, wenn im Sommer Lektoren bei der Sonntagsmesse in T-Shirt und Joggingschuhen am Ambo stehen, und am Heiligen Abend manche Familien in Trainigsanzügen und Patschen Weihnachtsstimmung aus dem Fernseher konsumieren.

Auf der anderen Seite erlebe ich es als tief berührend, wenn im Altersheim, in dem ich jetzt wohne, Menschen im Rollstuhl darauf bestehen, sich mühselig ihre schönsten Kleider anziehen zu lassen und zur Christmette in die Hauskapelle gebracht zu werden.

Warum muss überhaupt gefeiert werden? Der deutsche Kulturphilosoph Joseph Pieper (1904-1997), der jahrzehntelang an der Universität Münster gelehrt hat, befasste sich eingehend mit dem Phänomen "Feiern“, und er kam dabei zur Überzeugung, dass es immer die Erfahrung von "Zustimmung zum Leben“ ist, die gefeiert werden muss, weil ja Leben und Existenz als ständig bedroht empfunden werden. Heute, in einer Periode, die ganz allgemein von Identitätsverlust und Identitätsangst geprägt ist, wäre hinzuzufügen, dass jede Erfahrung von Zustimmung zur eigenen Identität, von Festigung des Selbst-Wertes, spontan ein "das muss gefeiert werden!“ ausrufen lässt (was nur in je eigener Mundart authentisch geschehen kann).

Die erfahrene und zu feiernde Zustimmung zu Leben und Identität umfasst eine reiche Skala von Ereignissen: von einer bestandenen Prüfung, einem gewonnenen Spiel oder dem Wiederfinden eines verlorenen Wertes bis hin zur Erfahrung dessen, was zutiefst und beständig unser Leben und meine Identität trägt, erneuert, heilt und bewahrt. Für manche dieser Anlässe genügt es, einmal, aber sofort, ausgelassen zu feiern, wobei nicht selten in Kauf genommen wird, dass einiges in Trümmer geht oder beträchtliches Vermögen dahin ist - man denke an manche Matura-Feier oder an Siegesorgien nach gewonnenen Fußballspielen … Der Fall der Berliner Mauer und das Verschwinden des Eisernen Vorhangs in Europa waren Anlässe zu weltweiten Freudenfeiern; die Heimkehr vermisster oder schon als gefallen gemeldeter Kriegsgefangener musste in den Familien und auch mit Freunden und Nachbarn ausgiebig gefeiert werden. Wirklich verstehen kann das nur jemand, der selbst so oder so davon betroffen war. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich bin in Berlin geboren, mein ältester Bruder ist schwerst verletzt, aber lebend aus dem Krieg heimgekehrt, und eine Schwester meines Vaters ist nach zehn Jahren in sowjetischer Gefangenschaft, ohne ein Lebenszeichen geben zu können, gesund wieder nach Hause gekommen …

Manche Ereignisse werden Jahr für Jahr, andere von Jahrzehnt zu Jahrzehnt in Feiern "erinnert“. Solche Feiern bewahren im Gedächtnis und machen immer wieder neu bewusst, was uns auch hier und heute leben lässt und was uns reich beschenkt. Alle Fest-Feiern sind darum geprägt vom Bedenken und Bedanken solcher Ereignisse. Was nicht nur gefeiert wird, sondern gefeiert werden muss - das ist ein spontan erlebtes Müssen, nicht eine normative Verpflichtung! -, darf einfach nicht vergessen werden!

Wiederkehr von Aufgang und Untergang

Alle Menschen, welcher Kultur auch immer, feiern das Geschenk des Lebens im Jahreszyklus - Schöpfung, Aussaat und Ernte, Geburt, Reife und Hochzeit - weil in diesem die ständige Wiederkehr von Aufgang und Untergang, Anfang und Ende unmittelbar erlebt wird. Dass allenthalben auch das Sterben und Bestatten gefeiert wird, macht deutlich, dass ein endgültiges Ja zum Leben über den Tod hinausreicht.

Für Christen ist die höchste und tiefste Zustimmung zum Leben die Erfahrung, dass Gott, der Schöpfer, auch gegenüber dem rebellierenden Menschen, der selbst Gott sein will, unverbrüchlich zu seinem "Ja“ steht. Er nimmt das Todesurteil auf sich, indem er als sterblicher Mensch zum Menschen kommt, in seinem Sterben den Tod entmachtet und in seiner Auferstehung das ewige Leben für alle erschließt, die seine Zuwendung annehmen. "Sosehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn für uns hingab, wer an ihn glaubt, hat teil an seinem Leben!“ (Joh 3,16).

Das - und letztlich nur das! - muss gefeiert werden, immer und immer wieder, und heute erst recht. Das muss proklamiert werden, das muss bedankt und bedacht werden, und das muss so gefeiert werden, dass es hier und heute zum lebensrettenden Ereignis wird und auch als Ereignis, das mein Leben rettet und verewigt, erfahren werden kann!

Die Grundvorgänge solchen Feierns sind leicht auszumachen und letzten Endes trotz vielerlei Varianten überall dieselben: Spontanes Liegen- und Stehenlassen von allem anderen; sich zusammenfinden mit Schicksalsgenossen; proklamieren und rituelles Spielen dessen, was gefeiert wird in Lesungen, Festreden, Hymnen, dramatischen und symbolischen Ritualen; gemeinsames Essen und Trinken im Überfluss, Musizieren (zum Anlocken guter Geister), Lärmen (zum Vertreiben böser Geister), Tragen festlicher Kleidung …

Sensibilität für die im Dunkeln Stehenden

Zeiten und Orte gedenkenden Feierns stehen in der Regel in Zusammenhang mit den dann und dort zu feiernden Ereignissen, weil ja alle historischen Ereignisse ihre Zeit und ihren Ort haben. Gedenkstätten laden ein, Gedenktage oder -stunden regen an, eben diese Ereignisse zu bedenken und zu bedanken. Stimmiges Feiern vermag aber auch zeitliche und räumliche Gegenwart gefeierten Ereignisses je neu zu schaffen. Das Hier und Jetzt wird durch diese Feier so aufgeladen, ja geradezu konsekriert, dass die Feiernden am gefeierten Geschehen selbst teilnehmen.

Feiertermine in der zyklisch erfahrenen Zeit - täglicher Sonnenauf- und -untergang, jährliche Winterkälte und -dunkelheit, Frühlingserwachen, Aussaat und Ernte - werden ebenso wie die Orte des Feierns rituell aufgeladen und als sakramentale Zeichen gebraucht. Sie verdeutlichen das gefeierte Geschehen und sie werden durch dieses selbst gedeutet.

Wenn bei Menschen heute leider ein bedauerliches Defizit an Feier-Kultur nicht zu übersehen ist, so muss doch ehrlicherweise auch festgestellt werden, dass sie sensibel geblieben sind, anderen, die in Not geraten sind - durch Armut, Krieg, Verfolgung und Naturkatastrophen - in großzügiger Weise beizustehen. Auch das ist als "Zustimmung zum Leben“ zu bedenken und zu bedanken! Die Weihnachts-Aktion "Licht ins Dunkel“ vergegenwärtigt auf ihre Weise Jahr für Jahr das Kommen des Erlösers und ist für die Ärmsten ein Anlass, den kommenden Retter zu feiern.

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