Kirche - © Foto: Pixabay

Paul Gerhardt : Zuversicht in schwerer Zeit

19451960198020002020

Er war orthodoxer Lutheraner. Heute verbindet Paul Gerhardt mit seinen Liedern die Konfessionen.

19451960198020002020

Er war orthodoxer Lutheraner. Heute verbindet Paul Gerhardt mit seinen Liedern die Konfessionen.

Werbung
Werbung
Werbung

Fragt man, ob ihnen der Name Paul Gerhardt etwas sagt, werden dies viele verneinen. Fragt man sie aber, ob sie den Choral Wenn ich einmal soll scheiden oder Ich steh an deiner Krippen hier kennen, werden zumindest Bach-Liebhaber dies bejahen und die Matthäuspassion bzw. das Weihnachtsoratorium nennen, wodurch ihnen diese Choräle vertraut sind.

Bei beiden Chorälen handelt es sich um Texte Paul Gerhardts. Johann Sebastian Bach war es denn auch, durch den die Lieder Gerhardts weltweit die größte Breitenwirkung erreichten. In den Kantaten und Oratorien Bachs kommen insgesamt 30 Choralsätze mit Tex-ten Gerhardts vor - acht davon allein in der Matthäuspassion und fünf im Weihnachtsoratorium. Die-ser hohe Anteil erklärt sich am ehes-ten aus einer tiefen Übereinstimmung in der Musikauffassung wie in der Frömmigkeitshaltung beider.

Paul (er nannte sich eigentlich Paulus) Gerhardt wurde am 12. März 1607, also vor 400 Jahren, geboren. Sein Geburtsort Gräfenhainichen ist heute eine Kleinstadt mit ca. 8000 Einwohnern und liegt an der Bahnstrecke Berlin-Halle/Leipzig. In der Paul-Gerhardt-Straße Nr. 7 zeigt eine Gedenktafel den Platz des einstigen Geburtshauses, das während des Dreißigjährigen Krieges zerstört wurde.

Lutherisch gebildet

Gerhardts Leben und Wirken beschränkte sich auf den Raum von Sachsen und Brandenburg. Nach dem Besuch der elitären Fürstenschule in Grimma südöstlich von Leipzig (heute eine Kreisstadt mit 17.000 Einwohnern) studiert der junge Gerhardt in Wittenberg Theologie. Die Universität Wittenberg, 1502 gegründet, war damals eine Hochburg der lutherischen Orthodoxie, die viele Studenten anzog. In Folge ihrer bedeutenden Vergangenheit spielte sie in Fragen der lutherischen Lehre eine große Rolle. 1628 wurde Gerhardt als Student immatrikuliert, aber 1641 bezeichnet er sich noch immer als "Studiosus".

Die lange Wittenberger Zeit, die der Paul-Gerhardt-Forschung bis heute viele Rätsel aufgibt, hat zu manchen Vermutungen Anlass gegeben. Es ist davon auszugehen, dass er sich bis 1642, also 14 Jahre, in Wittenberg aufgehalten hat. Aber er hat sein Studium nicht verbummelt, sondern seine spätere führende theologische Position wie der theologische Gehalt seiner Lieder belegen eher ein intensives und gewissenhaftes Studium.

Das Jahr 1642 wird als Zeitpunkt seines Wechsels nach Berlin angenommen. Er dürfte zunächst eine Beschäftigung als Hauslehrer ausgeübt haben; für Theologen ohne Anstellung war dies damals eine häufig ausgeübte Tätigkeit und ein Broterwerb. 1651 wird er schließlich in Berlin zum Geistlichen Amt ordiniert und 1651 erhält er mit 44 Jahren in dem südlich von Berlin gelegenen Mittenwalde seine erste Pfarrstelle. Die späte Übernahme eines Pfarramtes war damals kein Einzelfall, denn die kirchliche Ver-sorgung in Brandenburg war durch Krieg und Nachkriegszeit weitgehend desolat.

Bereits 1657 jedoch kehrt Gerhardt wieder nach Berlin zurück. Er wird Pfarrer an der großen Gemeinde St. Nikolai mit vier Pfarrstellen. Die Berliner Zeit ist für sein Liedschaffen die fruchtbarste Zeit. Von den 137 Gedichten sind die meisten in dieser Zeit entstanden. Hier kommt es auch zu der besonderen Kooperation von Theologie und Musik, wie man sie sich in der Geschichte der Kirche wie der Musik öfter gewünscht hätte. Seine beiden Kantoren Johann Crüger (1598-1662) und Johann Georg Ebeling (1637-1676) waren es, die viele Melodien zu Texten Paul Gerhardts schufen und durch die Herausgabe von Gesangbüchern, in die sie einen großen Anteil von Gerhardt-Liedern aufnahmen, wesentlich zur überregionalen Bekanntheit Gerhardts beigetragen haben. Das Zusammentreffen dieser Personen in Berlin kann durchaus als eine Sternstunde der Liedgeschichte bezeichnet werden.

Die Berliner Zeit war für Paul Gerhardt freilich auch eine schmerzliche Zeit, fallen in sie doch die schließlich zu seiner Amtsenthebung führende Auseinandersetzungen mit dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm. Aus heutiger Sicht wird man in einer Zeit der Ökumene den auch auf den Kanzeln ausgetragenen Lehrstreitigkeiten unter den Kon-fessionen und ihren gegenseitigen Verunglimpfungen und Verketzerungen nicht viel Verständnis entgegenbringen. Während man heute in den Kirchen gerne das Gemeinsame vor das Trennende stellt, war es damals genau umgekehrt. Alle drei Konfessionen - Lutheraner, Reformierte und Katholiken - machten gelten, die christliche Wahrheit zu lehren, und übten sich in Selbstverteidigung und Polemik.

Dem Gewissen gefolgt

Dazu kam, dass die Kirchenpolitik des Kurfürsten den konfessionellen Unfrieden noch weiter anheizte. Es waren damals eben nicht nur theologisch strittige Fragen, die zu heftigen Auseinandersetzungen unter den Konfessionen führten, sondern es war auch der Einfluss, den die Politik auf die Religion ausübte. Konkret ging es darum, dass die staatliche Gewalt ein Aufsichtsrecht über alle Kirchen beanspruchte. Unter dem Vorzeichen absolutistischen Machtanspruchs konnte damals eine friedliche Annäherung nicht gelingen. Die in seinem "Toleranzedikt" von 1662 geforderte "Einträchtigkeit" bedeutete, dass diejenigen Geistlichen, die dem Edikt zuwiderhandelten bzw. den verlangten Revers nicht unterschrieben, des Landes verwiesen wurden und ihr Amt niederlegen mussten.

Immer mehr wurde Paul Gerhardt in diesen Auseinandersetzungen zum Sprecher der lutherischen Position und zum Widerpart des Kurfürsten. Trotz der Fürsprache der Berliner Bürger und des Rates der Stadt wurde er seines Amtes enthoben. Paul Gerhardt berief sich in diesen Konflikten stets - wie einst Luther - auf sein Gewissen, dem er zu folgen habe.

Die letzten sieben Jahre seines Lebens konnte Gerhardt dann doch noch als Pfarrer in Lübben im Spreewald verbringen, wo er am 27. Mai 1676 verstarb. Sein Grabmal befindet sich in der Lübbener Kirche.

Paul Gerhardt war verheiratet. Er verlor seine Frau jedoch bereits nach 13-jähriger Ehe. Von den fünf Kindern, die dem Ehepaar Gerhardt geschenkt wurde, erreichte nur das vierte das Erwachsenenalter und hat den Vater überlebt.

Die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges und sein persönliches Leiden bilden den Hintergrund seiner Dichtung. Umso erstaunlicher ist, dass seine Gedichte Leid und Not nicht zum eigentlichen Thema haben, sondern Hoffnung und Zuversicht, ja Vertrauen auf Gott geben wollen in schwieriger Zeit. Viele sind darum Gedichte der Freude und einer tiefen Geborgenheit. Schon früh wurden sie in andere Sprachen übersetzt. Bereits 1676, also im Todesjahr Gerhardts, wurde sein O Haupt voll Blut und Wunden in Schweden in der Landessprache gesungen.

Heute gibt es wohl kein europäisches Gesangbuch ohne Lieder von Gerhardt und auch in anderen Kontinenten sind seine Texte bekannt. Im Evangelischen Gesangbuch stehen 26 Lieder von ihm und er ist zwar nicht der Anzahl der Lieder, aber der Anzahl der Strophen nach der am stärksten vertretene Liederdichter. Auch das katholische Gesangbuch Gotteslob enthält sechs Lieder von ihm. So ist Paul Gerhardt mittlerweile nicht nur ein länderübergreifender, sonder auch ein konfessionsübergreifender Liederdichter geworden.

Der Autor ist emeritierter Superintendent A.B. von Wien.

Bücher über Paul Gerhardt

Hierzulande ist wenig bewusst, dass im 17. Jahrhundert in Brandenburg das Fürstenhaus zu den Reformierten übertrat und Lutheraner wie Paul Gerhardt im Kernland des Reformators um ih-re Konfession kämpfen mussten. Christian Bunners lesenswerte Paul Gerhardt-Biografie lässt dies neben dem Panorama der Wirren nach dem 30-jährigen Krieg eben-so plastisch werden wie die Rezeption der Lieder des lutherischen Dichters - von seinen Zeitgenossen bis in spätere Epochen, etwa bei Dietrich Bonhoeffer. Wer sich ihm "spirituell" nähern möchte, dem sei das Büchlein Nichts nimmt mir meinen Mut empfohlen, in dem Reinhard Deichgräber anhand von 27 Liedinterpretationen Paul Gerhardt als Meister der christlichen Lebenskunst ausweist. ofri

Paul Gerhardt. Weg Werk Wirkung

Von Christian Bunners. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007

320 Seiten, geb. € 30,80

Nichts nimmt mir meinen Mut. Paul Gerhardt als Meister der christlichen Lebenskunst. Von Reinhard Deichgräber. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006. 160 S., kt. € 15,40

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung